Tageblatt für Enger und Spenge / Neue Westfälische ,
09.05.2005 :
Geschichtsschreibung ohne Tabus / Zentrale Gedenkfeier des Kreises Herford mit Kranzniederlegungen
Von Britta Bohnenkamp-Schmidt
Enger. Zu einer zentralen Gedenkfeier anlässlich des offiziellen Kriegsendes am 8. Mai vor 60 Jahren hatte am Sonntagnachmittag der Kreis Herford mit seinen Städten und Gemeinden nach Enger eingeladen. Etwa 80 Interessierte kamen in der Innenstadt zusammen, wo in nur wenigen Metern Entfernung voneinander sowohl am Gedenkstein für die Opfer des Nazi-Terrors als auch am Heimkehrermahnmal Kränze niedergelegt wurden.
Bürgermeister Klaus Rieke erinnerte an die Geschehnisse des Zweiten Weltkrieges als "einschneidendste Ereignisse im 20. Jahrhundert", an deren Ende eine neue Weltordnung gestanden habe. Wichtig sei, so betonte er, dass die Erinnerung im Bewusstsein der Menschen immer einen zentralen Platz einnehme.
Dem schloss sich auch Landrätin Lieselore Curländer an, die in ihrer Ansprache an die Zuhörer appellierte, die heute bestehende Freiheit zum Schutz von Recht und Gerechtigkeit zu nutzen. "Der Wille zu Verständigung und Ausgleich" müsse den Menschen "eine klare Zielvorgabe" sein, erklärte die Landrätin und erinnerte daran, dass sich "Krieg und Verfolgung, Mord und Zwangsarbeit, Euthanasie und andere Abscheulichkeiten der Zwangsherrschaft" während des Zweiten Weltkrieges auch "direkt vor unserer Haustür" abgespielt haben.
Belege dafür lieferte der heimische Historiker Norbert Sahrhage, als er vor dem Gedenkstein in der Engeraner Renteistraße an die 180 Juden aus dem Kreis Herford erinnerte, die in Lagern der Nationalsozialisten ermordet wurden.
"Opfer des Nazi-Terrors" – so die Inschrift des Steines – kamen hier aber auch, wie Sahrhage berichtete, aus den Reihen der Sinti und Roma, der Sozialdemokraten und Kommunisten sowie aus den Kreisen der Homosexuellen oder der Zeugen Jehovas.
Das Denkmal der Kriegsgefangenen, das auf einen Antrag der Engeraner Ingmar und Helge Probst in die Feierlichkeiten einbezogen wurde, müsse aus heutiger Sicht der historischen Forschung "ambivalent" betrachtet werden, führte Norbert Sahrhage aus. Denn die Angehörigen der Wehrmacht, so der Historiker, seien zumindest teilweise "nicht nur Opfer, sondern auch Täter" gewesen.
Dieser Wahrheit müsse ohne Tabus ins Auge gesehen werden, sprach sich Sahrhage für eine lückenlose Geschichtsschreibung aus, denn nur eine solche Betrachtung der Geschehnisse könne "glaubhaft und wirksam" sein. Um Demokratie wahrhaftig zu machen, sei eine offene Auseinandersetzung mit der eigenen Geschichte ohne Lügen und Tabus nötig. "Nicht verdrängen, sondern immer wieder aufklären – deshalb haben wir uns heute hier getroffen", fasste der Historiker den Sinn hinter der Gedenkfeier zusammen.
Pastorin Petra Schmuck rezitierte am Heimkehrerdenkmal abschließend themenbezogene Lyrik wie die Gedichte "Heimkehr" von Heinrich A. Kurschat oder "Vor den Baracken" von Helmut Günter. Im Wechsel dazu spielte das Posaunenquartett bucina nova mit Klaus Hansen, Ulrich Dittmar, Manuel Morgenthaler und Andreas Regeling.
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