Schaumburger Zeitung ,
04.05.2005 :
Es gab die Menschen mit Gewissen! / Schaumburger Landschaft präsentiert Publikation zu Persönlichkeiten des Widerstands
Von Ulrich Reineking
Landkreis. Eine erfreulich große Zahl von Interessierten konnte Dr. Klaus Henning Lemme als neuer Vorsitzender der Schaumburger Landschaft im Stift zu Obernkirchen anlässlich der Präsentation des Buchprojekts "Gegen den Strom" begrüßen, das von der Schaumburger Landschaft zum 60. Jahrestag des 20. Juli 1944 im vergangenen Jahr aufgelegt wurde und jetzt rechtzeitig zum 60. Jahrestag des Kriegsendes erscheinen konnte. Unter den Anwesenden befanden sich neben Vertretern aus Politik und Kultur auch die Autoren sowie Angehörige der Persönlichkeiten aus dem Widerstand, denen sich die neue Publikation widmet.
Graf Adelmann erinnerte anschließend an die spezifische Intention der Landschaft mit dieser Veröffentlichung zum Schaumburger Widerstand: "Gerade in der Fokussierung auf den regionalen Raum lässt sich der Bezug zu den eigenen Lebenszusammenhängen wirksamer darstellen als dies im nationalen Rahmen möglich ist." Im Widerstand von Menschen aus unterschiedlichen Zusammenhängen und politischen Traditionen drücke sich als Gemeinsamkeit das Beharren auf Werte aus: "Das Opfer und das Leiden dieser Menschen ist eine Mahnung, sich für Werte einzusetzen, die der Würde aller Menschen gerecht werden" - ein Appell, den er auch gegenüber einem Denken betonte, das wirtschaftliche Prosperität über das Schicksal von Betroffenen stellt.
Eine bei aller zurückhaltenden Form des Vortrags zutiefst emotionale Akzentuierung auf das Kriegsende gelang der scheidenden Vorsitzenden der Landschaft, Ute Bernhardt, mit einer Lesung aus dem Tagebuch der Äbtissin Carola von Stamford aus den letzten Kriegstagen. Am 14. Februar heißt es da etwa: "Erste Lerche gehört. Der Volkssturm zieht ein." Gerade im unkommentierten und nicht reflektierenden Nebeneinander solcher Anmerkungen werden die sichüberschlagenden Ereignisse dieser Tage auf beklemmende Art ins Heute gerückt.
Im Mittelpunkt der Veranstaltung stand dann ein Vortrag des Chefredakteurs unserer Zeitung, Frank Werner, der ebenso wie sein Redaktionskollege Hans Weimann seinen aktiven Beitrag zu der Veröffentlichung geleistet hat.
Werner stellte sich in seiner Ansprache dem Thema "Kriegsende und Widerstand" und zitierte eingangs aus dem wütenden Brief eines Angehörigen der Wehrmacht, der sich aus seinem soldatischen Ethos heraus heute noch verpflichtet fühlte, auf Distanz zu den Militärs im Widerstand zu gehen, und leitete daraus die Frage ab, in welchem Verhältnis der Widerstand gegen den Nationalsozialismus und die NS-Kriegsführung zuein ander standen.
Jüngere Untersuchungen von Feldpostbriefen deutscher Frontsoldaten ergaben, dass diese mehrheitlich die Männer des 20. Juli 1944 und ihr Umfeld als Verräter betrachteten und in ihren Schreiben als "Banditen", "Fahnenflüchtige" oder gar als "Cliquen charakterloser und ausgehurter Geschlechter" brandmarkten.
So fehlt es in diesen Briefen auch nicht an der Forderung nach Straf- und Vergeltungsaktionen, offenbar im ungebrochenen Vertrauen an Hitler - Beleg dafür, dass der Widerstand sich keineswegs auf einen breiten gesellschaftlichen Konsens berufen konnte.: "Die Verschwörer des 20. Juli standen ziemlich allein." Vor diesem Hintergrund habe es auch geschehen können, dass in der Zeit von Juli 1944 bis Kriegsende mehr deutsche Soldaten ums Leben kamenals insgesamt in allen Kriegsjahren zuvor: "Das Massensterben fand in den allerletzten Kriegsmonaten statt - zu einem Zeitpunkt, an dem über den Ausgang des Krieges kaum noch Zweifel bestanden."
