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Neue Osnabrücker Zeitung , 16.11.2000 :

"Täglich kleine Schritte auf Fremde zugehen"

Bramsche (hoj). Die Georgierin, die allein aus ihrem Heimatland geflüchtet ist und die Familie zurück lassen musste, die Großfamilie aus dem Kosovo, die in Deutschland Asyl gesucht hat – die Schicksale der Flüchtlinge im Haus "Arche" sind vielfältig. Um sich von der Arbeit der Arbeiterwohlfahrt in der Niedersachsenstraße und von der Lebenssituation ausländischer Flüchtlinge dort ein Bild zu machen, statteten am Diestagabend Mitglieder der Kreistagsfraktion der Grünen und des Ortsverbandes Bramsche der Einrichtung einen Besuch ab.

Gemeinsam mit Mitarbeitern des Hauses "Arche", Vertretern der AWO, Bürgermeister Ewald Fisse und Bewohnern des Hauses diskutierten sie die vielfältigen Probleme, mit denen AWO-Mitarbeiter und Flüchtlinge sich tagtäglich konfrontiert sehen. Das zurzeit wichtigste Anliegen sei die Wohnungsbeschaffung für die Flüchtlinge, erklärte der Leiter des Hauses, Volker Ballmann. Da die AWO die Betreuungsmaßnahmen im Haus "Arche" nach dem 14. Februar nicht mehr weiter führen werde (wir berichteten), müsse bis dahin für die Unterbringung der Flüchtlinge in geeignete Wohnungen gesorgt werden.

Gerade dies gestaltet sich jedoch schwierig, da von der Einzelperson bis zur zehnköpfigen Familie Wohnungsbedarf besteht. Rund 60 Flüchtlinge wohnen zurzeit noch in der "Arche" und werden durch AWO-Mitarbeiter betreut. Sobald die Verträge im April auslaufen, fällt diese Betreuung weg, und um die Flüchtlinge kümmert sich eine dezentrale Betreuungsstelle in Bersenbrück. "Dort ist dann eine Dreiviertel-Stelle für den gesamten Landkreis Osnabrück zuständig", erklärte Ballmann den Besuchern die Situation. Gemeinsames Einkaufen, Hilfestellung bei Verständigungsproblemen und nicht zuletzt die Kinderbetreuung, das alles falle dann wohl weg.

Auch bei den kleineren alltäglichen Problemen der Flüchtlinge in Bramsche wurden Missstände deutlich: zum Beispiel das System der Wertgutscheine, die die Flüchtlinge statt Bargeld als Zahlungsmittel zum Bestreiten ihrer Ausgaben erhalten. Diese seien, so Ingrid Cremer von den Grünen, eine Art von Entmündigung und mit Sicherheit nicht der gesellschaftlichen Integration der Flüchtlinge förderlich. In diesem wie in weiteren Punkten waren sich die Teilnehmer einig. Doch auch einige erfreuliche Aspekte gab es zu bereden: so lobten Ewald Fisse und Volker Ballmann die friedliche Gesamtatmosphäre, die um das Haus "Arche" herrsche. In den fast 15 Jahren seit der Eröffnung habe es nie größere Probleme mit den Anwohnern und Nachbarn gegeben. Dies führte der Leiter der Einrichtung auf zweierlei zurück: einerseits auf den Willen der Flüchtlinge zur Integration, andererseits auf die Politik des Handelns und nicht nur des Redens.

Besonders das offene Verhältnis unter den Flüchtlingen und zu den Nachbarn habe zu dieser speziellen Atmosphäre beigetragen. Abschließend waren sich alle Vertreter in einem Punkt ganz besonders einig; mit ironischem Blick auf den umstrittenen CDU-Begriff "Leitkultur" erging ein Aufruf an Jedermann: damit in Deutschland nicht eines Tages eine "Leid-Kultur" vorherrsche, müsse jeder täglich selbst aktiv kleine Schritte gehen und somit rechtsextremistischen Tendenzen vorbeugen. Ein Anfang wäre zum Beispiel, die Flüchtlinge in erster Linie als Menschen zu betrachten und ihnen den Respekt entgegenzubringen, den sie als Mensch verdient haben.


f.wiebrock@neue-oz.de

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