Deister- und Weserzeitung ,
14.05.2005 :
Intensive Forschung, viele Dokumente und zahlreiche Zeitzeugen / Die Serie "60 Jahre Kriegsende" schilderte Schicksale der Opfergruppen und ging den Erlebnissen der Hamelner Bevölkerung nach
Von Wolfhard F. Truchseß
Hameln. Es war der 9. Februar, als die Dewezet Zeitzeugen aufrief, uns Dokumente, Tagebuchaufzeichnungen, Fotos oder sich selbst zur Verfügung zu stellen. Die Reaktion darauf war anfangs zögerlich, bald aber wurden wir überschwemmt mit Hinweisen, Funden aus dem Familienerbe, Erlebnisberichten und einer großen Bereitschaft, selbst über eigene Erlebnisse oder die Erzählungen der Eltern und Verwandten aus dieser Zeit zu berichten. Auch Menschen, die damals Hitler auf den Leim gegangen waren, stellten sich ihrer Vergangenheit und gaben bereitwillig Auskunft ("Wir waren kleine Nazis"). Längst wissen sie, dass sie damals missbraucht wurden, dass die Geschehnisse unter der faschistischen Diktatur, die Verbrechen an Juden, politischen Gegnern, Sinti und Roma, Homosexuellen und geknechteten Zwangsarbeitern, sich nie wiederholen dürfen. Die vielen "kleinen Nazis" von damals sind heute überzeugte Demokraten. Nicht wenige von ihnen haben sich während unserer Interviews traumatische Erlebnisse von der Seele geredet. Wir waren teilweise die ersten, denen sie ihre Erlebnisse schilderten.
Von Anfang an hatten wir die Serie "60 Jahre Kriegsende" als Mischung aus historischen Dokumenten und Berichten von Zeitzeugen geplant. Es ging dabei nicht um die militärischen Ereignisse. Es ging uns um die menschlichen Schicksale der letzten hier lebenden Juden, der Zwangsarbeiter und der Zuchthausinsassen. Es ist das Verdienst von Bernhard Gelderblom, dass er sich mit seiner intensiven und zeitaufwändigen Forschung zum Sprachrohr dieser Sprachlosen gemacht hat und der Serie "60 Jahre Kriegsende" damit ein besonders tiefgehendes dokumentarisches Gewicht gab. Und es ging uns um das Erleben, Fühlen und Denken der hiesigen Bevölkerung.
Wir sind mit der fast genau zwei Monate erscheinenden Serie den Spuren von vorsichtigem Widerstand nachgegangen, haben neue Informationen zur Hamelner Stadtgeschichte veröffentlicht. Nicht alle Berichte hielten der doppelten Recherche nach anderen gesicherten Quellen stand, manches Erlebte war von den Zeitzeugen sehr subjektiv geschildert, aber auch deshalb wertvoll. Denn wir wollten auch die Menschen zu Wort kommen lassen, die in den letzten Kriegstagen nur eine Sorge kannten: Wie können wir überleben?
Manche Information kam erst jetzt, 60 Jahre nach dem Ende des Zweiten Weltkriegs, ans Licht, weil die Betroffenen nicht mehr am Leben sind und Verwandte nun erst Zeugnis ablegten. Wer jetzt im hohen Alter erzählte, der weiß, dass er oder sie weitere Jahrestage dieser Art womöglich nicht mehr erleben wird und das Vergangene dann in Vergessenheit geraten könnte.
Das Ende des Zweiten Weltkriegs markierte für einen kleinen Teil der in Deutschland Lebenden einen ganz bewusst erlebten Akt der Befreiung: Die Menschen in den Konzentrationslagern, die Zwangsarbeiter, Gewerkschafter, Sozialdemokraten und Kommunisten, die politischen Gefangenen in Zuchthäusern. Ihrer Geschichte in Hameln hat sich der Historiker Bernhard Gelderblom gewidmet. Ohne seine langjährige Forschungsarbeit wären diese Hamelner Schicksale vermutlich längst in Vergessenheit geraten.
Für die anderen Menschen war es das Ende des Kriegsschreckens, das Ende der Bombenangriffe und des Lebens in den Luftschutzkellern, für sie war es das Ende Deutschlands. Sie fürchteten sich vor dem, was kommen würde.
Ihren Schicksalen, gleich auf welcher Seite sie standen, sind wir mit der Serie "60 Jahre Kriegsende" nachgegangen. In einem Buch, das spätestens zum Jahresende erscheinen soll, kann all dies noch einmal nachgelesen werden.
14./15.05.2005
redaktion@dewezet.de
|