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Initiative gegen Ausgrenzung in Kooperation mit Interkulturelles Bildungswerk im IBZ ,
01.06.2005 :
Ein Abend mit Jules Schelvis / Donnerstag 23.06.2005 / 19.30 Uhr / Eintritt frei / Theaterlabor - Tor 6, Hermann-Kleinewächter-Straße 4, 33602 Bielefeld
Jules Schelvis, einer der wenigen Überlebenden des Vernichtungslager Sobibors ist wieder unser Gast in Bielefeld und berichtet über seine Erfahrungen in den verschiedenen nationalsozialistischen Lagern, die er zwischen 1943 und 1945 erleben musste, nachdem er im Vernichtungslager Sobibor zur Zwangsarbeit selektiert wurde.
Jules Schelvis, 1921 in einer jüdischen Familie in Amsterdam geboren, wurde im Juni 1943 von Westerbork in das Vernichtungslager Sobibor deportiert. Bis auf wenige wurden die 3.006 jüdischen Frauen, Männer und Kinder dieses Transportes unmittelbar nach ihrer Ankunft in der Gaskammer ermordet. Jules Schelvis überlebte, für ihn begann eine zweijährige Odyssee durch mehrere deutsche Vernichtungs-, Konzentrations-, und Arbeitslager, u.a. Dorohucza, Lublin und Auschwitz. In Vaihingen an der Enz wurde er am 8.April 1945 durch die französischen Alliierten befreit.
Jules Schelvis gilt als einer der profundesten Kenner der Geschichte Sobibors, er wird aus seinem gerade erschienenem Buch "Reise durch die Finsternis" lesen, über die zwei Jahre in den diversen nationalsozialistischen Lagern berichten und wie immer, gerne Fragen aus dem Publikum beantworten.
"Die Generation dieses Jahrhunderts, die sich etwas eingehender mit der Judenverfolgung beschäftigen will, kann sich keine Vorstellung davon machen, was in Wirklichkeit passiert ist. Es ist möglich, dass ( ... ) sechzig Jahre danach ein Bild entstehen kann, das nicht mit der Wirklichkeit übereinstimmt", so Jules Schelvis.
Jules Schelvis: "Eine Reise durch die Finsternis. Ein Bericht über zwei Jahre in deutschen Konzentrations- und Vernichtungslagern." Reihe antifaschistischer Texte, Unrast Verlag, 192 S., 2005, 16 Euro
"Westerbork, Sobibor, Dorohucza, Radom, Lublin, Tomaszow, Auschwitz, Vaihingen", diese Orte sind auf dem Umschlag des neuen Titel von Jules Schelvis zu lesen, doch wer hat schon von Dorohucza oder Tomaszow gehört? Auch dem Autor, 1921 in einer jüdischen Familie in Amsterdam geboren, waren diese Orte unbekannt, bevor er sie auf seiner absurden Odyssee durch die diversen nationalsozialistischen Lager kennen lernen musste, die am 1.Juni 1943 mit der Deportation von Westerbork nach Sobibor begann.
Der Autor des Standardwerkes über das Vernichtungslager Sobibor gibt in seinem autobiographischen Bericht "Eine Reise durch die Finsternis" detailliert und schockierend Auskunft über seine Erlebnisse in diesen Lagern. Direkt nach seiner Befreiung während eines längeren Krankenhausaufenthaltes hielt Jules Schelvis seine Erlebnisse fest, 1982 erschien sein Bericht in den Niederlanden. Bis zum Vorliegen der deutschsprachigen Übersetzung hat es bedauerlicherweise noch einmal über zwanzig Jahre gedauert.
Jules Schelvis Erfahrungen dokumentieren konkret und drastisch die Verflechtung der unterschiedlichen Typen der nationalsozialistischen Lager und ihre engmaschige Vernetzung: So überlebt er Ghettoisierung in den Niederlanden, Konzentrations- und Deportationslager wie Westerbork, Vernichtungslager wie Sobibor, das Konzentrations- und Vernichtungslager Auschwitz, das Konzentrations- und Zwangsarbeitlager "Alter Fugplatz" in Lublin, Ghetto- und Arbeitslager wie Radom oder Tomaszow, Arbeitslager wie Dorohucza oder Vaihingen an der Enz, zudem Todesmärsche von einem Lager zum anderen, Erschießungsaktionen und "Vernichtung durch Arbeit".
