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WebWecker Bielefeld ,
15.06.2005 :
(Bielefeld) Die Angst vor Donnerstag
Etwa 35.000 Angehörige von Minderheiten aus dem Kosovo leben in der Bundesrepublik. Nach den Unruhen in der Provinz im März 2004 wurde die Abschiebung von Roma, Ashkali und den so genannten Ägyptern dorthin eingestellt. Ende April einigten sich die Innenbehörden und die UNMIK auf die Wiederaufnahme der vierzehntägigen Abschiebeflüge. In Bielefeld müssen nun mindestens fünf Ashkali-Familien zittern.
Von Mario A. Sarcletti
Seit sich die UN-Verwaltung des Kosovo, UNMIK, und die Innenbehörden der Länder sich am 26. April auf die Wiederaufnahme der Abschiebungen von Minderheiten aus dem Kosovo in die Unruheprovinz geeinigt haben, leben die 35.000 Roma, Ashkali und eine Romagruppe namens "Kosovo-Ägypter" in Deutschland wieder in Angst. Vor allem Ashkali und Ägypter stehen auch in Nordrhein-Westfalen ganz oben auf der Liste der Menschen, die das Land – zur Not mit Zwang - verlassen sollen. Roma sollen vorerst nur abgeschoben werden, wenn sie straffällig geworden sind.
Ashkali sind Roma, die in albanische Familien eingeheiratet haben und meist kein Romani mehr sprechen. "Die Behauptung ist, dass sie dadurch weniger gefährdet sind", erklärt Beate Niemeyer die unterschiedliche Vorgangsweise der Behörden bei den verschiedenen Romagruppen. Eine Einschätzung, die sie nicht teilt. "Das ist Quatsch, weil auch sie dunkelhäutiger sind", sagt sie. Tatsächlich zählten bei den Unruhen im März 2004 neben Serben und Roma auch Ashkali zu den Opfern nationalistischer Albaner.
Die Angst der von Abschiebung Bedrohten, die meist schon über zehn Jahre in der Bundesrepublik leben, ist ganz konkret: "Die Leute haben alle vierzehn Tage donnerstags Angst, dass die Polizei sie abholt", beschreibt Beate Niemeyer die Furcht der in Bielefeld lebenden Ashkali vor dem Tag, an dem alle zwei Wochen ein Flugzeug von Düsseldorf nach Pristina fliegt. Schon zwei Mal saßen Angehörige der kosovarischen Minderheiten seit Ende April in den Flugzeugen. Sie waren bereits bei der UNMIK zur Abschiebung angemeldet, als im März vergangenen Jahres im Kosovo Unruhen ausbrachen, denen die KFOR-Truppen recht hilflos gegenüberstanden. Aufgrund der unsicheren Lage vor Ort waren die Abschiebungen damals ausgesetzt worden.
Gut ein Jahr später schätzen Innenministerkonferenz, Bundesinnenministerium und UNMIK die Lage in der Provinz als so stabil ein, dass sie Abschiebungen wieder für zumutbar halten. Beate Niemeyer teilt diese Einschätzung nicht. "Da braucht nur irgendeine Kleinigkeit passieren, dann geht das Pulverfass wieder hoch", befürchtet sie. Ein Funke genügte auch im März 2004, um die auch damals als relativ stabil eingeschätzte Lage in kürzester Zeit eskalieren zu lassen.
Humanitärer Dammbruch
Aber nicht nur der Bielefelder Flüchtlingsrat hält Abschiebungen in den Kosovo zur Zeit für unzumutbar. Auch amnesty international und die Gesellschaft für bedrohte Völker teilen diese Einschätzung, Pro Asyl nennt die Vereinbarung zwischen der Bundesrepublik und der UNMIK einen "humanitären Dammbruch". Aber auch Vertreter von SPD und Bündnis 90/Die Grünen kritisieren das Abkommen. Der SPD-Bundestagsabgeordnete Christoph Strässer nannte es in der Frankfurter Rundschau "absolut unzumutbar", die innenpolitische Sprecherin der nordrhein-westfälischen Landtagsfraktion der Grünen, Monika Düker, sprach nach Angaben des Flüchtlingsrates NRW von einem "Skandal, dass ausgerechnet NRW dabei mitmacht".
