Westfalenpost ,
31.05.2005 :
"Ich bin einer der Letzten"
Von Kristina Hußmann
Rüthen. Roman Dabrowski redet mit lauter Stimme und hält dabei einen Zettel fest in seinen zitternden Händen. Das vergilbte Stück Papier dokumentiert die Entlassung des heute 87-Jährigen aus dem Konzentrationslager Auschwitz vor mehr als 60 Jahren. Von dem, was er dort erlebt hat, erzählt er in dieser Woche den Schülern der Rüthener Maximilian-Kolbe-Schule.
Seit kurz vor neun sitzen die Schüler der zehnten Klasse im Halbkreis um den 87-Jährigen, der in Polen, zwischen Katowitz und Breslau lebt, und hören ihm zu. Einige haben Block und Stift mitgebracht und schreiben mit, andere beobachten den Mann, der von einer Welt berichtet, die sie nie kennengelernt haben.
Roman Dabrowski hat sie erlebt. Mitten in ihr hat er gelebt. Für über ein Jahr im Konzentrationslager in Auschwitz. Häftling Nummer 1699. "Ein Jahr später", erinnert er sich, "als ich nach Hause durfte, waren von den Nummern 1600 bis 1700 nur neun Menschen ürbig." Er selbst habe da gerade noch 38 Kilo gewogen. "Augen wie ein Tier hätte ich gehabt, hat meine Mutter später zu mir gesagt." Viele Wochen danach habe er noch die Gewehre in seinem Rücken gespürt.
Der 87-Jährige erzählt von seiner Festnahme 1940. Ein Jugendlicher, der damals bei ihm war, hatte ein hitlerfeindliches Flugblatt bei sich getragen. Sie beide und ein dritter Mann mussten deshalb nach Auschwitz. Er erzählt von den Nächten im Lager: "38 Männer in einem Raum, für drei von uns einen Strohsack zum Schlafen. Für alle zwei Eimer. Für die Notdurft. Nicht so einfach im Dunkeln." Und erzählt von Tritten und Schlägen, von Krankheiten, Durchfall und Fieber. Auch von den Krematorien. Vom Tod. "Immer Unglück", sagt Roman Dabrowski leise.
In dem Klassenraum ist es still. Vorsichtig fragen die Schüler nach. Wie er wieder rausgekommen ist und ob man im Lager überhaupt etwas von der Außenwelt mitbekommen hätte. Dass die Klingel die Stunde vor ein paar Minuten beendet hat, scheinen sie nicht gehört zu haben. "Es ist sehr eindrucksvoll, das alles einmal von jemanden zu hören, der das erlebt hat", so der 17-jährige Hendrik in der Pause. "Er erklärt die Gerüche dort, beschreibt seine Gefühle. Es ist wirklich etwas anderes, das mal so hautnah zu hören und nicht nur in Büchern darüber zu lesen."
Möglich gemacht hat den Besuch übrigens das Maximilian-Kolbe-Werk, ein Hilfswerk für KZ-Überlebende, das diese Zeitzeugenbegegnungen seit vielen Jahren organisiert. Roman Dabrowski reist schon lange für das Hilfswerk nach Deutschland. Die Gespräche mit den jungen Menschen sind wichtig für ihn. "Ich bin einer der Letzten, die davon erzählen können", sagt er. Seiner Tochter habe er jetzt versprechen müssen, dass dieses seine letzte Fahrt gewesen ist: "Das habe ich aber nur gesagt, um sie zu beruhigen."
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