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Bielefelder Tageblatt (BW) / Neue Westfälische , 14.05.2005 :

Kommentar / Bielefeld 60 Jahre nach Kriegsende / Wieder mehr zupacken

Von Wilfried Massmann

Da ist es wieder - Pfingsten. das liebliche Fest. Goethe hat die von ihrem Ursprung her am wenigsten bekannten christlichen Feiertage frühlingsfroh besungen. Viele Bielefelder streifen auch 2005 durch Auen, erwandern den Teutoburger Wald, spazieren auf der Promenade oder durch wohngebietsnahe Grünzüge, besuchen und besichtigen den Botanischen Garten mit seiner verschwenderischen Pracht.

"Bielefeld ist ein blühender Ort", war schon 1822 in "Weckers Wanderungen" zu lesen. "Die Gegend um Bielefeld ist eine der lieblichsten Westfalens ... "

Doch nicht nur Frühlingsgefühle und Pfingstfreude pulsieren in uns. So mancher hat in diesen Tagen an das Ende des Zweiten Weltkriegs und die Folgejahre gedacht, denken müssen, darüber geredet oder davon gelesen. "Heute noch sind die Spuren von 40 Luftangriffen, die 40 Prozent der Stadt auslöschten, nicht vollends getilgt, sehen wir Trümmer und erschrecken vor den skelettenen Gleichnissen eines grausigen Fassadendaseins, das einmal jegliche Lebensbemühungen zu tragischer Maske versteinern wollte", schrieb vor 50 Jahren - 1955 - der Bielefelder Feuilletonist Dr. Kurt Uthoff.

1,5 Millionen Tonnen Schutt wurden damals "vor die Tore der Stadt" gefahren. Der Rest von 15.700 kriegszerstörten Wohnungen. 16.000 neue wurden gebaut, 10.000 fehlten noch. Ein Thema, das den Alltag zahlloser Menschen beherrschte.

Durch Um- und Zuzug, vor allem von Flüchtlingen, wuchs die Zahl der Bevölkerung trotz vieler Kriegstoter von 1939 bis 1955 um 40.000. Der Ruf der krisenfesten Bielefelder Industrie wirkte wie ein saugender Magnet. Und die Köpfe im Rathaus rauchten.

60 Jahre danach tragen noch immer viele Menschen Narben dieses Krieges davon, körperlich oder seelisch. Auch offene Bauwunden, etwa an der Obernstraße, sind nach wie vor zu erkennen.

60 Jahre danach wird aber auch oft geklagt und gejammert, als seien die Bomben erst vor wenigen Wochen eingeschlagen und raubten jede Hoffnung. Sicher haben Eltern und Großeltern überwiegend mehr ertragen müssen als die meisten der jetzt lebenden und oft klagenden Angehörigen einer Hätschel-Generation.

Sicher hängt jedem das Hemd näher als der Rock, empfindet der Mensch gegenwärtige Probleme als die größten. Doch der Eindruck bleibt: Der Wohlstand ist den meisten nicht gut bekommen, diese Generation bejammert sich zu oft zu gern am liebsten selbst. Es verdient nicht nur Respekt, sondern Bewunderung, mit wie wenigen Mitteln und wie wenigen Krediten nach dem Krieg angepackt und aufgebaut worden ist.

"Die Bevölkerung in Bielefeld spuckte in die Hände, griff zum Schippenstiel, und räumte den Schutt aus ... ", lesen wir in den Annalen. Etwas Rückbesinnung tut not. Es wird zu viel geredet, zerredet, bürokratisch verplant, lustlos vertan. Mag sein, dass der Zeitgeist Orientierungslosigkeit bewirkt und Beliebigkeit befördert hat. Mehr Zuversicht und kräftiges Zupacken kann auch uns heute nicht schaden.

14./15.05.2005
lok-red.bielefeld@neue-westfaelische.de

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