Dass die UNMIK das Abkommen unterzeichnete, wundert Beate Niemeyer jedoch nicht. "Wer’s bestellt und bezahlt, bestimmt auch was gemacht wird", verweist sie auf die Federführung der Bundesrepublik in der UN-Behörde. Zudem habe diese angesichts der anstehenden Entscheidung über den zukünftigen Status der Provinz ein Interesse daran Normalität zu suggerieren.
Trotz dieses "doppelten Drucks", wie es Beate Niemeyer nennt, auf die Behörde geht deren Einschätzung der Stabilität dem nordrhein-westfälischen Innenministerium offensichtlich nicht weit genug. "Der Umstand, dass die Zivilverwaltung des Kosovo (UNMIK) in Rückführungsfällen zum Teil eine andere Auffassung vertreten hat bzw. vertritt und sich dabei auf Einschätzungen des UNHCR beruft, stellt die vorstehend dargelegte Rechtsauffassung (nämlich, dass die "Rückführungen" zumutbar seien, MAS) nicht in Frage", heißt es in einem Erlass des Ministeriums vom 11. April 2005.
Etwa drei- viertausend Menschen sind nach Einschätzung Beate Niemeyers noch aus der Zeit vor dem Abschiebestopp für eine Abschiebung angemeldet, darunter fünf Familien aus Bielefeld. Die Bielefelder Zahl bestätigt Uwe Quermann, Leiter der Ausländerabteilung im Bielefelder Rathaus. "Diejenigen Personen, die jetzt noch angemeldet sind, bleiben das auch", kündigt er an. "Wenn nicht persönliche Gründe hinzukommen", fügt er hinzu.
Diese persönlichen Gründe sieht Beate Niemeyer bei vielen Betroffenen. "Die meisten sind krank, bei einigen wird das langsam unberechenbar", beschreibt sie die Auswirkungen der Angst vor Abschiebung. Sie hofft, dass ihre angeschlagene Gesundheit die Betroffenen vor der "Rückführung" schützt. Denn "schwerwiegende krankheitsbedingte Gründe" können nach § 25 des Aufenthaltsgesetzes zu einem Bleiberecht führen. Allerdings hat Beate Niemeyer erlebt, dass auch die "Gefahr für Leib und Leben" immer wieder mit einem Trick aufgeschoben wird. "Die Menschen bekommen zum Beispiel bei Diabetes Medikamente für ein halbes Jahr mit und damit werden sie nicht mehr "sehenden Auges" in den Tod geschickt", beschreibt sie ihre Erfahrung.
Zahnschmerzen oder Suizidversuch?
Aber nicht nur die macht es unwahrscheinlich, dass die etwa dreißig Personen in Bielefeld, die zur Abschiebung angemeldet sind, ein Bleiberecht erhalten. Rüdiger Schmidt, Leiter des Bürgeramts der Stadt Bielefeld, mag an den schlechten Gesundheitszustand der hier lebenden Ashkali nicht so recht glauben. "Das haben Sie im Bereich Abschiebungen immer wieder, dass die plötzlich krank werden", erklärt er gegenüber dem WebWecker, beeilt sich aber zu versichern, dass er "nichts unterstellen" möchte. "Aber wenn Sie in Ihre Heimat abgeschoben werden sollen, haben Sie auch plötzlich Zahnschmerzen", unterstreicht Schmidt seine Skepsis.
Laut Beate Niemeyer geht es jedoch beileibe nicht um Zahnschmerzen: "Ein junger Mann hat vor gut einer Woche einen Selbstmordversuch mit Tabletten unternommen", berichtet sie. Der Twen sei schon länger psychisch labil, das könnten auch Gutachten bestätigen. "Er war wochenlang nicht ansprechbar, lag nur im Bett und hat die Wand angestarrt", beschreibt sie die Verfassung des Mannes in den vergangenen Wochen. Davor sei er bereits in Bethel in Behandlung gewesen.
