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WebWecker Bielefeld , 18.05.2005 :

NPD sucht die Straße und das Parlament

Am 4. Mai fand im Hotel Mügge in Oerlinghausen eine Wahlkampfveranstaltung der NPD statt. Denn auch in Ostwestfalen-Lippe treten die "Nationalen Sozialisten", wie ihr Pressesprecher die Partei nennt, im Großteil der Wahlkreise zur Landtagswahl an. Wie ihre Chancen dabei stehen, versuchte eine Veranstaltung in der Universität am vergangenen Donnerstag auszuloten.

Von Mario A. Sarcletti

"Die NPD auf dem Weg in den nordrhein-westfälischen Landtag?" Dieser Frage ging ein Vortrag, veranstaltet von den Studierendenvertretungen von Universität und Fachhochschule sowie der Antifa-West, am vergangenen Donnerstag auf den Grund. Gleich zu Beginn gab der Referent, Jürgen Peters vom "Antirassistischen Bildungsforum Rheinland", Teilentwarnung: "Zum Glück ist das eher eine rhetorische Frage", vermutet Peters, ließ aber sogleich die Warnung folgen: "Dennoch hat sich bei der NPD was getan." Die Partei, in den 70er und 80er Jahren laut Peters ein Altherrenverein, verfolge eine neue Strategie, "die wie Sachsen zeigt, auch durchaus Erfolg hat".

Um zu zeigen, was an der aktuellen Strategie neu ist, zeichnete Peters die Entwicklung der ältesten Partei der extremen Rechten in der Bundesrepublik nach. Nach ihrer Gründung 1964 verzeichnete die NPD bei Landtagswahlen anfangs große Erfolge, konnte bis zu 9,8 Prozent der Wählerstimmen auf sich vereinigen und zog in sieben Landtage ein. Der Abstieg begann 1969, als die Partei mit 4,3 Prozent den Einzug in den Bundestag verpasste, obwohl Umfragen vor der Wahl noch das Doppelte prognostiziert hatten.

Nach Streitigkeiten und einer Zersplitterung der rechtsextremen Szene - unter anderem standen militante, terroristische Neonazis standen der aufkommenden, sich bürgerlich gebenden "Neuen Rechten" gegenüber – drohte der Partei die Auflösung, sie war fast pleite. Die Rettung war ein Zusammengehen mit der Deutschen Volksunion. 1987 schaffte die "DVU-Liste D" den Einzug in die Bremer Bürgerschaft, zwei Jahre später erreichte sie bei den Kommunalwahlen in Frankfurt 6,6 Prozent der Stimmen.

1991 wurde Günther Deckert zum Parteivorsitzenden gewählt, der 1995 wegen Volksverhetzung und Aufstachelung zum Rassenhass zu zwei Jahren Haft verurteilt wurde. Seine Wahl führte zu einem Radikalisierungskurs der Partei. Gleichzeitig diskutierte die Jugendorganisation Junge Nationaldemokraten über eine neue Strategie, weg von parteiähnlichen Strukturen, hin zu losen Strukturen von Militanten.

Der nächste Bruch in der Entwicklung der Partei fand dann 1996 statt, Udo Voigt wurde zum Bundesvorsitzenden gewählt. Drei Elemente kennzeichnen für Jürgen Peters diesen Bruch. "Er hat die NPD gegenüber militanten Neonazis geöffnet", beschrieb er eine der Entwicklungen. Anfang der 90er Jahre hatten die Militanten durch das der Serie von Brandanschlägen folgende Verbot von Organisationen wie Freiheitlicher Arbeiterpartei (FAP) oder Nationalistischer Front, die ihre Zentrale in der Bielefelder Bleichstraße und später in Pivitsheide bei Detmold hatte, ihre Strukturen verloren.

Unter Voigt begann die NPD des Weiteren ihr "Drei-Säulen-Konzept" umzusetzen. "Die drei Säulen hießen Kampf um die Parlamente, Kampf um die Straße, Kampf um die Köpfe", erläutert Jürgen Peters das Konzept. Der Kampf um die Straße führte seit 1997 zu immer mehr Aufmärschen, "sodass sie es schafften die Neonazis hinter sich zu sammeln", so Peters. Außerdem dehnte die Partei ihre Aktivitäten in den vorpolitischen Raum aus, Konzerte oder auch Fußballspiele sollen vor allem Jüngeren den "Spaß an nationalen Events" vermitteln.

Mit der Wahl Voigts fand bei der NPD auch ein programmatischer Wandel statt, aktuellere Themen wie die soziale Frage fanden verstärkt Beachtung. "Aber auch heute noch ist Nostalgisches auf dem Tableau", weiß Peters, dass Geschichtsrevisionismus und Holocaustleugnung nach wie vor Standpunkte der "Nationalen Sozialisten" sind.

