Mindener Tageblatt Online ,
05.06.2020 :
Mitglieder der rechten Szene bei Kundgebung für "Freiheit und Selbstbestimmung" in Minden gesichtet
05.06.2020 - 20.50 Uhr
Minden. Bundesweit hat es an den vergangenen Wochenenden Kundgebungen für "Freiheit und Selbstbestimmung" gegeben, beispielsweise in Stuttgart, München, Bielefeld oder Herford. Und auch in Minden zogen am vergangenen Samstag Teilnehmer mit Megafon und bemalten Plakaten durch die Innenstadt und versammelten sich anschließend auf dem Simeonsplatz. Gesichtet wurden dabei auch Mitglieder der rechten und der Reichsbürger Szene. Welche Rolle spielen sie?
Unter Beobachtung
Das linksautonome Recherche Kollektiv OWL beobachtet die auch als "Corona"-Demos bekannten Versammlungen in der Region und hat unter den Teilnehmern der zweiten Mindener Kundgebung am 23. Mai bekannte Neonazis und Reichsbürger ausgemacht (das MT berichtete). In dem Kollektiv haben sich Personen verschiedener Fachrichtungen zusammengeschlossen, die zu den Themen Neonazismus, Rassismus und Faschismus in der Region arbeiten. Weiter teilt es auf seinem Twitter-Account mit, dass mit Mathias Schwier und Robert Göhricke auch Mitglieder der Partei "Die Rechte OWL" vertreten gewesen seien.
"Die Aussagen decken sich mit unseren eigenen Einschätzungen. Aufnahmen der Veranstaltung zeigen: Es haben zweifelsfrei Akteure der extremen Rechten teilgenommen, sowohl in Minden als auch in Bielefeld und anderswo", teilt Christopher Schwender von der Mobilen Beratung gegen Rechtsextremismus im Regierungsbezirk Detmold mit. Deren Träger ist die Fachorganisation der politischen und sozialen Bildungsarbeit "Arbeit und Leben" des Deutschen Gewerkschaftsbunds (DGB) und des Deutschen Volkshochschulverbands (DVV).
Auch der Staatsschutz Bielefeld ist über die Teilnahme von Mitgliedern rechtsgerichteter Gruppen informiert worden, teilt die Polizei Bielefeld auf MT-Nachfrage mit. Ob der Staatsschutz nun aktiv die Kundgebungen beobachtet, wurde nicht beantwortet.
Unklare Rolle
Laufen Mitglieder der rechten Szene nur mit oder bringen sie sich auch aktiv bei den Demonstrationen ein?
Welche Rolle sie bei den Kundgebungen spielten und wie sie sich beteiligten, sei nicht bekannt - ihre Beteiligung aber auch nicht auszuschließen, so Christopher Schwender. Laut Recherche Kollektiv OWL seien Mathias Schwier und Robert Göhricke, die bereits durch ihre Teilnahme an "Nazi-Aufmärschen" aufgefallen seien, bei der Kundgebung nicht organisatorisch beteiligt gewesen. "Sie sind ein Teil davon, sprechen mit anderen Teilnehmern und knüpfen so Kontakte."
Verschwörungstheorien
Hinter den Kundgebungen steckt ein Zusammenschluss aus Impf-Gegnern und den Gruppen von "Nicht ohne uns - Demokratischer Widerstand" und "Grundrechte OWL". Sie fordern unter anderem den Stopp des "Masernimpfzwangs" oder die Aufhebung der Corona-Einschränkungen, traditionelle Medien sind für sie voreingenommen und bestechlich. Für Vertreter der rechten und der Reichsbürger-Szene fänden sich hier viele inhaltliche Anknüpfungspunkte, erklärt Christopher Schwender. "Teile ihrer Ideologie werden aktuell durch die Corona-Demos mehr in die Öffentlichkeit getragen und damit anschlussfähiger."
Unter den Demonstranten vom 23. Mai machte das Recherche Kollektiv OWL auch ein Mindener FFD-Mitglied aus. FFD steht für "Freiheit für Deutschland". "Das ist eine Gruppe, die laut eigenen Angaben Deutschland als "Massen-Staatsgefängnis" ansieht und verschwörungstheoretische und Reichsbürger-nahe Inhalte verbreitet, zum Beispiel dass Deutschland kein souveräner Staat sei", erklärt Schwender. In wieweit dieses Mitglied hinter den Kulissen an der Kundgebung beteiligt sei, sei ihnen nicht bekannt, so das Recherche Kollektiv OWL.
