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Lippische Landes-Zeitung , 30.05.2005 :

Musik und Geschichte / 60 Jahre nach Kriegsende - Konzert der Musikhochschule

Von Andreas Schwabe

Detmold. Bilder bleiben. Sie halten Gefühle an, können mahnen. "Guernica" von Picasso ist so ein Bild. Wer es heute sieht, weiß vielleicht nicht gleich, worum es darin geht. Er kann es nachlesen und das Bild dann besser verstehen. Musik verklingt. Die Zeit verwandelt sie. Noten helfen da wenig. Wenn sie wieder erklingt, ist sie eine andere. Frank Martins "in terra pax" ganz besonders. So jedenfalls der Eindruck am Freitag in der Kirche Heilig-Kreuz.

Frank Martin (1890 - 1974) war Schweizer. Das Oratorium "in terra pax" war ein Auftragswerk des Genfer Rundfunks aus dem Jahre 1944, also zu einem Zeitpunkt, als das Ende des Zweiten Weltkrieges absehbar war. Es klingt ein wenig befremdlich, wenn Florian Hesse den Komponisten im Programmheft zitiert: "Dauer und Besetzung des Werkes waren mir vorgeschrieben ... Ich schrieb von August bis Oktober, zeitweise mit den alliierten Armeen um die Wette laufend."

Der Tod ist ein Meister aus Deutschland, schrieb Rainer Maria Rilke. Theodor W. Adorno stellte fest, dass man nach Auschwitz keine Gedichte mehr schreiben könne. Die Geschichte hat ihm Recht gegeben. 60 Jahre nach der Zerstörung eines industriell organisierten Tötungsapparates kennt Deutschland keine kulturelle Identität mehr. In der Schweiz war das anders. Frank Martin konnte in seiner eigenen Sprache, in der die Tonalität ihm als Grundlage "wahrer und schöner Musik" geblieben war, mit mächtig auftrumpfendem Pathos die Affekte Angst, Schmerz, Sorge und schließlich Freude zu Gehör bringen. Nicht von ungefähr ließ er die ausgewählten Bibeltexte auf Französisch singen.

Der Ruf nach Gott

Im Angesicht des Schreckens ist der Ruf nach einem Gott verständlich, aber 60 Jahre nach Kriegsende kann man nicht mehr daran vorbeigehen, dass der Zweite Weltkrieg von Menschen gemacht wurde. Heute klingt der Satz "Und sieh, ich mache alles neu", den Martin zitiert, noch mehr nach Verdrängung als damals.

Gerade die Nachkriegsgeschichte Deutschlands war von heftigen Auseinandersetzungen um die Suche nach einem aufrechten Gang ohne Verdrängung geprägt. Ob dieser Weg gefunden wurde, ist immer noch nicht ausgemacht. Ein Gedenken an das Ende des Krieges hätte dem Rechnung zu tragen. Da ist Deutschland in einer anderen Situation als die Schweiz. Demut, Umsicht, Vorsicht wären immer noch die ersten Worte eines solchen Weges.

Eine Musik, die sich für Deutschland auf das Ende dieses Krieges beziehen will, hätte dem in Tonsprache, Besetzung, Affektgestaltung Rechnung zu tragen. Frank Martins Musik tut das nicht. Auch nicht in der Aufführung durch den Hochschulchor, dem Chor des städtischen Musikvereins Bünde, dem Detmolder Kammerorchester und den Solisten Andrea Gegner, Bettina Pieck, Max Ciolek, Markus Krause und Andreas Wolf unter Karl-Heinz Bloemeke.


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