Neue Westfälische Online ,
13.05.2020 :
Reichsbürger und Nazi-Verharmlosungen auf Bielefelder Corona-Demo
13.05.2020 - 00.04 Uhr
Auf dem Kesselbrink kam es jetzt zu einem zweiten Protest gegen die Corona-Beschränkungen - und Beobachter sagen, dass es sich nur scheinbar um eine harmlose Demo gehandelt habe.
Jens Reichenbach und Sven Kienscherf
Bielefeld. Zum zweiten Mal haben sich die Kritiker der Corona-Beschränkungen am vergangenen Samstag in Bielefeld versammelt, um für ihre Rechte zu demonstrieren. Beim ersten Auftritt, der von der Polizei wegen zu vieler Teilnehmer gestoppt werden musste, liefen zwei bekannte Mitglieder der rechtsradikalen völkischen Szene mit. Bei der jüngsten Kundgebung auf dem Kesselbrink waren offenbar keine bekannten Köpfe der Neonazi-Szene zu sehen. Aber linke Beobachter betonen, dass hier nur scheinbar eine harmlose Demo zu erkennen gewesen sei.
Sie kritisieren zahlreiche Statements, Plakate und sogar Redebeiträge. Das antifaschistische "Recherche Kollektiv OWL" sagt: "Auch bei der Kundgebung am Samstag wurden antisemitische Verschwörungstheorien und NS-Relativierung zur Schau getragen." In der ersten Reihe der Zuhörer sollen zwei bekennende Reichsbürger aus Verl gestanden haben. Weitere drei Teilnehmer trugen T-Shirts des rechten Verschwörungs-YouTubers Heiko Schrang, der diese inzwischen deutschlandweit verbreitet und als "Shirts des Widerstands" bezeichnet. Auch "Bill Gates" als zentrales Ziel zahlreicher Corona-Verschwörungstheorien tauchte unter den Demonstranten mehrfach auf.
"Den Holocaust auf Einkaufs- und Kontaktbeschränkungen reduzieren"
Als besonders kritisch empfinde das "Recherche-Kollektiv" in diesem Zusammenhang die Verharmlosung von Nazi-Verbrechen. Das hochgehaltene Plakat "Ich werde Oma nie wieder fragen, wie das passieren konnte" reduziere auf subtile Weise die mörderische Dimension des Holocaust auf Einkaufs- und Kontaktbeschränkungen. "Holocaust-Relativierung ist eine gängige rechte und antisemitische Diskursstrategie, um sich von der Verantwortung Deutschlands am Zweiten Weltkrieg und insbesondere der Shoa reinzuwaschen", heißt es in der Kritik des Recherche-Kollektivs.
Auf dem Kesselbrink soll eine Frau das Vernichtungslager Auschwitz in direkte Tradition mit der derzeitigen Situation gesetzt haben, um deutlich zu machen, dass man jetzt gegen die Corona-Beschränkungen aktiv werden müsse. Die Herstellung einer "Analogie zwischen dem NS-Apparat und den Corona-Beschränkungen ist historisch nicht haltbar und hochgradig anmaßend", sagen die Antifaschisten.
Dritte Demo der Grundrechte-Gruppe angekündigt
Die Demo-Anmelderin und Administratorin der Chat-Gruppe "Grundrechte OWL", Anastasia Powolozki aus Bad Salzuflen, betont immer wieder, dass ihre Ziele nicht politisch motiviert seien - weder von rechts noch links. Das machte sie auch am Samstag auf dem Kesselbrink deutlich. Eine Distanzierung oder Abgrenzung von offen rechtsextremen oder antisemitischen Beiträgen, Links oder Videos im Chat der Grundrechte-Gruppe findet aber nicht statt.
Auf Anfrage wollte Powolozki nichts zu ihrer Motivation und die Kritik von antifaschistischer Seite sagen. Das müsste erst mit den Gruppengründern gemeinsam abgesprochen werden. Derweil kündigte sie aber für kommenden Samstag eine dritte Kundgebung in Bielefeld an.
Bildunterschrift: Anmelderin Anastasia Powolozki spricht zu den Teilnehmern ihrer Demo gegen die Corona-Beschränkungen, zu denen auch Reichsbürger gehören. Ein Teilnehmer hält Bill Gates für den Drahtzieher der Pandemie.
Bildunterschrift: Dieses Plakat reduziert die Nazi-Taten auf Einkaufsbeschränkungen.
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Neue Westfälische Online, 06.05.2020:
Bielefelder Demo der Corona-Kritiker lockt auch Neonazis an
06.05.2020 - 15.57 Uhr
Am Samstag zog ein ungewöhnlicher Protestzug durch die City. Es ging den Teilnehmern um Grundrechte, hieß es. Im Chat der Grundrechte-Gruppe sammeln sich aber auch Rechte, Systemkritiker und Verschwörungstheoretiker.
Jens Reichenbach
Bielefeld. Der erste Demo-Auftritt der Gruppe "Grundrechte OWL", die am Samstag, 2. Mai, unter dem Motto "mundtot?" in der Innenstadt mit rund 150 Teilnehmern gegen die Beschränkungen durch die Corona-Verbote demonstrieren wollte, hat nicht weit geführt. Wie berichtet, ließ die Polizei die Demo nach einem Marsch vom Hauptbahnhof an der Stresemannstraße bereits wieder auflösen.