Immer leiden die Häftlinge unter der Willkür ihrer Bewacher, insbesondere der SS, immer sind sie konfrontiert mit den denkbar ungünstigsten Bedingungen: mangelhafte und unzureichende Ernährung, keine Krankheitsversorgung, mehr als unzureichende hygienische Bedingungen. Ständige Begleiter sind Läuse, Typhus, die SS, ukrainisches Wachpersonal. Allerdings variieren die Bedingungen in den diversen Lagern graduell, dennoch entscheidend über Leben oder Tod.
Das Arbeitslager Vaihingen an der Enz, die entkräfteten Häftlinge mussten dort in einem Steinbruch Schwerstarbeit verrichten, bezeichnet der Autor auch als Vernichtungslager. "Hier kämpfte jeder um das nackte Überleben. Man musste aus eigener Kraft, mit bloßen Händen, geschwollenen Füßen und leerem Magen, den Kampf gegen die SS, die Einsamkeit, die Menschen ringsum, die Läuse, das Wetter und die Zeit führen. Für die Schwächsten, von denen die meisten schon drei Jahre oder länger unter der Naziherrschaft gelitten hatten, war es eine Frage, wie lange sie noch durchhalten konnten. Die Sterberate stieg rapide ( ... )", und das kurz vor Kriegsende.
Wie konnte Jules Schelvis, wie konnten Menschen diese erbarmungslose Verfolgung und Ausbeutung bis zum Letzten überleben? Es gibt keine eindeutige Ursache, eher günstige Umstände wie die tiefe Freundschaft zwischen den drei deportierten Niederländern Jules Schelvis, Leo de Vries und Joop Wins, die versuchten während ihrer sinnlosen Odyssee nicht getrennt zu werden, um sich gegenseitig moralischen und auch praktischen Halt zu geben. Das Erleben von Solidarität in äußerst prekären Verhältnissen und immer wieder unberechenbares Glück und unvorhersehbare Zufälle, hatten kurzfristig erst einmal das Leben, wie auch immer, statt den Tod zur Folge, aus heutiger Sicht fast unglaublich.
Auch der Taschenspiegel mit dem Porträt Rachels, Jules Schelvis erster Ehefrau, scheint eine Rolle zu spielen. Unmittelbar nach der Ankunft in Sobibor wird das Ehepaar Schelvis plötzlich getrennt, ein unerwarteter Abschied für immer, denn "Chel" wird wie fast alle Menschen dieses Transportes aus den Niederlanden sofort in der Gaskammer von Sobibor ermordet. Trotz der nüchternen Sprache wird der Schmerz über diesen Verlust mehr als deutlich. Jules Schelvis gelingt es, dieses Liebespfand die ganze folgende Zeit bei sich zu behalten, immer wieder findet er neue Verstecke für seinen Talisman.
Am 8. April 1945 erlebt Jules Schelvis aufgrund von Typhus mit dem Tode ringend in Vaihingen die unspektakuläre Befreiung durch die französische Armee. Sein Freund Leo de Vries, der seinen Weg durch die Lager teilte, starb kurz vor der Befreiung an Entkräftung. Joop Wins, den Dritten aus dem Trio, trifft er direkt nach seiner Rückkehr nach Amsterdam Ende Juni 1945 im ehemaligen Judenviertel zufällig auf der Straße wieder. Der Taschenspiegel kommt überaus symbolträchtig während der Rekonvaleszenz im Krankhaus plötzlich abhanden, Jules Schelvis vergisst ihn auf der Ablage vor dem Duschen. "Ich hatte das Kostbarste verloren, was ich in jenem Moment besaß", ein Erinnerungsstück an das alte Leben, das komplett ausgelöscht war, keine Anknüpfung an Vertrautes ist möglich.