Die aktuellste Entwicklung der Partei ist die Integration der Freien Kameradschaften, zwar nach dem Führerprinzip organisierten, aber sonst eher lose verbundenen Gruppen von Neonazis. Anhand von Dias zeigte Jürgen Peters, dass NPD und Kameradschaften noch im Jahr 2000 zum "2. Tag des Nationalen Widerstands" miteinander um die Vorherrschaft in der rechtsextremen Szene konkurrierten.

Weitere Dias belegten die Zusammenarbeit der unterschiedlichen rechtsextremen Strömungen in der NPD heute. Peters zeigte Bilder der Nazikader Thomas Wulff, Ralph Tegethoff, früher FAP, und Thorsten Heise. "Die sind jetzt alle in die NPD eingetreten", erklärte Peters. Der 3. stellvertretende Vorsitzende im Landesvorstand Claus Cremer hat die Aufgabe, die Freien Kameradschaften an die Partei anzubinden. Auch der Landesvorsitzende Stephan Haase kommt als ehemaliger Stützpunktleiter der Nationalistischen Front aus der militanten Szene.

Die Zusammenarbeit zeigt sich auch in Wahlkämpfen: Die Kameraden bewachen die Wahlkampfstände der NPD, auch beim Sammeln von Unterstützungsunterschriften für die Wahlkreiskandidaten greifen die Freien Kameradschaften der NPD unter die Arme. Der Hamburger Nazikader Christian Worch, ein Gegner der Zusammenarbeit, möchte dafür jedoch Bares sehen.

Die Unterstützung scheint sich bezahlt zu machen, zu den Landtagswahlen tritt die Partei in 109 von 128 Wahlkreisen an. Und das obwohl die Partei im Land nur 550 Mitglieder hat. Die geringe Mitgliederzahl führt Jürgen Peters auch auf den V-Mann-Skandal im Zusammenhang mit dem NPD-Verbotsverfahren zurück. "Der hat fast die ganze Führungsspitze in Nordrhein-Westfalen betroffen", so Peters. Unter anderem wurde der Landesvorsitzende Udo Holtmann als einer der V-Männer des Verfassungsschutzes in der Partei enttarnt.

Die Zusammenarbeit von NPD, DVU und Freien Kameradschaften spiegelt sich auch in der Landesliste wieder, an deren Spitze Udo Voigt steht. Ab Platz 8 wurden auf ihr auch Mitglieder der Kameradschaften aufgestellt, auf Platz 15 folgt ein Vertreter der DVU. Auch in den Wahlkreisen in Ostwestfalen-Lippe kandidieren Mitglieder von Freien Kameradschaften für die NPD, in Minden etwa Rainer Müller, gleichzeitig dortiger NPD-Vorsitzender. In der Weserstadt tragen die NPD-Plakate den Zusatz: "Mit Unterstützung der DVU und autonomer Nationalisten".

Auch der Bielefelder Kameradschaftsführer Bernd Stehmann spricht sich für die Unterstützung der Partei durch die Freien Kameradschaften aus. Die NPD selbst ist in der Stadt nach der Einschätzung von Peters allerdings sehr schwach. "Der Kreisverband macht praktisch nichts, die Kandidaten sind allesamt keine Bielefelder", beschrieb er den Zustand der Partei in Bielefeld.

Dass die Partei in den nordrhein-westfälischen Landtag einzieht, erwartet Peters nicht. Er vermutet, dass sie ein bis zwei Prozent der Stimmen auf sich vereinigen kann. Gegenüber den 0,03 Prozent ein erheblicher Zuwachs, damals stellte die Partei nur in wenigen Wahlkreisen Direktkandidaten. "Wenn sie diesmal über ein Prozent käme, wäre das ein Erfolg für sie", lautete seine Einschätzung. Denn dann würde die Partei Wahlkampfkostenrückerstattung bekommen.

Ein Erfolg wäre es seiner Meinung nach auch für die NPD, wenn sie mehr Stimmen erhielte als die Republikaner. "Wenn die NPD im Verhältnis zu den Reps gut abschneidet, wird es zu einer Zusammenarbeit kommen", prognostiziert Peters. Noch lehnen die Republikaner eine Kooperation ab, die Front bröckelt jedoch. In Hamburg löste sich der Landesvorstand der Reps selbst auf, seine Mitglieder traten in die NPD ein. Anschließend forderten Republikaner aus Berlin, Sachsen und Baden-Württemberg in einer "Hamburger Signal" genannten Erklärung den "Schulterschluß aller Deutschen ... , die auch in Zukunft deutsch sein wollen".

Einen Erfolg können die Nationalen Sozialisten in NRW bereits verzeichnen. Immer wieder können sie - meist unbehelligt - an Infoständen für sich werben. Für Jürgen Peters ist das eine bedrohliche Entwicklung, die es im Auge zu behalten gilt: "Man muss darauf schauen wo sie auf die Straße gehen und ob sie damit Erfolg haben. Weil, wenn sie damit Erfolg haben, werden sie verstärkt auftreten", warnte er die Besucher der informativen Veranstaltung.


webwecker@aulbi.de

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