Wie die Anmelderin Anastasia Powolozki aus Bad Salzuflen in einem Video-Statement mitteilte, das in der eigens zur Vernetzung gegründeten Chat-Gruppe der Grundrechte-Gruppe veröffentlicht wurde, sei die Stimmung während der Demo zu aggressiv und unruhig geworden, so dass die Polizei den weiteren Weg der Demonstranten untersagte. Warum waren plötzlich Antifaschisten am Rande der Demo aufgetaucht und sorgten für Unruhe?
Zwei bekannte Gesichter der Neonazi-Szene unter den Teilnehmern
Wie zu erwarten war, hatten auch Neonazis an der scheinbar unverdächtigen Demo teilgenommen. Aus Detmold-Berlebeck waren zwei bekannte Gesichter der rechtsextremen völkischen Bewegung aufgetaucht, die bereits bei zahlreichen Neonazi-Auftritten rund um die Holocaust-Leugnerin Ursula Haverbeck in Bielefeld aufgetreten waren. Die Antifa-Mitglieder haben mehrfach versucht, den vorbestraften Neonazi Gerd U. aufzuhalten, der früher in der verbotenen Wiking-Jugend aktiv und Rädelsführer der rechtsextreme "Heimattreue Deutsche Jugend" gewesen sein soll. Auch habe man die Demo-Anmelderin auf die Extremisten in ihren Reihen hingewiesen, heißt es in einem späteren Statement.
Im Video-Statement der Gruppe bestätigt Powolozki, dass sie darauf angesprochen worden sei, dass sich ihrer Demonstration Rechte angeschlossen haben: "Mir sind keine Rechten bekannt", betonte sie. Dass sie die beiden Szene-Größen nicht kannte, mag vielleicht stimmen. Dass ihre Chat-Gruppe aber von Beiträgen, Videos und Links gefüllt ist, die durchaus auch aus dem extrem rechten Lager stammen, kann ihr nicht entgangen sein.
Verschwörungstheorien, die auch von den Rechten bedient werden
In der Chat-Gruppe geht es zwar auch um Sorgen wegen der Pandemie-Beschränkungen, viel mehr geht es aber um Impf-Kritik, Systemkritik und Verschwörungstheorien. Widerspruch findet sich dort kaum. So fordert ein junger Mann in dem erwähnten Video-Statement, das direkt nach der Demo-Auflösung in Bielefeld entstanden ist, die Zuschauer auf, sich endlich selbst schlauzumachen.
Ganz nebenbei fragt er, wer die finanzstarken Rockefellers und Rothschilds seien, wer die WHO steuere und was Bill Gates in der Vergangenheit gemacht habe. Seine Fragen zielen auf Verschwörungstheorien ab, die auch gerne von extrem Rechten bedient werden. Eine andere Frau sagt in die Kamera: "Die verstehen nicht, dass wir momentan nur einen Feind haben: Das ist die Regierung - nicht die Polizei und nicht die Rechten."
Sorgen, dass sich eine "Querfront-Gruppe" in Bielefeld etabliert
Wie das antifaschistische "Recherche Kollektiv OWL" schriftlich mitteilte, finden "seit Wochen in ganz Deutschland immer wieder Versammlungen rechts-offener Querfront-Gruppierungen statt, in denen Verschwörungstheorien verbreitet und rechte Ideologeme unwidersprochen geteilt werden. Es ist zu befürchten, dass sich dies auch in Bielefeld institutionalisiert."
Mit "Querfront" werden heute lagerübergreifende Bündnisse bezeichnet, die anti-emanzipatorische Themen wie Antisemitismus, Rassismus, Homophobie und Antifeminismus als gemeinsame Grundlage haben.
Polizeisprecherin Hella Christoph erklärte, dass die Demo zunächst starten durfte, weil sich nur 50 der 150 versammelten Teilnehmer auf den Weg in Richtung Innenstadt gemacht hatten. "Da im Verlauf des Weges die Teilnehmerzahl immer wieder stark anstieg, wurde die Versammlung schließlich durch die Anmelderin beendet."
Bildunterschrift: Die Polizei hat die Demo der Gruppe "Grundrechte OWL" auf Höhe der Stresemannstraße auflösen lassen, nachdem im Verlauf des Weges immer mehr Teilnehmer hinzugekommen waren. Erlaubt waren nur 40 Teilnehmer.
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Am 9. Mai 2020 moderierte Anastasia Powolozki ("Grundrechte OWL"), die zweite Bielefelder Kundgebung gegen die Corona-Schutzverordnung, mit antisemitischen Verschwörungstheorien und NS-Relativierungen.
Am 2. Mai 2020 nahmen an der von Anastasia Powolozki aus Bad Salzuflen angemeldeten Demonstration der Gruppe "Grundrechte OWL" in Bielefeld auch Anna-Maria sowie Gerd Ulrich aus Detmold-Berlebeck teil.
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