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Neue Westfälische , 26.05.2005 :

Flucht vor den Amerikanern und Briten zu den Eltern / Mit schwerem Gepäck von der holländischen Grenze nach Bad Salzuflen / Paderborn sank in Schutt und Asche (Senioren schreiben / Spezial)

Von meinem aufgelösten Arbeitsplatz nahe der holländischen Grenze flüchtend vor der näher rückenden Front der Engländer und Amerikaner, war ich bei Nacht und Nebel von Wehrmachtsfahrzeugen bis Münster mitgenommen worden. So stand ich in der Nacht vom 26. zum 27. März 1945 an der dortigen Kanalbrücke in der Nähe der Schleuse.

Mein Gepäck bestand aus einem schweren Rucksack und einem Koffer mit dem Rest meiner Habseligkeiten. Ich hatte keine Kraft mehr und musste irgendwie mitgenommen werden, denn Züge fuhren dort nicht mehr. Man munkelte, dass diese Brücke nachts gesprengt werden sollte. Ich stand und stand. Keines der schnell durchfahrenden Wehrmachtsfahrzeuge hielt auf mein Winken. Alle wollten noch schnell über die Brücke Richtung Osten, und ich wollte ins Lipperland zu meinen Eltern.

In letzter Minute klappte es dann doch noch. "Bis Oelde können wir Sie mitnehmen", hieß es. Weil in jedem Moment mit Tieffliegerbeschuss zu rechnen war, kamen wir im Dunkeln nur sehr langsam vorwärts. Um acht Uhr morgens wurde ich in Oelde abgesetzt.

Es wurde Mittag, bis mich ein nicht uniformierter Fahrer mit Zugmaschine und großem Anhänger auf den Beifahrersitz steigen ließ. Er sei Landwirt und müsse für die Wehrmacht Medikamente und Verbandsmaterial für Lazarette nach Bad Driburg bringen. Dann fahre er weiter nach Sylbach bei Lage. Mir war alles gleich, auch der Umweg, bloß weg von der Straße.

Ohne Zwischenfall kamen wir langsam bis Paderborn. Aber dort gab es Fliegeralarm. Wir ließen das Fahrzeug stehen und rannten zu einem Luftschutzkeller der Paderborner Brauerei. Der Fahrer schaute kurz hinein. "Alles voll, hier bleibe ich nicht", sagte er, und ich fuhr weiter mit. Über uns brummten schon feindliche Bombengeschwader, aber wir kamen noch bis auf den Kanalweg über das Eggegebirge nach Bad Driburg. An Weiterfahrt war nicht mehr zu denken.

Wir flüchteten in einen Straßengraben und mussten so mit ansehen, wie die schöne Domstadt durch Spreng- und Brandbomben in Schutt und Asche versank. Wir hatten wohl einen Schutzengel gehabt, denn im Brauereikeller gab es viele Tote. Es dunkelte schon, als wir endlich weiterfahren konnten. Bei der Abfahrt der Serpentinenstraße nach Driburg hinunter waren die Bremsen nicht mehr in Ordnung. Ich musste mich aufs Trittbrett stellen und bekam einen großen Bremsklotz in die Hand. "Den werfen Sie vor die Vorderräder, wenn ich Ihnen das Zeichen zum Abspringen gebe", hieß es. Um Mitternacht fanden wir ein Lazarett. Für den Weg von Sylbach nach Bad Salzuflen fand ich noch einen Fahrer. Nachts um vier Uhr klopfte ich meine völlig überraschten Eltern in Bad Salzuflen aus dem Bett.

Hertha Essen

26./27.05.2005
lok-red.bielefeld@neue-westfaelische.de

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