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Westfälisches Volksblatt / Westfalen-Blatt , 25.05.2005 :

Stadtgespräch / 40 Jahre am "Katzentisch" (121. Folge) / Trümmerstadt im Sommer 1945

In Paderborn gab es nach den Bombenangriffen vor 60 Jahren keine Straßen mehr, nur Pfade zwischen den Trümmerbergen. Die Tage nutzten die "Trümmerfrauen". Sie trugen vielfach die alleinige Verantwortung für die Familie im Kampf ums Überleben. Frauen und Kinder pickten Steine, retteten Balken und Bretter. Frauen begannen ihre Wohnungen oder Keller notdürftig herzurichten.

Am 15. April 1945 wurden im zerstörten Paderborn schon wieder 5.003 Bewohner registriert, am 1. Juni 17.401. Die britische Militärregierung verhängte ein vorläufiges Ende der "Rückwanderer". Ausgenommen waren Heimkehrer aus der Kriegsgefangenschaft und Arbeitskräfte, die unmittelnbar beim Wiederaufbau benötigt wurden: Eisenbahner, Postler, Pesag-Mitarbeiter, Maurer, Zimmerer, Elektriker, Anstreicher, Tischler, Helfer der Kirchen und der Caritas sowie Landwirte. Voraussetzung war jedoch der Nachweis einer Unterkunft, auch in Behelfsräumen.

Der spätere Bürgermeister Christoph Tölle: "Eindrucksvoll die emsige Tätigkeit der Bürger beim Schutträumen und der notdürftigen Instandsetzung ihrer Wohnungen. Von morgens bis abends sah man mit den wenigen Männern auch viele Frauen und Kinder beim Schutträumen und dem Heraussuchen von Ziegelsteinen, die vom Mörtel gesäubert wurden."

Hermann Bieker in "Die brennende Stadt": "Wer will das Loblied singen auf unsere Frauen, insbesondere auf die Witwen, die man tagein, tagaus auf den Trümmern Männerarbeit leisten sah!

Weihbischof Friedrich Maria Rintelen: "Bewundert habe ich im Sommer 1945 die Kraft und Macht der Natur. Da ragte aus einem Trümmerberg beim Dom, der Ast eines Apfelbaumes. Er fing an zu knospen und zu blühen, als wenn ihm nichts geschehen wäre. Bald blühte es in Fülle auf allen Trümmerhaufen: Trümmerblüten."

Die meisten Sorgen hatten die Überlebenden beim Nahrungsmittel-Beschaffen. Trinkwasser wurde aus Pumpen in Kleingärten gewonnen. Den Landwirten wurden Steck- und Zuckerrüben von den Feldern gestohlen. Das, was es auf Bezugsscheinen und Lebensmittelmarken gab, war zu wenig.

Persönliche Erinnerungen an den Sommer vor 60 Jahren: Überall lagen Bomben, Granaten und Panzerfäuste herum. Im Garten an der Ansgarstraße war eine Zentner-Bombe als Blindgänger im Erdreich. "Morgen früh an den Rand der Borchener Straße schaffen", bedeuteten die Verantwortlichen. Mein Vater und ich schleppten die schwere Bombe dorthin. Weiter oben ragte vor der Gärtnerei Lakebrink eine nicht detonierte Luftmine aus dem Erdreich. Deren Inhalt schleppten die Kinder weg zum "Feuermachen". Brandbomben wurden gezündet. Es war darauf zu achten, dass sie keinem Sprengsatz enthielten. Ein anderer Blindgänger einer Luftmine in der Widukindstraße blieb bis 1967 unentdeckt.

In der früheren Panzerkaserne an der Driburger Straße waren befreite russische Kriegsgefangene untergebracht, von denen noch zahlreiche starben und auf dem Ostfriedhof an der Bahnlinie bestattet wurden. Die früheren Soldaten waren besonders scharf auf selbst gebrannten Schnaps. Ein nach Russland Heimgekehrter traf dort einen deutschen Kriegsgefangenen aus Paderborn und bedeutete ihm mit einem Hinweis auf das Zwergenpaar im Gärtnereibetrieb Fenne am Ostfriedhof: "Zwerge gutt, Paderborn kaputt!"

Das Paderborner Standesamt verzeichnete Ende 1945 bei etwa 22.000 Einwohnern 1.210 Sterbefälle, 760 Geburten und 147 Eheschließungen. Mit einem Bürgerausschuss und dem ernannten hauptamtlichen Bürgermeister Dr. Norbert Fischer wurde behutsam wieder Demokratie geübt.

Georg Vockel

Die Kolumne Stadtgespräch erscheint mittwochs in dieser Zeitung.


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