Die Veranstalter
Wie sind die Organisatoren der Kundgebung einzuschätzen? Sind auch sie dem rechten Spektrum zuzuordnen?
Zum Mindener Impfstammtisch ist der Beratungsstelle bislang nichts bekannt. "Theorien von Impf-Gegnern finden sich allerdings häufig in der Verschwörungstheorien-Szene wieder. Meist bleibt es in diesem Spektrum nicht dabei, sich gegen eine Impfung zu sträuben oder diese den eigenen Kindern zu verweigern", erklärt Christoph Schwender. Es würden Theorien gelesen und dazu entwickelt, dass jemand mit einer Impfung den Menschen schaden wolle - sei das nun die Pharma-Lobby, korrupte globale Eliten oder, wie im Zusammenhang mit Corona, Bill Gates. Transparente, die in Minden bei der Veranstaltung am 23. Mai gezeigt worden seien, beinhalteten sowohl die Adresse der Website impfschaden.info, als auch den Hashtag #gibgateskeinechance. "Das spricht dafür, dass der Impfstammtisch diese Theorie vertritt."
Die Gruppe "Grundrechte OWL" sei über den Messenger-Dienst Telegram gegründet worden, erklärt er weiter. Über ihn tauschten sich die Mitglieder - darunter Akteure der lokalen rechten Szene - aus, Diskussionen hätten von Anfang an immer wieder Verschwörungstheorien und extrem rechte sowie Reichsbürger-Inhalte beinhaltet. "Diese blieben und bleiben unwidersprochen oder finden Zustimmung", teilt Schwender mit. Laut Recherche Kollektiv OWL würden die Veranstaltungen in Minden in dem Telegram-Chat beworben.
Vierte Kundgebung
An diesem Samstag ist die vierte "Kundgebung für Freiheit und Selbstbestimmung" von 15 bis 17 Uhr auf dem Simeonsplatz geplant. Es wurden rund 300 Teilnehmer angemeldet, wie die Polizei auf Nachfrage mitteilt. Einen "Protestmarsch" durch die Innenstadt soll es diesmal nicht geben.
Bildunterschrift: Bei der "Kundgebung für Freiheit und Selbstbestimmung" in der Mindener Innenstadt machten Beobachter der rechtsextremen Szene unter den Teilnehmer auch Reichsbürger und Neonazis aus.
Copyright: Texte und Fotos aus dem Mindener Tageblatt sind urheberrechtlich geschützt. Weiterverwendung nur mit schriftlicher Genehmigung der Redaktion.
_______________________________________________
Neue Westfälische Online, 06.05.2020:
Bielefelder Demo der Corona-Kritiker lockt auch Neonazis an
06.05.2020 - 15.57 Uhr
Am Samstag zog ein ungewöhnlicher Protestzug durch die City. Es ging den Teilnehmern um Grundrechte, hieß es. Im Chat der Grundrechte-Gruppe sammeln sich aber auch Rechte, Systemkritiker und Verschwörungstheoretiker.
Jens Reichenbach
Bielefeld. Der erste Demo-Auftritt der Gruppe "Grundrechte OWL", die am Samstag, 2. Mai, unter dem Motto "mundtot?" in der Innenstadt mit rund 150 Teilnehmern gegen die Beschränkungen durch die Corona-Verbote demonstrieren wollte, hat nicht weit geführt. Wie berichtet, ließ die Polizei die Demo nach einem Marsch vom Hauptbahnhof an der Stresemannstraße bereits wieder auflösen.
Wie die Anmelderin Anastasia Powolozki aus Bad Salzuflen in einem Video-Statement mitteilte, das in der eigens zur Vernetzung gegründeten Chat-Gruppe der Grundrechte-Gruppe veröffentlicht wurde, sei die Stimmung während der Demo zu aggressiv und unruhig geworden, so dass die Polizei den weiteren Weg der Demonstranten untersagte. Warum waren plötzlich Antifaschisten am Rande der Demo aufgetaucht und sorgten für Unruhe?