Auch wenn es mittlerweile viele veröffentlichte Berichte von Überlebenden des Nationalsozialismus gibt, auch jetzt noch, sechzig Jahre nach Kriegsende macht es Sinn, sich für diese Zeitzeugnisse Zeit zu nehmen. Sicherlich war es für die Überlebenden alles andere als leicht, sich zu erinnern. Ihre Berichte sind einzigartige Dokumente, die Antworten auf teilweise immer noch ungeklärte Fragen geben.
"Die Generation dieses Jahrhunderts, die sich etwas eingehender mit der Judenverfolgung beschäftigen will, kann sich keine Vorstellung davon machen, was in Wirklichkeit passiert ist. Es ist möglich, dass zum Zeitpunkt der Herausgabe dieses Buches auf Deutsch, sechzig Jahre danach, in bereits existierenden und noch folgenden Publikationen ein Bild entstehen kann, dass nicht mit der Wirklichkeit übereinstimmt. Wer soll das dann noch beurteilen? Darum beschreibt der Autor äußerst genau, was ihm, als einem der wenigen, die sowohl Sobibor, Auschwitz als auch zahllose andere Lager überlebt haben, widerfahren ist“, so Jules Schelvis in Vorwort zu seiner "Reise durch die Finsternis". Dem ist nichts hinzuzufügen.
Wir bitten um Spenden: 250.000 Leben – eine Allee für die Opfer von Sobibor / Jeder Name eine Geschichte
250.000 Menschen, fast ausschließlich Juden und Jüdinnen aus Europa, wurden in dem Vernichtungslager Sobibor der "Aktion Reinhard“ in dem kurzen Zeitraum zwischen Juni 1942 und Oktober 1943 unmittelbar nach ihrer Ankunft in der Gaskammer ermordet. Am 14.Oktober 1943 führten die Häftlinge einen erfolgreichen Aufstand gegen die übermächtige Bewachung durch, das Vernichtungslager Sobibor wurde geschlossen, das Morden dort gestoppt. Das Kriegsende erlebten allerdings leider nur ca. 50 der ehemaligen Häftlinge Sobibors. Um die Spuren ihres Verbrechens zu beseitigen, planierten die Nationalsozialisten das Gelände und errichteten einen Bauernhof.
Die Täter zogen es vor zu schweigen, doch dank der Berichte der Überlebenden Sobibors, wissen wir heute von dem mörderischen Geschehen, es ist nicht vergessen. Auch wenn es immer wieder schmerzhaft ist und Wunden aufreißt, die Überlebenden fühlten sich gegenüber den Ermordeten moralisch verpflichtet, Zeugnis abzulegen.
Heute erinnert auf dem ehemaligen Lagergelände eine kleine Gedenkstätte an die Geschehnisse in Sobibor, in der sich Besucher und Besucherinnen über die Ereignisse in Sobibor informieren können. Die Gedenkstätte ist dem regionalem Heimatmuseum in Wlodawa angeschlossen. Der Aschehügel der Ermordeten ist als stetiges Mahnmal sichtbar, zudem errichtete der polnische Staat eine Skulptur, mit der an die Opfer erinnert wird. Bis auf eine Gedenktafel gibt es trotz deutscher Verantwortung für die Verbrechen keinerlei offizielle Unterstützung durch die bundesdeutsche Seite.
14. Oktober 2003 – 60. Jahrestag des Häftlingsaufstandes
Aus Anlass des 60. Jahrestages des Häftlingsaufstandes wurde auf dem Gelände des ehemaligen Vernichtungslager eine Gedenkallee eingerichtet. Diese Allee markiert den letzten Weg der Deportierten von der Rampe bis zur Gaskammer. Bäume wurden gepflanzt und Gedenksteine mit Namen einzelner Opfer oder Gruppen gesetzt. Für BesucherInnen wird die Topographie des bewaldeten Geländes sichtbar und nachvollziehbar. Zudem werden die Opfer der Anonymität der "großen Zahl" entrissen und als einzelne Personen sichtbar.