Der Mann wäre wohl ein humanitärer Härtefall. Solche Fälle sammelt zur Zeit der Bundestagsabgeordnete Dieter Wiefelspütz (SPD). Der kritisiert, dass es nach wie vor zu so genannten "Kettenduldungen" kommt, bei denen den Menschen immer nur für ein bis sechs Monate eine Duldung erhalten. Dieser Zustand, in dem die Betroffenen immer zwischen Hoffen und Bangen schwanken, sollte eigentlich durch das neue Zuwanderungsgesetz beendet werden. Es sieht vor, dass achtzehn Monaten Duldung eine Aufenthaltserlaubnis folgen muss. "Innenminister Behrens sagt aber, dass das nur gilt, wenn die Menschen nicht selbst verschuldet in Deutschland sind", kritisiert Beate Niemeyer die Haltung Nordrhein Westfalens. "Und er sagt, dass die selbst verschuldet hier sind, weil sie ausreisen hätten können", so Niemeyer.
Sie will sich nicht auf die Härtefallregelung einlassen. "Das sind eigentlich alle Härtefälle", begründet sie ihre Haltung. Wer nicht krank sei, würde durch die Regelung mit der Abschiebung dafür bestraft. "Da geht das Wettrennen los, wer ist der Kränkste im ganzen Land", veranschaulicht Niemeyer das Problem. Der Bielefelder Flüchtlingsrat setzt sich deshalb für eine allgemeine Regelung zugunsten von Einzelfallentscheidungen ein.
Vielleicht kommt so eine Regelung zumindest für so genannte Altfälle bei der Innenministerkonferenz (IMK) am 23./24. Juni. Beate Niemeyer hat allerdings nicht allzu viel Hoffnung, bisher lehnte die IMK solche Regelungen ab. Auch das Bielefelder Ausländeramt will die Konferenz abwarten. "Mal kucken, ob da was mit Altfallregelung läuft", sagt Uwe Quermann und gibt vorerst Entwarnung für die Ashkali in Bielefeld: "In diesem Monat rechnen wir gar nicht mehr mit einer Abschiebung", erklärt Uwe Quermann.
Doch ab Juli könnte auch in Bielefeld die Abschiebemaschinerie wieder anlaufen. "Wir schreiben die Leute an und bitten sie freiwillig auszureisen, was uns lieber ist", erläutert Uwe Quermann das Prozedere. Wenn die Betroffenen der Bitte nicht nachkommen, werden sie spätestens vierzig Tage vor der geplanten Abschiebung bei der UNMIK angemeldet. Die kann bis sieben Tage vor dem Termin Widerspruch dagegen einlegen. Kommt kein Einspruch, kann abgeschoben werden.
Beate Niemeyer kritisiert, dass die Frist für die Prüfung viel zu kurz bemessen sei. "Die UNMIK müsste einen Behördenaufwand betreiben wie wir hier", sagt sie. Dabei stünden der UNMIK für diese Prüfung nur etwa ein halbes Dutzend Mitarbeiter zur Verfügung. Deren Aufgabe wird zudem gegenüber der Zeit vor dem Abschiebstopp dadurch erschwert, dass es keine Liste mit sicheren Orten mehr gibt. Aber auch die war wenig zuverlässig: Einer dieser sicheren Orte namens Vucitrn war eines der Zentren der Unruhen vor gut einem Jahr, eine der Bielefelder Ashkali-Familien sollte dorthin abgeschoben werden.
Doch bevor es zu Abschiebungen kommt, will der Bielefelder Flüchtlingsrat zum Start der Innenministerkonferenz am 23. Juni vor dem Bielefelder Rathaus die Problematik mit einer Kundgebung vor dem Bielefelder Rathaus publik machen. Unter anderem werden dort Ashkali über ihre Situation informieren, antirassistische Gruppen wollen Kettenduldung und Deportationen thematisieren. "Wir wollen mit der Kundgebung auch zeigen, dass Abschiebungen nicht ohne Widerstand abgehen werden", kündigt Beate Niemeyer an.
Die Kundgebung gegen die Abschiebungen in den Kosovo beginnt am Donnerstag, 23. Juni, um 16.30 Uhr, vor dem Bielefelder Rathaus.
webwecker@aulbi.de
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