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WebWecker Bielefeld ,
01.06.2005 :
(Bad Oeynhausen) Recht ruhiges Hinterland
Am Montag rollte der erste Castor-Transport aus dem sächsischen Rossendorf nach Ahaus. Er führte aber nicht durch Bad Oeynhausen, die LKWs nebst Begleitschutz wählten die Südroute über Kamen. In Bad Oeynhausen demonstrierten trotzdem etwa sechzig Menschen gegen die ihrer Meinung nach gefährlichen und unsinnigen Transporte.
Von Mario A. Sarcletti
"Aufruhr, Widerstand – es gibt kein ruhiges Hinterland" skandierten einige Demonstranten am Montag, als sie durch das beschauliche Städtchen Bad Oeynhausen zogen. Die Parole war aber her Wunsch als Wirklichkeit, in Wahrheit blieb das Hinterland recht ruhig angesichts des ersten von drei Castor-Transporten. Etwa sechzig Menschen aus unterschiedlichsten politischen Spektren waren es, die in Bad Oeynhausen mit einer friedlichen Demonstration gegen Atommüll-Transporte und für die sofortige Stilllegung der Atomanlagen, die diesen Müll produzieren, auf die Straße gingen.
Dabei hatte die morgendliche Zeitungslektüre wieder einmal einen guten Grund geliefert gegen die Atomindustrie zu protestieren. Am Sonntag war bekannt geworden, dass es in der britischen Wiederaufbereitungsanlage in Sellafield erneut zu dem gekommen war, was gemeinhin als Zwischenfall bezeichnet wird. 83.000 hochradioaktiver Flüssigkeit waren in den vergangenen Monaten ausgetreten, pikanterweise in einer Anlage, in der deutscher Atommüll "bilanziert" wird.
Trotz der britischen Steilvorlage hielten sich die Proteste gegen den ersten Castor-Transport per LKW quer durch Deutschland in Grenzen, auch in Bad Oeynhausen. "Wir sind hier nicht so viele Menschen, wie wir sein sollten. Das liegt auch daran, dass der Transport über die Südroute rollt", vermutet einer der Organisatoren des Oeynhauser Protests. Aufgrund der Routenwahl ruft er dazu auf, nach der Demonstration noch nach Kamen zu fahren, wo ebenfalls Proteste organisiert wurden, oder nach Ahaus, dem Ziel der insgesamt drei Transporte bis Mitte Juni.
Ein Grußwort von Osnabrücker Atomkraftgegnern machte klar, dass es neben Bad Oeynhausen an der 600 Kilometer langen Straßenstrecke noch viele andere Orte gibt, sich gegen den Castor "querzustellen", wie ein altes Motto gegen Atommülltransporte lautet. Auch Osnabrück liegt an der "Nordroute", die dortigen Atomgegner wollen vor der eigenen Tür gegen den Castor protestieren. Nach Bad Oeynhausen schickten sie eine kreative Anregung für die nächsten Transporte. "Man sollte da drauf schreiben: Achtung! Strahlung gefährdet die Entwicklung ihres ungeborenen Kindes", lautet der an die Botschaften auf Zigarettenpackungen angelehnte Vorschlag.
Mit den Gesundheitsgefahren durch die Transporte setzte sich einer der Redner, Jürgen Bretschneider, auseinander. Der Allgemein- und Umweltmediziner erklärte, dass die Castoren vor allem Gamma- und Neutronenstrahlen freisetzen. "Bei den Neutronenstrahlen ist das gefährliche, dass die Wirkung mit abnehmender Intensität zunimmt", beschrieb er das Paradoxe an der Strahlung. Er kritisierte die Toleranzwerte, die für die Transporte festgelegt wurden: "Die Geschichte der Toleranzwerte ist eine Geschichte von Fehleinschätzungen", sagte Bretschneider und belegte dies mit der Entwicklung der Grenzwerte in den letzten fünfzig Jahren, die peu a peu dramatisch gesenkt wurden. "Strahlung ist immer gefährlich", machte er klar, dass Toleranzwerte eine trügerischer Sicherheit vorgaukeln. "Die Werte besagen, dass man ein Risiko eingeht, um weiter den Betrieb zu ermöglichen", erklärte Bretschneider.
Nach seiner Rede zog die Demonstration zur Mindener Straße, die die zwei Teile der A 30 verbindet. Für kurze Zeit wurde die Hauptverkehrsader blockiert. Autofahrer bekamen so einen Vorgeschmack auf das Verkehrschaos, das ein Castor-Transport in dem Kurort verursachen würde. Ein Redner versprach, dass die Demonstranten wiederkommen würden, sollte tatsächlich ein Castor mitten durch die Stadt rollen.
Er betonte aber auch, dass es den Demonstranten nicht nur darum ginge, einen Transport durch "ihre" Stadt zu verhindern, sondern gegen Atomkraft. "Denn die tötet, nicht nur bei einer Katastrophe", verwies er auf die Gefahren des Uranabbaus oder den Einsatz von mit Uran angereicherter Munition. Man wolle nicht, dass die Mindener Straße zu einer Straße des Todes werde, stellte er den Bezug zu der Straße her, auf der die Demonstranten etwa fünfzehn Minuten den Verkehr Richtung Minden blockierten. Die vierspurige Straße als "Straße des Lebens" zu bezeichnen hatte dann schon einen skurrilen Beigeschmack.
Nachdem der berüchtigte Bad Oeynhauser "Schwarze Block", zehn bis fünfzehn Personen, die Straße noch fünf Minuten länger als geplant blockiert hatten, löste sich die Demonstration auf. Einige Demonstranten fuhren anschließend nach Kamen. Ein Ziel, das auch andere Demobeteiligte hatten: "Beeilt euch, wir müssen noch nach Kamen", mahnte ein Polizeibeamter seinen Kollegen zur Eile.
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