Zwei bekannte Gesichter der Neonazi-Szene unter den Teilnehmern
Wie zu erwarten war, hatten auch Neonazis an der scheinbar unverdächtigen Demo teilgenommen. Aus Detmold-Berlebeck waren zwei bekannte Gesichter der rechtsextremen völkischen Bewegung aufgetaucht, die bereits bei zahlreichen Neonazi-Auftritten rund um die Holocaust-Leugnerin Ursula Haverbeck in Bielefeld aufgetreten waren. Die Antifa-Mitglieder haben mehrfach versucht, den vorbestraften Neonazi Gerd U. aufzuhalten, der früher in der verbotenen Wiking-Jugend aktiv und Rädelsführer der rechtsextreme "Heimattreue Deutsche Jugend" gewesen sein soll. Auch habe man die Demo-Anmelderin auf die Extremisten in ihren Reihen hingewiesen, heißt es in einem späteren Statement.
Im Video-Statement der Gruppe bestätigt Powolozki, dass sie darauf angesprochen worden sei, dass sich ihrer Demonstration Rechte angeschlossen haben: "Mir sind keine Rechten bekannt", betonte sie. Dass sie die beiden Szene-Größen nicht kannte, mag vielleicht stimmen. Dass ihre Chat-Gruppe aber von Beiträgen, Videos und Links gefüllt ist, die durchaus auch aus dem extrem rechten Lager stammen, kann ihr nicht entgangen sein.
Verschwörungstheorien, die auch von den Rechten bedient werden
In der Chat-Gruppe geht es zwar auch um Sorgen wegen der Pandemie-Beschränkungen, viel mehr geht es aber um Impf-Kritik, Systemkritik und Verschwörungstheorien. Widerspruch findet sich dort kaum. So fordert ein junger Mann in dem erwähnten Video-Statement, das direkt nach der Demo-Auflösung in Bielefeld entstanden ist, die Zuschauer auf, sich endlich selbst schlauzumachen.
Ganz nebenbei fragt er, wer die finanzstarken Rockefellers und Rothschilds seien, wer die WHO steuere und was Bill Gates in der Vergangenheit gemacht habe. Seine Fragen zielen auf Verschwörungstheorien ab, die auch gerne von extrem Rechten bedient werden. Eine andere Frau sagt in die Kamera: "Die verstehen nicht, dass wir momentan nur einen Feind haben: Das ist die Regierung - nicht die Polizei und nicht die Rechten."
Sorgen, dass sich eine "Querfront-Gruppe" in Bielefeld etabliert
Wie das antifaschistische "Recherche Kollektiv OWL" schriftlich mitteilte, finden "seit Wochen in ganz Deutschland immer wieder Versammlungen rechts-offener Querfront-Gruppierungen statt, in denen Verschwörungstheorien verbreitet und rechte Ideologeme unwidersprochen geteilt werden. Es ist zu befürchten, dass sich dies auch in Bielefeld institutionalisiert."
Mit "Querfront" werden heute lagerübergreifende Bündnisse bezeichnet, die anti-emanzipatorische Themen wie Antisemitismus, Rassismus, Homophobie und Antifeminismus als gemeinsame Grundlage haben.
Polizeisprecherin Hella Christoph erklärte, dass die Demo zunächst starten durfte, weil sich nur 50 der 150 versammelten Teilnehmer auf den Weg in Richtung Innenstadt gemacht hatten. "Da im Verlauf des Weges die Teilnehmerzahl immer wieder stark anstieg, wurde die Versammlung schließlich durch die Anmelderin beendet."
Bildunterschrift: Die Polizei hat die Demo der Gruppe "Grundrechte OWL" auf Höhe der Stresemannstraße auflösen lassen, nachdem im Verlauf des Weges immer mehr Teilnehmer hinzugekommen waren. Erlaubt waren nur 40 Teilnehmer.
_______________________________________________
Am 23. Mai 2020 nahmen die Neonazis Mathias Schwier und Robert Göhricke - von der Partei "Die Rechte" - an der zweiten Mindener Kundgebung "für Freiheit und Selbstbestimmung" von Corona-Leugnenden teil.
Am 2. Mai 2020 nahmen an der von Anastasia Powolozki aus Bad Salzuflen angemeldeten Demonstration der Gruppe "Grundrechte OWL" in Bielefeld auch Anna-Maria sowie Gerd Ulrich aus Detmold-Berlebeck teil.
_______________________________________________
www.minden-luebbecke.de/Service/Integration/NRWeltoffen
www.lap-minden.de
https://rkowl.blackblogs.org
www.twitter.com/recherchekolle1 -
|