Bielefelder Tageblatt (BW) / Neue Westfälische ,
24.05.2005 :
25 Jahre Nahariya - Bielefeld / Schwierige Zeiten trotz Sonne und Meer / Bielefelds israelische Partnerstadt Nahariya wandelt sich / Neue Einwanderer aus den Ländern der früheren Sowjetunion / Tourismus stagniert
Von Patrick Schlütter
Nahariya. Noch vor 15 Jahren galt die Küstenstadt neun Kilometer vor der Grenze zum Libanon als das touristische Zentrum im Norden Israels. Seit mehr als fünf Jahren stagniert der Tourismus. Von der Landwirtschaft leben nur noch drei Familien. Deshalb kämpft die Stadt um Besucher und möchte mit ihrem sieben Kilometer großen Strand wieder zum Badeort Nummer Eins des Landes werden.
Deutsche Juden, die von den Nationalsozialisten verfolgt wurden, gründeten 1934/35 Nahariya. Nur mit wenig Geld ausgestattet, begannen sie mit der Landwirtschaft. Die neuen Einwohner begannen in Landparzellen mit Kleinvieh und Ackerbau. Doch schon bald stellte sich heraus, dass die gebildeten deutschen Emigranten nicht die besten Landwirte waren. In Nahariya entwickelte sich deshalb sehr früh eine moderne Industrielandschaft, in der bis heute immer neue hochtechnologische Firmen entstehen.
Den Tourismus konnten die Stadt in den vergangenen Jahrzehnten sehr gut ausbauen. Nahariya verfügt mit sieben Kilometern Mittelmeerstrand über den größten im ganzen Land. Schwimmen, Angeln, Tauchen und Segeln sind nur einige der Aktivitäten. Der kleine Fluss Gaaton bildete den Mittelpunkt der Stadt. An ihm führt die Hauptstraße mit ihren Cafes und Geschäften entlang.
Den ersten großen touristischen Einbruch erlebte Nahariya 1990/91 während des Golfkriegs. Vor der Stadtgrenze trafen mehrfach irakische Raketen das Land. In den 90er-Jahren schien sich die Branche zu erholen. 1997 baute die Stadt die gesamte Strandpromenade aus. Moderne Plätze mit Konzertmöglichkeiten, Sitzgelegenheiten und Strandbars wurden gebaut.
Doch die inländischen Unruhen im Streit mit den Palästinensern führen seit mehr als fünf Jahren zu einem Einbruch im touristischen Geschäft. Heute gibt es sechs Hotels vor Ort. Die meisten Besucher kommen aus Israel. Europäer und Amerikaner sind meist zu Verwandtenbesuch im Land, auch die heißen Sommermonate mit 40 Grad im Schatten locken nur wenige Touristen an.
Mehr als 15.000 Einwanderer in den vergangenen zehn Jahren
Ein weiteres Problem bildet eine neue Einwanderungswelle, die auch das Stadtbild von Nahariya in den vergangenen Jahren geprägt hat. Seit zehn Jahren sind 15.000 jüdische Emigranten aus den Staaten der ehemaligen Sowjetunion in Nahariya sesshaft geworden.
Haggai Einav von der Stadtverwaltung: "Unsere größte Aufgabe besteht in der Integration. Die Gemeinsamkeiten liegen zunächst ausschließlich im Glauben."
Inzwischen ist die Einwohnerzahl auf 55.000 angewachsen. Nahariya ist damit die größte Stadt in West-Galiläa. Neue Siedlungen wurden gebaut und der Stau auf den Straßen scheint kein Ende zu nehmen. Lediglich die Eisenbahnlinie nach Tel Aviv verspricht ein wenig Entlastung. "Zurzeit wird die Linie bis nach Jerusalem wieder instand gesetzt. Dann sollte sich der Verkehrsfluss etwas beruhigen", sagt Einav.
Nahariya beginnt aber auch die eigene Geschichte immer mehr aufzuarbeiten. Der Stadtheimatpfleger Eli Bar-On und Andreas Meyer haben Bilder und Dokumente gesammelt. Im benachbarten Industriepark Tefen wird ein neues Museum zur Einwanderergeschichte der Stadtgründer eröffnet. "Bislang haben wir uns immer mit den Einzelschicksalen der verfolgten Juden befasst. Jetzt soll die Siedlergeschichte im Vordergrund stehen", sagt Ruthi Ofek von der Stadtverwaltung.
Anlässlich des 70-jährigen Bestehens gibt es das ganze Jahr über eine Reihe an Festlichkeiten. Während des Purim-Festivals, was so ähnlich ist wie Karneval, haben sich Kinder als Siedler verkleidet. Im August wird es eine große Schau am Strand geben, bei der an die 20.000 jüdischen Flüchtlinge gedacht werden soll, die illegal per Schiff nach Palästina gereist sind.
Zum ersten Mal wurde ein Mahnmal für die jüdischen Veteranen des Zweiten Weltkriegs in Nahariya aufgestellt. "Darauf haben viele alte Einwohner ihr ganzes Leben lang gewartet", sagt Einav.
