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Lippische Landes-Zeitung , 07.05.2005 :

Als die Amerikaner über den Sternberg kamen / Drei Bösingfelderinnen erinnern sich an das Kriegsende im Extertal

Extertal-Bösingfeld. Der 8. Mai 1945 war ein historisches Datum für Deutschland. In Bösingfeld verlief der Tag des Kriegsendes fast wie jeder andere - zumindest in den Erinnerungen von Frieda Hoppenberg, Elisabeth Dahlmeier und Marie Schlichte. Der LZ erzählen die Zeitzeuginnen, wie sie die letzten Wochen des Zweiten Weltkrieges erlebt haben.

"Als die Nachricht vom Kriegsende kam, war ich erleichtert. Erleichtert, dass das Sterben nun endlich ein Ende hatte", erklärt Frieda Hoppenberg. Dass der Krieg verloren war, konnten die Bösingfelderinnen aber erst Wochen später realisieren. Zwar hatte nach dem Einmarsch der Alliierten vieles auf eine Niederlage der Deutschen hingedeutet, doch davon war in Bösingfeld nichts bekannt. Das Radio lieferte nur das Reich verherrlichende Halbwahrheiten. Kein Wunder, dass die Menschen bis fast zuletzt an ein Nachrücken der deutschen Soldaten glaubten.

Genauer gesagt bis zum 4. April 1945. Dem Tag, an dem der amerikanische Kampftrupp Bösingfeld erreichte. "Als die Amerikaner einmarschierten, war der Krieg für mich praktisch zu Ende", erzählt Hoppenberg. Ein prägendes Ereignis, an das sich auch Elisabeth Dahlmeier bis ins Detail erinnert: "Das Wetter war sommerlich. Es war der Geburtstag meiner Schwester und alles deutete darauf hin, dass es ein schöner Tag werden würde." Dann plötzlich: Totenstille. Nicht einmal das dumpfe Kriegsdonnern war in der Ferne mehr zu hören. Am Himmel tauchten Flugzeuge auf - die Vorhut, wie die Bösingfelderinnen später begriffen. Während Frieda Hoppenberg, geborene Brand, noch bei Bäcker Köstering anstand, verbreitete sich im Ort die Nachricht, die Amerikaner seien auf dem Sternberg. Die damals 21-Jährige eilte nach Hause in die Nordstraße: "Wir hatten schreckliche Angst, denn es hieß, die Amerikaner würden Frauen schänden."

Das Leben im Ort stand still

Elisabeth Dahlmeier, geborene Biermann, war in diesem Moment im Rathaus, wo Kleider für die Soldaten an der Ostfront gesammelt wurden. Erst als die Amerikaner am Bahnhof waren, schloss sie ab und ging in ihr gegenüber liegendes Elternhaus (heute "Ihr Platz"). Verkrochen hat sich die damals 20-Jährige jedoch nicht: "Ich wollte das doch sehen", begründet die Rentnerin. Neugierig stand sie in der Tür, als die ratternde Panzerkolonne in der Adolf-Hitler-Straße (heute Mittelstraße) Halt machte. Das Leben im Ort stand still. In den Fenstern tauchten weiße Fahnen auf. Kurze Zeit später schwärmten die Amerikaner aus und betraten die umliegen Häuser. "Die kamen bei uns rein, gingen den Flur entlang und in den Keller, als ob sie sich auskennen würden", sagt Dahlmeier. Ihre Beute: Getränke. Darunter eine Flasche Sekt, aufgehoben für einen besonderen Anlass.

Schaufensterpuppen am Panzer

Ein paar Häuser weiter jagten die Amerikaner auch Marie Schlichte, geborene Wehrmann, einen gehörigen Schreck ein. Noch nie hatte die junge Frau dunkelhäutige Männer gesehen, als diese auf leisen Sohlen das Kaufhaus Wehrmann (heute "Ernstings Family") betraten. "Die hatten es auf den Geldschrank abgesehen", erinnert sich Schlichte. "Sie dekorierten unsere Schaufensterpuppen mit Hakenkreuz-Armbinden, Krawatten und Zylindern und banden sie vor ihre Panzer." Später stellte man Einbrüche im Rathaus fest: Die Bösingfelder hatten sich an der Kleidersammlung bedient, während die Amerikaner nebenan das Parteibüro der NSDAP verwüsteten.

Nach einigen Stunden zogen die Amerikaner weiter in Richtung Hameln. Ein paar Soldaten blieben zurück und besetzten einzelne Häuser. Die Kleiderfabrik der Wehrmanns und die Opel-Werkstatt der Biermanns wurden beschlagnahmt. Im Haus der Familie Faßhauer (heute Eggers) war die Küche (englisch: Kitchen) eingerichtet. "Man sagte damals scherzhaft, bei Faßhauers sei das Kittchen", lacht Hoppenberg.

Das Lachen haben sich die drei Bösingfelderinnen nie verbieten lassen: "Der Krieg hat uns unsere Jugend genommen, aber Spaß hatten wir trotzdem", sagt die 81-Jährige und erntet Zustimmung von ihren Freundinnen. Auch als die Amerikaner eine Sperrstunde verhängten und für Reisen jenseits von Bögerhof ein Passierschein nötig war, haben sie das beste aus der Situation gemacht. Lebensmittel und Kleidung waren weiterhin rationiert und nur gegen Lebensmittelkarten und Bezugsscheine zu haben. Schlichte blickt zurück: "Manchmal haben uns die Amerikaner Schokolade hingehalten, aber die nahmen wir nicht an."

Die Menschen mussten mit wenig auskommen. Daran änderte sich auch mit dem Kriegsende und dem Beginn der englischen Militärverwaltung am 4. Juni 1945 nichts. Aufwärts ging es erst Jahre später.

07./08.05.2005
lemgo@lz-online.de

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