Lippische Landes-Zeitung ,
26.05.2005 :
Ortners Collagen jetzt im Rathaus / Teil der Synagogen-Ausstellung "Zu Gast" bis Ende des Jahres vor dem Trauzimmer
Oerlinghausen (cla). Teile der Ausstellung, die die Paderborner Künstlerin Renate Ortner Anfang des Jahres in der Oerlinghauser Synagoge gezeigt hat, sind jetzt im Rathaus zu sehen. Es handelt sich dabei um keine beliebige Auswahl, sondern um neun Bilder, die diejenigen jüdischen Oerlinghauser repräsentieren, derer nicht mit Gedenksteinen auf dem jüdischen Friedhof gedacht wird, sowie vier weiteren Bildern, die für Tod und Entkommen stehen.
Die Ausstellung ist auf Anregung von Peter Pantlen, dem Vorsitzenden des Oerlinghauser Kunstvereins, von der Synagoge ins Rathaus gelangt, vor allem, um sie in einem öffentlichen Gebäude auch denjenigen zugänglich zumachen, die keine speziellen Kunsträume aufsuchen. Bürgermeisterin Dr. Ursula Herbort hat dafür vor dem Trauzimmer Platz geschaffen: Sie ließ die Foto-Galerie ihrer Vorgänger bis zum Ende des Jahres entfernen. So lange stellt Ortner ihre Bilder zur Verfügung.
Die Resonanz in den ersten Tagen sei durchweg positiv gewesen, berichtete Herbort. Gerade vor dem Trauzimmer sei nahezu täglich Publikumsverkehr, und zwar vor allem von Leuten, die ansonsten nicht ins Rathaus kämen. Viel Gelegenheit zur Betrachtung bietet der Vorraum also. Auch wenn er, wie Ortner schmunzelnd meinte, nicht ganz so aufregend sei wie die Synagoge.
Drei der von Ortner dargestellten Personen wurden 1941 deportiert und in Lagern in Minsk und Riga umgebracht. Vier der übrigen sechs konnten der Deportation 1944 entkommen, zwei wanderten schon 1938 aus. Sie alle hat Ortner in ihren Collagen in kräftigen Farben abgebildet, die den Titel "Begegnungen" tragen.
Ihre Art der Darstellung zeigt die Menschen aufrecht und selbstbewusst, bereit zum Dialog. Sie stellt also nicht ihr Leiden in den Vordergrund, sondern ihre Lebendigkeit und bietet dem Gegenüber mit vielen Details vieles an Gedanken und Gefühlen an. Dadurch lädt sie ihn ein, Interesse an dem Abgebildeten und all seinem Reichtum zu gewinnen. Und macht den Verlust von "jemandem, den man selbst ausgeschlossen hat", umso mehr spürbar.
Für ihre Collagen, die Ortner eigens für die Synagoge angefertigt hatte, konnte sie auf einen großen Fundus an Papieren zurückgreifen, angefangen bei Brötchentüten über Postkarten bis hin zu Drucksachen und Verpackungen aller Art. Für das jüdische Leben wählte sie einen gelben Untergrund, den sie mit weiß abschwächte, wenn es sich um protestantische Juden handelte.
Die Collagen derjenigen, die ins Konzentrationslager kamen, sind links durch einen schwarzen Balken begrenzt, wer im Konzentrationslager ums Leben kam, dessen Bildbereich ist rechts und oben dunkel begrenzt. Männer sind kompakter als Frauen gearbeitet, Kinder zarter, filigraner. Die Ränder der Bilder derer, die auswandern konnten, arbeitete die Künstlerin je nach Zielland in unterschiedlichen Farben.
Ortners Bildsprache erschließt sich, wie schon in der Synagoge, über nebenstehende Nummern, die der jeweiligen Auflistung im beiliegenden Heft "Die Geschichte der Oerlinghauser Synagoge von 1803 bis 1995" entspricht. Dort erfahren die Besucher in knappster Form die wesentlichen Lebensdaten der betroffenen Juden. Die Ausstellung ist also auch eine Einladung zur Auseinandersetzung mit der Geschichte dieser Menschen und der Synagoge.
Zwei weitere Bilder sind als "Unorte" Sinnbilder für das Eingekerkertsein, Warten, Dahinsiechen und den gewaltsamen Tod im Konzentrationslager. Im "Neuen Land" hingegen sind Landstreifen wie Inseln der Hoffnung zu sehen.
26./27.05.2005
cla@neue-westfaelische.de
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