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Bielefelder Tageblatt (BW) / Neue Westfälische , 31.05.2005 :

"Es gibt keine guten und bösen Nationen" / KZ-Überlebender Treyster im Ceciliengymnasium

Mitte. Michail A. Treyster war 14 Jahre alt, als die deutsche Wehrmacht seine Heimat Minsk in Weißrussland überrollte. Zwei Jahre vegetierte er im Ghetto, das die Deutschen dort für Juden aus ganz Europa errichtet hatten. Als er von dort zur Vernichtung ins KZ verlegt worden war, gelang ihm die Flucht zu den Partisanen. Vor Schülerinnen und Schülern des Ceciliengymnasiums berichtete er von seinen Erfahrungen.

"Hätte ich mich nicht als 16-jährig und als Schuster ausgegeben, wäre ich mit vielen Frauen und Kindern gleich umgebracht worden", erzählt er. So kam er zur Arbeit in eine Schuhfabrik. Zwei seiner Meister dort waren üble Nazis, ein dritter war freundlich und menschlich. "Michel, warum bist du bloß als Jude geboren", sagte er häufig. Solche Unterschiede sind Michail Treyster wichtig. "Es gibt gute und böse Menschen überall", betont er. "Aber gute und böse Nationen, gute und böse Religionen, Herrenmenschen und Untermenschen gibt es nicht. Das ist die wichtigste Botschaft, die ich weitergeben will."

Aufmerksam hören die Jugendlichen zu und stellen immer wieder Fragen: "Wie konnten Sie aus dem KZ entkommen? - Gab es im Ghetto viele Selbstmorde? Haben Sie auch ein Mal daran gedacht, sich umzubringen? - Empfinden Sie heute noch Hass gegenüber den Deutschen?" Treyster meint, seine Jugend und Lebenskraft hätten ihn vor Verzweiflung und Selbsttötung geschützt. Aber er rechnet sich sein Überleben nicht als Verdienst an: "Ich war nicht besser als die, die ermordet wurden."

Dass er entkommen konnte, hat er als Auftrag verstanden. Zuerst als Auftrag zum Widerstand und Kampf, jetzt aber als Auftrag, seine Erfahrungen weiterzugeben, um dabei mitzuhelfen, dass sich solcher Wahnsinn niemals mehr wiederholt. "Die Deutschen haben sich von der Nazi-Verblendung gelöst, und ich habe viele Freunde hier gefunden", sagt Treyster und zitiert den Altbundespräsidenten von Weizsäcker. "Die neuen Generationen haben keine Verantwortung für das, was geschehen ist, aber sie haben eine Verantwortung für die Zukunft, dass es nie wieder geschieht!"

Mit langem Beifall danken die Schülerinnen und Schüler dem Gast. Viele, die noch Fragen haben, umringen ihn und machen ihm den Aufbruch schwer. "Sie haben mir gut zugehört", verabschiedet sich Treyster, "ich bin gern bei Ihnen gewesen".


lok-red.bielefeld@neue-westfaelische.de

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