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Mindener Tageblatt ,
11.06.2005 :
(Minden) "Sogar Nikoläuse haben uns verfemt" / Geschäftsaufgabe des Kaufhauses Lewkonja unter Druck der Nazi-Regierung / Freitod des Inhabers
Minden (y). Boykottaktionen, Ausgrenzung und zuletzt der Tod des jüdischen Besitzers: Auch in Minden geriet das Kaufhaus Lewkonja in den Sog der braunen Zeit.
Von Werner Dirks und Kristan Kossack
Im alteingesessenen Kaufhaus Lewkonja an der Hohnstraße (heute Scharn) wurden Konfektions- und Textilwaren angeboten. Das Geschäft war 1886 gegründet worden. Sein Inhaber, der Kaufmann Albert Lewkonja war gewählter Repräsentant der Mindener Synagogengemeinde.
Lewkonjas ältester Sohn Hans war 1923 als Teilhaber in das väterliche Geschäft eingetreten und wurde 1931 im Bürgerbuch der Stadt Minden als "Stellvertreter" im Synagogenvorstand genannt. Er gehörte darüber hinaus dem Vorstand der Ortsgruppe des "Reichsbundes jüdischer Frontsoldaten" an.
Auch in der Weserstadt hatten sich jüdische Weltkriegsteilnehmer zusammengetan, um den von völkischer Seite erhobenen Behauptungen, "die Juden seien im Weltkrieg Drückeberger" gewesen, entgegenzutreten. Nach den ersten Boykottaktionen gegen jüdische Geschäfte in Minden hörten die Angriffe gegen das Kaufhaus beziehungsweise seine Inhaber nicht mehr auf.
Damenschneiderinnung protestiert in der Presse
Nach einer Innungsversammlung in der Mindener Harmonie, bei der auch Lewkonjas Kaufhaus Stoffe gezeigt hatte, meldeten sich Mitglieder der Damenschneiderinnung in der Lokalpresse zu Wort: "Es dürfte allgemein als unangenehm empfunden worden sein, das gerade jetzt zum Zeitpunkt des Abwehrkampfes gegen die Vormachtstellung des Judentums ausgerechnet ein jüdisches Geschäft zu einer Ausstellung während einer Innungsversammlung Genehmigung erteilt worden ist."
Albert Lewkonja berichtete im Dezember 1933 an seinen bereits in England lebenden Sohn Gerhard über die Ausgrenzungen: "Das Dasein hier ist doch für uns alle unsagbares Herzweh, sogar die Nicoläuse (Kinder beim Martinssingen, die Verfasser) haben uns verfemt und kommen nicht in ein jüdisches Geschäft."
Hans Nordsiek schreibt in "Juden in Minden", dass Albert Lewkonja seit "1936 ständig von der Gestapo überwacht wurde, um einen Grund zu finden, sein Vermögen 'arisieren' zu können." Der Name Lewkonja ist im September 1937 aus dem Mindener Handelsregister gestrichen worden. Albert Lewkonja hatte unter dem Druck der antijüdischen Propagandaaktionen sein Geschäft an den Kaufmann Ludwig Kanzler abgetreten. Kanzler führte das Textilhaus unter seinem eigenen Namen weiter, bis es zum Kriegsende zerbombt wurde.
Familie verlässt Stadt nach Selbstmord
Der Kaufmann Albert Lewkonja entzog sich am 21. Dezember 1937 durch Selbstmord weiterer Verfolgung. Er ist auf dem jüdischen Friedhof (Nach den Bülten) an der Erikastraße begraben. Seine Ehefrau Emma, geborene Pfingst und seine Kinder Hans, Grete, Anne und Gerhard verließen Minden und konnten noch rechtzeitig aus Deutschland emigrieren, (siehe Bericht unten).
Werner Dirks ist Diplom-Sozialwissenschaftler und hat das Archiv der jüdischen Kultusgemeinde in Minden bearbeitet. Kristan Kossack hat als Publizist Beiträge zur Mindener Militärgeschichte und zum Kirchenkampf in Minden in der NS-Zeit verfasst.
Anmerkungen zu beiden Texten: 1. Kristin Rüter/Christian Hampel, Dokumentenband 1, M2C Nr. 137, 2. Bote an der Weser vom 15.04.1933, 3. Rüter/Hampel, Schicksale 1933 - 1945, Minden 1986, Seite 128, 4. Hans Nordsiek, Juden in Minden, Minden 1988, Seite 70, 5. Rüter/Hampel, Dokumentenband II, M1IP 1466, Bl. 77, 6. vgl. Urteil des Detmolder Landgerichts vom 10. Januar 1962 in: Staatsarchiv Detmold, D 20 B Nr. 1580.
11./12.06.2005
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