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Lippische Rundschau ,
09.10.1997 :
Schlänger Max Hollweg veröffentlicht seine Erlebnisse im Dritten Reich / "Unwissenheit ist erschreckend"
Von Sabine Ludwig
Schlangen/Kreis Lippe (LR). Als Zeitzeuge des SS-Terrors ist der Schlänger Max Hollweg ein gefragter Mann. "Bis Januar bin ich ausgebucht", lacht der 87-Jährige. Bei Video-Erstaufführungen über die Zeit zwischen 1933 und 1945 ist er stets dabei, um über seine Erfahrungen in der damaligen Zeit zu berichten. Jetzt hat er seine Erlebnisse in einem Buch zusammengefaßt. Der Titel: "Es ist unmöglich von dem zu schweigen, was ich erlebt habe. Zivilcourage im Dritten Reich". Vorgestellt wird das Buch am Samstag, 11. Oktober, 15.30 Uhr, in der Wewelsburg in Büren. Die Autorenlesung erfolgt im Rahmen der Geschichtsausstellung "Jehovas Zeugen unter dem NS-Regime", die dort bis zum 19. Oktober zu sehen ist.
Die Unwissenheit der Menschen heute ist für Hollweg erschreckend. Deshalb setzte er sich gut ein Jahr lang an den Schreibtisch und schrieb seine Erinnerungen nieder - in seiner Freizeit, denn tagsüber führt er noch seine Praxis als Heilpraktiker. "Das Aufschreiben bin ich der Nachwelt schuldig", erläuterte Hollweg in einem Gespräch mit der LR seine Beweggründe. Sich die Zeit von damals ins Gedächtnis zu rufen, ist der Schlänger gewohnt. "Als Zeitzeuge werden mir viele Fragen gestellt. Es ist nicht immer angenehm, sich an bestimmte Situationen und Erlebnisse zu erinnern. Aber man gewöhnt sich daran und denkt über vieles nach."
Hollweg ist sicher, dass ihm seine Vielseitigkeit das Leben gerettet hat. Ein Teil seiner Biographie ist dem Buch von Kirsten John "Mein Vater wird gesucht ... Häftlinge des Konzentrationslagers Wewelsburg", das seit November vergangenen Jahres im Buchhandel erhältlich ist, zu entnehmen. Der Heilpraktiker wurde 1910 als 16. Kind einer Bibelforscher-Familie in Remscheid geboren. Mit neun Jahren musste er sich sein Essen bei einem Bauern verdienen. Nach der Schulzeit arbeitete er zunächst als Knecht. Mit 17 Jahren begann er eine Ausbildung als Maurer. 1931 ließ er sich von den Zeugen Jehovas taufen und war anschließend zwei Jahre als Missionar in Prag tätig.
1933 kehrte er nach Deutschland zurück. Da Hollweg sich weigerte, sich einer nationalsozialistischen Vereinigung anzuschließen, verlor er immer wieder seine Arbeitsstelle - als Polier, Pflasterer und Hilfsarbeiter. Die Bibelforscher-Vereinigung war mittlerweile verboten worden. Trotzdem verteilten die Zeugen Jehovas in einer großangelegten Briefsendungs- und Flugblattaktion einen offenen Brief, in dem die Verbrechen des NS-Regimes angeprangert wurden. Hollweg war für die Verbreitung der Briefe an die Kommunalbehörde des Regierungsbezirks Koblenz verantwortlich.
Nach acht Tagen wurde Hollweg aus der Haft entlassen. Eine erneute Verhaftung erfolgte 1938. Für ein Vierteljahr kam er in Untersuchungshaft ins Polizeigefängnis nach Frankfurt. Er wurde durch die ständigen Verhöre, Misshandlungen und Einzelhaft magenkrank, wurde so ins Konzentrationslager Buchenwald eingeliefert.
Erlebnisse aus der Kindheit greift Hollweg in seinem Buch genauso auf wie die im KZ. Sein Stil ist nicht ernst, sondern bewußt mit viel Ironie durchsetzt. "Ich habe stets versucht, den Kopf oben zu behalten", berichtet Hollweg. Vor allem sein Glaube habe ihm geholfen, die Hoffnung nie aufzugeben sondern auf eine Veränderung zu warten. "Beim Schreiben meines Buches habe ich viele Nächte wach gelegen", gesteht Hollweg. "Denn ich musste bei der Wahrheit bleiben und durfte keinen belasten."
Nicht immer war es leicht für ihn, mutig nach vorn zu blicken. Beispielsweise sollte Hollweg während seiner Gefangenschaft nur neun Tage nach einer Leistenbruch-Operation wieder arbeiten. Bei der schweren Arbeit auf dem Holzhof brach die Wunde sofort wieder auf. Trotz klaffender Wunde versuchte er, weiterzuarbeiten - aus Furcht vor weiteren Mißhandlungen. Es folgt ein Wundstarrkrampf, und seine Glaubensbrüder brachten ihn erneut ins Revier.
Im Mai 1940 kam Hollweg nach Wewelsburg und wurde in verschiedenen Arbeitskommandos eingesetzt. Wegen seiner handwerklichen Fähigkeiten war er bei der Bauleitung geschätzt. Anschließend wurde er Assistent des SS-Arztes und Sanitäter. Im Umsiedlungslager lernte Hollweg nach 1943 seine spätere Frau Mathilde aus Doboy/Kroatien kennen. Direkt nach der Befreiung des Lagers kümmerte er sich um die ärztliche Versorgung der örtlichen Bevölkerung - bis er 1950 nach Schlangen zog.
Der Leser findet in dem Buch einen kleinen, subjektiven Einblick in private Episoden von Max Hollweg. Dessen Resümee lautet: "Nie die Hoffnung aufgeben, sondern auf Veränderung warten."
Max Hollweg: "Es ist unmöglich, von dem zu schweigen, was ich erlebt habe. Zivilcourage im Dritten Reich". 260 Seiten.
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