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Mindener Tageblatt , 28.05.2005 :

"Out of Nigeria" - aber zu Hause in Minden / Felicia Olumat floh vor blutigen Religionskämpfen / Hier suchte sie einen Putzjob - und fand ein ganz neues Leben

Von Anja Peper

"Unter all den weißen Gesichtern in der Menge suchte sie nach einem schwarzen", erinnert sie sich. "Und jeden fragte ich: Do you speak English? Can you help me?" Das war 2000.

Deutschland sei zufällig das Ziel ihrer Flucht geworden, sagt sie. "Das war die Idee eines Bekannten." Niemand aus ihrer Familie wusste zu diesem Zeitpunkt, wo in aller Welt sie war. Über Asyl-Fragen und -Gesetze hatte sie sich überhaupt noch keine Gedanken gemacht. Schließlich fand sie am Bahnhof jemanden, der ihr half. Er brachte Felicia in eine katholische Kirche nach Hannover. Sie müsse politisches Asyl beantragen, sagte man ihr dort. In ihrem Heimatland Nigeria, dem bevölkerungsreichsten Land in Afrika, ist erst 1999 die Militärdiktatur beendet worden. Seitdem sind tausende von Menschen bei religiösen und ethnischen Konflikten zwischen Christen und Muslimen gestorben.

Felicia kam in das Asylbewerberheim nach Hille. Dort sah sie ihren ersten Schnee. Die Erinnerung an diesen einmaligen Tag lässt sie strahlen: "Es war der 24. Dezember 2000. Ich war so aufgeregt, als diese weiße Wolle vom Himmel fiel." Sie rannte raus, lief herum, befühlte den Schnee, fing ihn mit den Händen auf, probierte ihn. In der gleichen Nacht habe sie bei ihren Verwandten in Nigeria angerufen, um davon zu berichten. Vom Schnee ist sie immer noch fasziniert - aber die Kälte im deutschen Winter macht ihr trotzdem zu schaffen.

Trotz des Reichtums an natürlichen Ressourcen in Nigeria (unter anderem Erdöl- und Erdgasvorkommen) lebt mehr als die Hälfte der Bevölkerung unterhalb der Armutsgrenze. Ihre eigene finanzielle Situation sei aber gut gewesen, sagt Felicia heute. Sie wurde im christlichen Westen als eine von zwei Zwillingsschwestern geboren. Ihre Mutter ermöglichte beiden Mädchen ein Studium. Felicia wurde Bergwerksingenieurin. Die seit langem angespannte Situation in ihrer Heimat eskalierte, als das traditionelle muslimische Scharia-Recht eingeführt wurde. Dieses Rechtssystem sieht drakonische Strafen vor: Dieben wird die Hand abgeschlagen. Der Untreue beschuldigte Ehefrauen werden gesteinigt. Muslimische Milizen fordern, dass die Scharia für alle gelten müsse. Deshalb fürchtet die christliche Minderheit nicht nur neue Gewalt, sondern fühlt sich zu "Menschen zweiter Klasse" herabgesetzt.

"Dort kann man nur mit Glück überleben", sagt Felicia. Sie entschied sich zur Flucht. Auf die Frage, was sie vor ihrer Flucht überhaupt über Deutschland gewusst habe, antwortet sie spontan: "Julius Berger". Ein Bauunternehmen aus Wiesbaden? Was viele nicht wissen: Das Unternehmen ist mit rund 16.000 Mitarbeitern der größte private Arbeitgeber in Westafrika. Die deutsche Baufirma (Hoch- und Industriebau) kennt dort jeder. In Nigeria können sich viele der dort Angestellten eine Haushaltshilfe leisten. "Deutschland muss ein schönes Land sein", schloss Felicia.

Relativ schnell nach ihrer Ankunft in Deutschland machte sich die Bergwerksingenieurin auf die Suche nach einem Job - zunächst als Putzfrau. Bei der Jobsuche lernte sie den Sozialpädagogen Olaf Glaser kennen. Die ausgeschriebene Stelle war allerdings schon vergeben. Wie das Leben so spielt: Sie hat einen Job gesucht - was sie fand, war Liebe. Die beiden heirateten anderthalb Jahre später in Dänemark. Ihr Sohn Noah wird bald drei Jahre alt.

Auch beruflich steht Felicia mittlerweile auf eigenen Füßen: Seit zwei Jahren führt sie gemeinsam mit ihrem Ehemanndas afrikanische Geschäft "Afroshop.info" an der Poststraße in Minden, dass unter anderem afrikanische Spezialitäten, Kosmetika und Geschenkartikel auch per Internet verkauft. Ihre Verwandten seien heute "glücklich und stolz", dass sie sich ein neues Leben in Deutschland aufgebaut habe. Felicia ist, was man wohl eine "Powerfrau" nennt: Fleißig und energiegeladen - mit einem unbändigen Willen. Emotionalen Halt findet sie in der afrikanischen Gemeinde in Minden: "In der Kirche sind alle Brüder und Schwestern."

Schwarz und Weiß: Felicia Olumat-Glaser und Olaf Glaser sind ein faszinierendes Ehepaar. Sie sind gleich alt (39 Jahre), sie haben beide studiert und gleiches Bildungsnivau - aber kommen eben aus zwei völlig unterschiedlichen Kulturkreisen. Wenn Fernsehmoderator Günther Jauch bei "Wer wird Millionär?" dazu auffordert, Kinderlieder wie "Fuchs, du hast die ( ... ) gestohlen" richtig zu ergänzen, hat Felicia logischerweise keine Ahnung. Dafür musste sie ihrem Mann Olaf erklären, wie man das Pulver "Poundo Iyan" oder gefrorenen Stockfisch am besten zubereitet. Sie unterhalten sich auf Deutsch und Englisch im schnellen Wechsel. Natürlich ist so eine binationale Beziehung extrem bereichernd für die eigene Persönlichkeit - aber eben auch ein Stück anstrengender, komplizierter, intensiver.

Er meint: "Sie nimmt das Leben manchmal zu ernst und sollte die Dinge entspannter angehen." Sie sagt: "Ich mag nicht, dass er manchmal so chaotisch ist." Sie geht regelmäßig in die Kirche - er kann mit dieser Form institutionalisierter Religion nichts anfangen. Sie liebt afrikanische Filme im Soap-Opera-Stil - er findet die dialogreichen und actionarmen Streifen gruselig. Diese kleinen Reibungen findet Olaf Glaser ("Ich war schon immer ein global denkender Mensch") völlig normal: "Das ist doch auch nicht viel anders, wenn er aus Bayern kommt und sie aus Schleswig-Holstein."

"Die Welt hat viele Gesichter - auch in Minden", heißt das Motto der Caritas-Aktionswoche zum Thema Migration vom 30. Mai bis 4. Juni. "Heimat in der Fremde" ist auch Thema des MT-Stadtgesprächs am Dienstag, 31. Mai, im Haus am Dom.

28./29.05.2005
mt@mt-online.de

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