Diese Bereitschaft zum Weitermachen um jeden Preis bedeute keineswegs, dass die Mehrheit der Soldaten stramme Nationalsozialisten waren: "Das eigentlich Erklärungsbedürftige ist nicht die Illoyalität einiger weniger, sondern die Lokalität der allermeisten bis in ihren eigenen Untergang."
Werner legte zwei wesentliche Forschungspositionen der Zeitgeschichtler dar: Die erste spricht vom "verspäteten Attentat", das erst vor dem Hintergrund der nahen Niederlage erfolgte und versuchte, die totale Zerstörung Deutschlands zu verhindern. Die zweite erinnert daran, wie sehr die Widerstandskämpfer selbst den Krieg unterstützt hatten und an Kriegsverbrechen beteiligt waren.
Bei den "Spätbekehrten" in den Reihen des Widerstands könne man eher von einem Ausdruck des schlechten Gewissens sprechen als von einem qualifizierten "Aufstand des Gewissens".
An der Persönlichkeit des Offiziers Eberhard von Breitenbuch aus dem Widerstandskreis um Henning von Tresckow erläuterte Werner dann die politisch-soziale Struktur dieser Militärs, wobei er den nach dem Krieg auf Gut Remeringhausen in Schaumburg lebenden Offizier in seinem Widerstand auf eine Stufe mit Graf Stauffenberg setzt.
Immerhin wollte Breitenbuch, im Auftrag von Tres ckows, Hitler während einer Lagebesprechung im März 1944 auf dem Obersalzberg erschießen, gelangte jedoch durch eine überraschende Reduzierung des Teilnehmerkreises nicht in Schussweite: "Wäre das Attentat geglückt, würden wir den Tag des Widerstands heute nicht am 20. Juli, sondern am 11. März begehen."
Im Gegensatz zu Stauffenberg ging Breitenbuch nach Werners Darstellung davon aus, das Attentat selbst nicht zu überleben.
Er sei als eine Art Scharnier anzusehen, ein Vermittler zwischen der ersten und zweiten Generation Oppositioneller in der Wehrmacht.
Nicht die Ablehnung des Krieges an sich stand dabei im Mittelpunkt, sondern das Bemühen, die Kriegsziele ohne Hitler zu erreichen, wobei auch der Feldzug gegen die Sowjetunion einen antibolschewistischen Konsens gefunden habe.
Selbst antisemitische Tendenzen waren Teilen der Widerständler nicht fremd: "Das Unrechtsbewusstsein umfasste einige Elemente der verbrecherischen Kriegsführung, andere aber nicht!"
Auch in der Beteiligung an der Partisanenbekämpfung zeigte sich kein Wille, die Legitimation des Krieges insgesamt abzulehnen. Dennoch betonte Werner ausdrücklich: "Das schmälert die Verdienste des Widerstandes nicht."
Breitenbuch sei denn auch ein Beispiel, wie gerade aus der Mitwisserschaft um Verbrechen das Motiv zum Widerstand geboren wurde: "Eine Widerstandsbiographie, die eine gleichermaßen unverzügliche, umfassende und ungebrochene Anti-Haltung zum NS-Regime repräsentiert, ist höchst selten zu finden."
Immerhin liefere das vorliegende Buch Beispiele dafür, dass es selbst in dunkelster Zeit Menschen mit Anstand und Gewissen gegeben habe: "Darin zeigt sich auch, dass vielfältige Handlungsspielräume existierten - und das wirft indirekt die beunruhigende Frage auf, warum die große Mehrheit diese Handlungsspielräume ungenutzt ließ."
sz-redaktion@schaumburger-zeitung.de
|