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Mindener Tageblatt , 03.06.2005 :

(Minden) Noch vieles auf den Weg bringen / MT-Stadtgespräch "Eine Heimat in der Fremde" / Ursprüngliche Wurzeln nicht vergessen

Minden (cko). Alle sieben MT-Stadtgespräch-Gäste sind Musterbeispiele gelungener Integration. Sie leben in Minden - und haben dort längst Wurzeln geschlagen. Dennoch: "Leicht haben wir es auch nicht immer gehabt", sagt Pilar Rodriguez im Haus am Dom.

Von Carsten Korfesmeyer

Die Spanierin erzählt ihren Lebensweg. Humorvoll zwar, doch zwischen den Zeilen lassen sich die Probleme eines Gastarbeiter-Kindes der frühen sechziger Jahre deutlich herauslesen. "Unsere Vermieterin war anfangs schrecklich unfreundlich", spricht sie.

Auf Ablehnung sei sie häufiger gestoßen. "Allein schon, weil ich nahezu alles durfte." Während deutsche Mädchen meist brav zu Hause sitzen mussten, zog die kleine Pilar fast ausschließlich mit Jungs um die Häuser. Das hatte Folgen. Noch gut kann sich Rodriguez daran erinnern, dass man sie deshalb oft "spanische Hure" nannte - eine Bezeichnung, die auch nach Jahrzehnten immer noch schmerzt.

Aufeinander zugehen und sich entdecken

Aber die 48-Jährige ist selbstbewusst. Deutsch lernte sie innerhalb von wenigen Wochen und wurde zur Dolmetscherin ihrer Landsleute. "Ich kannte bald jedes Geheimnis der Mindener Spanier", sagt die Tochter eines Schneiders. Einsam sei sie nie gewesen - und auch die Hauswirtin schloss das Mädchen schließlich ins Herz. "Die Menschen müssen mehr aufeinander zugehen", lautet ihr Ratschlag, damit das Zusammenleben zwischen Deutschen und Ausländern besser klappt.

Nach dieser Weisheit lebt Milan Stojanivic seit Jahrzehnten. Im Verein "Proleter Minden" macht sich der Mann aus Ex-Jugoslawien für die Integration stark. "Natürlich haben Ausländer ihre Probleme", stellt er in der von MT-Lokalchef Hans-Jürgen Amtage und MT-Redakteurin Monika Jäger moderierten Veranstaltung heraus.

Deshalb gelte es, Gemeinsamkeiten zu entdecken. Im Sport sieht der 66-Jährige dafür große Chancen. "Aber man muss es natürlich auch von beiden Seiten wollen", sagt er. Er fühlt sich in Minden seit 1970 pudelwohl, ohne jedoch seine Heimat zu vergessen.

Der frühere Gastarbeiter ("Ich lebe in zwei Staaten") hatte es jedoch vergleichsweise leicht, in Deutschland Fuß zu fassen. Wohnung und Auto standen für ihn bereit. "So gut hatten es meine Eltern nicht", erzählt Fatma Daldal. Als sie nach Minden kam, schlug der türkischen Familie sehr viel Ausländerfeindlichkeit entgegen. "Kaum ein Vermieter wollte Türken im Haus haben", sagt sie.

Mit solchen Sorgen hatte Tochter Mehtap nie zu kämpfen. Sie ist 13 Jahre alt - und Integration ist bei ihr nie ein Thema gewesen. "Ich bin so wie jedes andere Mädchen", erzählt sie. Ein Kopftuch trage sie höchstens bei Beerdigungen. Aus welchem Land sie stamme, werde sie (fast) nie gefragt.

Für mächtig Wirbel hat Otello Morleo gesorgt, als er im März 1962 nach Deutschland kam. Sein Zug fuhr an Minden vorbei, da zog der kleine Junge im Neeser Feld die Notbremse. "Das war vielleicht ein Theater", erinnert er sich noch ganz genau. Auch er lebte sich schnell ein und war als Übersetzer für seine Landsleute tätig. Die deutsche Sprache habe er dank seiner Freunde ruckzuck drauf gehabt.

Morleos Vater starb jung - und deshalb hatte der Sohn früh eine starke Verantwortung zu tragen. "Wir hatten Sorgen, über die Runden zu kommen", erzählt er. Doch ein unstreitig schöner Moment war für den Italiener der Tag, an dem er seine spätere Frau Anna kennen lernte. "Das war in einem Eiscafé", erzählt die Krankenschwester, die mit ihren Eltern aus Griechenland nach Minden gekommen war.

"Habe ihn kräftig zappeln gelassen"

Hartnäckig sei Otello gewesen. "Und ich habe ihn kräftig zappeln lassen." Doch ohne Komplikationen verlief die junge Liebe nicht. Otello wurde anfangs von Annas Vater strikt abgelehnt. Ob es an der Nationalität lag ist nicht mehr bekannt - jedenfalls gab er schließlich doch seinen Segen. Das Paar lebt heute mit italienischem Pass. Die deutsche Staatsbürgerschaft kam nie in Betracht, denn: "Wir brauchen keinen Pass um uns zu integrieren", stellt Otello Morleo klar.

Ausländerfeindlichkeit selbst nie erlebt

Aus Ghana kam Bernard Greenslade 1993 über Großbritannien nach Minden - und schließlich nach Bückeburg. "Ich habe eine wunderbare schöne deutsche Frau kennen gelernt", nennt er den Grund. Ausländerfeindlichkeit habe er selbst nie erlebt. Dennoch hält es der Krankenpfleger für wichtig, für afrikanisches Kulturgut zu werben. "Das fördert die Toleranz", so der 44-Jährige. Mit dem "African Culture Club" sei ein wichtiger Baustein in diese Richtung entstanden.

Das Leben der Ausländer ist auch in der Gegenwart nicht einfacher geworden. Rechtsextremismus oder Arbeitslosigkeit führen nach wie vor zu großen Schwierigkeiten. "Es ist noch vieles auf den Weg zu bringen, damit das Zusammenleben besser funktioniert", sagt Beatrix Dunker aus dem Publikum. Die Caritas-Mitarbeiterin kennt die sozialen Schwierigkeiten, mit denen Ausländer oft zu kämpfen haben. "Es muss deutlich mehr Einsatz kommen", erklärt sie.

Die Stadtgespräch-Gäste seien ihrer Ansicht nach keine Personen, die mit der allgemeinen Lage eines Ausländers vergleichbar sind. "Es gibt noch viele Barrieren", erklärt sie. Als grundsätzliches Problem sieht man dort jedoch die sprachliche Barriere. So machen sich am Schluss alle für mehr Förderunterricht in Deutsch stark. "Das ist der Schlüssel zur Integration", heißt es.

Das MT-Stadtgespräch ist Teil der Aktionswoche "Die Welt hat viele Gesichter". Dieses Projekt des Caritasverbandes Minden läuft noch bis Samstag, 4. Juni mit verschiedenen Veranstaltungen im Haus am Dom.


mt@mt-online.de

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