Bielefelder Tageblatt (BW) / Neue Westfälische ,
07.05.2005 :
Geboren am 8. Mai 1945 / Am Tag der Kapitulation gebar Sophie Uckermann ihren Sohn Helmut
Von Conrad Schormann
Bielefeld. Den 60. Jahrestag des Kriegsendes feiern am Sonntag nicht nur die Deutschen. Helmut Uckermann feiert 60. Geburtstag. Auf der Flucht, im (Nach)kriegschaos, gebar ihn seine Mutter Sophie am frühen Morgen des 8. Mai 1945. Nach der Geburt erfuhr sie, die Waffen ruhen.
Sophie Uckermann stammt aus Neustadt/Schlesien. Mit ihrem Schwiegervater flieht sie im Februar 1945 vor der Roten Armee. Mit tausenden anderen kommen beide am Dresdner Hauptbahnhof an. "Wo mein Mann ist, ob er lebt, wusste ich nicht", sagt Sophie Uckermann. Ihr Gatte Erich hat in Stalingrad gekämpft – und ist in russische Gefangenschaft geraten.
"Wünsche keinem, was wir mitgemacht haben"
Das ahnt Sophie Uckermann am 13. Februar 1944 in Dresden ebenso wenig, wie sie ahnt, dass Bomben das Elbflorenz bald in ein Flammenmeer verwandeln. In einem unterirdischen Gang überlebt sie das Inferno. Die rauchenden Trümmer, "die vielen toten Menschen" sieht Sophie Uckermann heute noch.
Eigentlich will sie zu Verwandten in Bayern, aber der Zug, den sie besteigt, fährt nach Chemnitz. Unterwegs kommen die Wehen. Eine Frühgeburt bleibt ihr erspart, eine weitere Bombennacht nicht. Nach Dresden steuern die alliierten Bomberschwärme Chemnitz an. Wieder überlebt Sophie Uckermann, diesmal in einem Luftschutzkeller, und sie findet in Chemnitz eine vorläufige Bleibe.
In einem Chemnitzer Krankenhaus bringt sie am 8. Mai Klein-Helmut zur Welt. "Haben Sie ihn vor Freude geboren?", fragt der Arzt. "Ich wusste nicht, was er meint", sagt Sophie Uckermann. Der Mediziner erklärt es ihr: "Der Krieg ist vorbei."
Die Leiden der Sophie Uckermann noch lange nicht. An den Folgen der Geburt erkrankt, hütet die entkräftete Mutter das Bett. Wieder genesen, tauscht sie einige Zigaretten gegen einen Kinderwagen und macht sie auf nach Frankfurt/Oder, um ihren Bruder zu treffen. "Alles zu Fuß", ohne Essen, ohne Unterkunft. "Das war nicht so einfach", sagt sie heute über die kaum vorstellbaren Entbehrungen.
Wochen später kommt sie in Frankfurt/Oder an, das unterernährte Kind vor sich herschiebend. Einem nachsichtigen Hausmeister verdankt sie eine Wohnung, in der sie ihren Bruder Hans vor den Russen versteckt. Ohne Hans’ Hilfe wäre Helmut Uckermann verhungert. Getreide besorgt der Bruder für die Familie und fängt Fische aus der Oder.
Die Russen entlassen Erich Uckermann im Juli 1946 in die Freiheit. Er geht nach Bielefeld, wo ihm ein Freund Arbeit besorgt hat, und lässt das Rote Kreuz nach seiner Frau Sophie fahnden. Mit einem Flüchtlingstransport fährt Sophie Uckermann in den Westen. Die kleine Familie lebt zunächst in einem ehemaligen Taubenschlag.
"Was wir mitgemacht haben, wünsche ich keinem anderen", sagt Sophie Uckermann.
07./08.05.2005
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