Daran wird auch die politische Sprengkraft im Norden Israels deutlich. Während der amtierende Bürgermeister, Ron Frumer, mit europäischen Vorfahren viel Wert auf die Geschichte legt, hat sein Vorgänger und politischer Kontrahent eher wenig zur Bewahrung der Geschichte beigetragen. Doch kulturelle Werte und Einrichtung kosten natürlich auch Geld.
Ein Beispiel ist das neue Kulturzentrum. Vor zwei Jahren wurde mit dem 20-MillionenEuro-Bau der Bibliothek inklusive Veranstaltungssaal und Probenraum begonnen. Doch die Kosten überschlugen sich, so dass das Gebäude bis heute nicht fertiggestellt werden konnten. Auch die Finanzierung der Betriebskosten sei noch nicht sicher.
Den größten touristischen Vorteil hat Nahariya allerdings in der Frage der Sicherheit. Die Grenze zum Libanon führt zurzeit zu keinen großen Schwierigkeiten, die Palästinenser-Gebiete sind weit entfernt und terroristische Selbstmordanschläge hat es in Nahariya nicht gegeben. Weitere Informationen zu Bielefelds Partnerstadt auch im Internet: www. bielefeld.de
Bald wieder längere Aufenthalte / Acht Heeper Gymnasiasten besuchen die Amalschule in Nahariya
Nahariya/Bielefeld (pas). "Ich hatte zu keinem Zeitpunkt das Gefühl, es könnte gefährlich werden", sagt Max Tönsmann (17) nach einer Woche in Israel. Wie ihm erging es acht Schülern des Gymnasiums Reepen, die nach Israel reisten. Ihren Mitschülern die Angst vor einem Flug nach Nahariya zu nehmen, sehen sie als ihre wichtigste Aufgabe an.
Seit 1988 ist das Gymnasium Reepen mit der israelischen Amalschule freundschaftlich als Partnerschule verbunden. Jedes Jahre bereiste eine Gruppe das jeweils andere Land. Bis 1999 taten dies auch Bielefelder Schüler. Dann wurde es in Israel unruhiger, die politische Lage war vielen Eltern, Schülern und Lehrern nicht sicher genug.
Dennoch reiste jedes Jahr eine israelische Schülergruppe nach Bielefeld. Und die Heeper Schule veranstaltete auch jährlich eine neue Israel-Arbeitsgemeinschaft, in der die deutsch-jüdische Vergangenheit aufgearbeitet und die Geschichte des Staates Israels beleuchtet wird.
Zum 25-jährigen Bestehen der städtischen Partnerschaft und dem 70-Jährigen von Nahariya machten sich vier Lehrer und acht Schüler unter der Leitung von Albert Schalk wieder auf die Reise.
"Ein halbes Jahr lang musste ich meine Eltern überzeugen, dass ich überhaupt mitreisen durfte", berichtet Sarah Quinn. Wie der 16-Jährigen erging es vielen. Waren es am Anfang noch 20 Schüler, reisten zum Schluss lediglich acht.
Doch die waren nach einer Woche Israel in den Gastfamilien begeistert: "Die Eltern und Geschwister unserer Austauschschüler waren super freundlich. Ständig wurden wir eingeladen, lernten neue Freunde kennen und haben unglaublich viel gesehen", sagt Natalie Figge (16). Nur Jerusalem, das die Gruppe aus Zeitgründen nicht besuchen konnte, hätten die Schüler gerne gesehen. "Wir sind optimistisch, dass es demnächst wieder längere Aufenthalte geben wird - mit Jerusalem und dem Toten Meer als Ausflugsziel", sagt Schalk. Bis dahin müssen Lehrer und Schüler jedoch noch viel Überzeugungsarbeit leisten.
Einen ersten Schritt macht Max Tönsmann bereits am 31. Mai. Dann wird er während einer Podiumsdiskussion in der Uni mit Ex-Ministerin Gabriele Behler über seine Eindrücke der Reise berichten.
Die Heeper Lehrer wollen sich auch verstärkt um die finanzielle Seite der Reisen kümmern. Schalk: "Die Eltern haben immer weniger. Geld. Und eine Israelreise kostet mindestens 600 Euro." Bei mehreren Klassen- und Kursfahrten in kurzen Abständen sei das natürlich eine zusätzliche Belastung.
Der Austausch funktioniere aber bereits auch auf anderer Ebene. Im Internet haben die Schüler einen Chatroom eingerichtet, in dem sie sich regelmäßig unterhalten. Das linderte dann wohl auch die Schmerzen bei der Verabschiedung in Nahariya.
Zwei Städte feiern Partnerschaft
Nachdem eine Bielefelder Delegation mit Oberbürgermeister Eberhard David anlässlich des 25-jährigen Bestehens der Partnerschaft nach Nahariya gereist ist, folgt im Oktober der Gegenbesuch. Das Programm vom 24. bis 27. Oktober beginnt mit Projekttagen im Heeper Gymnasium. Am 25. Oktober ist die offizielle Veranstaltung mit Vertretern beider Städte. In der Sparkasse Stresemannstraße werden vom 26. Oktober bis zum 23. November die Werke israelischer und deutscher Künstler zu sehen sein. Zurzeit befindet sich die Ausstellung in Nahariya.
lok-red.bielefeld@neue-westfaelische.de
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