Jeder Name eine Geschichte
Zum Konzept der Gedenkallee gehört die Einrichtung eines Archivraums im Museum. Dieses Archiv bietet die Möglichkeit, den Ermordeten nicht nur ihren Namen sondern auch Fragmente ihrer abgebrochenen Leben zuzuordnen: Jede und jeder Ermordete war ein Mensch mit einer ganz persönlichen Geschichte, diese Menschen wurden aufgrund einer menschenverachtenden rassistischen und antisemitischen Ideologie der Fortführung und Gestaltung ihres Lebens beraubt.
In Zusammenarbeit mit dem Bildungswerk Stanislaw Hantz aus Kassel, der Stichting Sobibor aus den Niederlanden mit dem Überlebenden Jules Schelvis und nicht zuletzt der Gedenkstätte und dem Heimatmuseum in Wlodawa übernahmen wir, die Initiative gegen Ausgrenzung, ehrenamtlich die Gestaltung dieses Raumes. Angesichts der mörderischen nazistischen Vergangenheit Deutschlands fühlen wir uns verpflichtet, dieser verantwortungsvollen Aufgabe so gut wie möglich gerecht zu werden. Gleichzeitig bedeutet die Auseinandersetzung mit dem Vernichtungslager Sobibor gerade durch den persönlichen Kontakt mit den Überlebenden Jules Schelvis und Thomas Blatt, aber auch den anderen diesem Projekt verbundenen Menschen und Gruppen, eine Bereicherung.
Unsere Aufgabe im Rahmen des Projektes Gedenkallee beinhaltet zum einen die Einrichtung und Gestaltung eines Archivraumes im Museum, ein praktikables Konzept haben wir bereits entwickelt.
Zum anderen erstellen wir durch Rückfragen an Einzelpersonen oder Gruppen, die Steine für die Gedenkallee spenden, eine Art kurzes Dossier über die ermordeten Menschen: die uns bekannten Fragmente ihres Lebens (Wohnort; Beruf, Familie, Außergewöhnliches, ... ) werden schriftlich festgehalten, falls vorhanden werden Fotos, persönliche Briefe, etc. diesen Dossiers zugefügt und den BesucherInnen der Gedenkstätte zugänglich gemacht. Die Dossiers sollen in der Muttersprache des Opfers, in polnisch, englisch und deutsch lesbar sein.
Unsere Arbeit erfolgt ehrenamtlich und ohne finanzielles Budget. Das Museum in Wlodawa unterstützt uns logistisch, verfügt aber über kein finanzielles Budget, so dass wir auf Spenden angewiesen sind..
Wir unterstützen das Projekt "250.000 Leben – eine Allee für die Oper von Sobibor". Aufgrund erster Recherche und Zusammenarbeit mit lokalen Gruppen wurden für Menschen aus Ostwestfalen-Lippe erste Bäume gepflanzt und Steine gesetzt:
Frida Hecht, geb. 23.7.1888 in Herford, ermordet 28.05.1943 in Sobibor
Inge Dreyer, geb. 9.9.1926 in Bielefeld, ermordet 28.05.1943 in Sobibor
Hans Dreyer, geb. 23.03.1929 in Bielefeld, ermordet 28.05.1943 in Sobibor
Dies soll erst der Anfang sein, aus Bielefeld wurden zum Beispiel mindestens 10 Menschen im Vernichtungslager Sobibor ermordet. Die Gedenkstätte Sobibor begrüßt jede weitere Initiative für Gedenksteine in der Allee.
Spenden zur Finanzierung dieser und weiterer Gedenksteine und zur Unterstützung der Einrichtung und Gestaltung des Archivraumes bitte auf folgendes Konto, Spendenbescheinigungen können auf Nachfrage ausgestellt werden:
IBZ (Internationales Begegnungszentrum)
Sparkasse Bielefeld
Kontonummer: 7300 56 13
BLZ: 480 501 61
Stichwort: Sobibor
Kontakt:
Initiative gegen Ausgrenzung
c/o IBZ
Teutoburger Straße 106
33602 Bielefeld
r.kula@t-online.de
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