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Neue Westfälische , 09.04.2020 :

AfD in der Corona-Krise

Die Rechtspopulisten stürzen in Umfragen weiter ab, Nationalismus bietet kein Konzept für eine Pandemie / Konfliktforscher Andreas Zick erklärt, wieso das so ist

Sigrun Müller-Gerbes

Bielefeld. Während die Krankenzahlen weiter steigen, sinken die Zustimmungswerte für die AfD. Die Corona-Krise stürzt auch die deutschen Rechtspopulisten in die Krise. In neuesten Umfragen pendelt die Partei zwischen neun und zehn Prozent - so schlecht wie seit fast drei Jahren nicht mehr. Zwar schneiden auch die anderen Oppositionsparteien nicht berauschend ab, Zugewinne gibt es nur für Union und - ungleich bescheidender - für die SPD. Doch die AfD, so analysiert der Bielefelder Rechtsextremismus-Experte Andreas Zick, entwickelt sich gerade zum "Globalisierungsopfer der Pandemie": Weil das Virus vor Landesgrenzen nicht Halt macht, funktionieren deutsch-nationale Abgrenzungsstrategien nicht mehr.

"Keinerlei Konzept" hätten die Rechten zur Zeit, "sie kriegen keine gemeinsamen populistischen Töne zustande". Eine einheitliche Linie zur Corona-Krise, in der alle anderen Parteien sich weitgehend einig zeigen? Fehlanzeige. Noch immer halten manche AfD-Bundestagsabgeordnete wie Hansjörg Müller aus Bayern die Entwicklung um Corona für Hysterie und behaupten, "88 Prozent" der aus Italien gemeldeten Todesfälle seien gar keine, es gehe nur darum, die Statistik "nach oben zu jubeln".

Gegen den Willen der Fraktionsführung setzten Abgeordnete auch eine außerordentliche Sitzung mit 68 Teilnehmern durch - bei der nicht einmal Fraktionschefin Alice Weidel stimmberechtigt war, weil sie sich nur per Telefon hatte zuschalten lassen. Der seit langem schwelende Streit innerhalb der Partei geht munter weiter, der Kampf um den rechtsextremen "Flügel" um Björn Höcke ist auch mit dessen offizieller "Auflösung" längst nicht ausgestanden.

Stimmung gegen die Regierung Merkel und "das System" zu machen, sonst ihr Markenkern, das gelingt der AfD zur Zeit ohnehin kaum: "Den Menschen ist klar, dass wir im Moment Zusammenhalt brauchen; sie wollen nicht, dass die Situation politisiert wird", sagt Zick und ergänzt: "Auf einmal wird die Mehrheitsgesellschaft sichtbar, die sich Solidarität wünscht, nicht Spaltung."

Auch Klaus Schubert, Politologe von der Uni Münster, sieht den Rechtspopulismus in Deutschland insgesamt unter Druck: "In dieser Situation stellen sich plötzlich alle hinter den Staat." Selbst die bürgerlichen Kreise, die in der Vergangenheit offen für populistische Thesen gewesen seien, "scharen sich nun hinter der Führung" - ablesbar an der enormen Zustimmung, die die Bundesregierung derzeit erfährt. Das, so sagt Schubert, ist in Krisenzeiten immer so, Ergebnis einer "Angstreaktion".

Ist dann nach der Krise schnell alles genauso wie zuvor, die gesellschaftliche Spaltung nur kurz auf Eis gelegt?

Das kommt darauf an, sagt Konfliktforscher Zick. Unter anderem darauf, wie gut es der Politik gelingt, ihr Handeln weiter transparent zu gestalten und auf das "informierte Einverständnis" der Bürger zu setzen. Denn Einschränkungen der persönlichen Freiheit seien vermutlich noch lange nötig. Nur wenn Menschen die Schutzmaßnahmen akzeptierten und freiwillig umsetzten, bleibe der gesellschaftliche Konsens so hoch wie zur Zeit.

Für unabdingbar hält Zick zudem eine stärkere Hinwendung zu den schlecht bezahlten Bevölkerungsgruppen, die derzeit so gerne als "systemrelevant" bezeichnet werden: Altenpflege, Kitas, Einzelhandel. "Wir müssen unser Land da neu vermessen. Neue Schwerpunkte in Sozialpolitik und Gesundheitsprävention setzen."

Politologe Schubert hält ein baldiges Wiedererstarken der AfD noch aus einem anderen Grund für unwahrscheinlich. Die Partei passe in ihrer derzeitigen Verfassung nicht wirklich ins deutsche politische System, das auf "Maß und Mitte" orientiert sei. "Wenn sie sich nicht glaubhaft von ihren radikalen Kräften trennt, wird sie sich nicht dauerhaft im Parteien-Spektrum etablieren können" - und selbst dann gibt er ihr nicht viel mehr als die derzeit in Umfragen erzielten 10 Prozent.

Union legt weiter zu

Der Umgang der Bundesregierung mit der Corona-Krise lässt die Umfragewerte der Union weiter steigen. In einer Erhebung des Meinungsforschungsunternehmens Insa legten CDU und CSU im Vergleich zur Vorwoche um weitere drei Prozentpunkte auf 38 Prozent zu. Die SPD gewann demnach einen Punkt hinzu und kam auf 16 Prozent. Die AfD rutschte im Vergleich zur Vorwoche um zwei Punkte auf zehn Prozent ab. Dies war der niedrigste Wert seit August 2017. Die FDP verlor einen Punkt auf 5,5 Prozent, die Linke sank um einen halben auf sieben Prozent. Keine Veränderung gab es bei den Grünen mit 18 Prozent.

Bildunterschrift: Treffen trotz Kontaktverbotes: Die Sondersitzung der AfD-Fraktion mit 68 Abgeordneten im Bundestag.

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www.uni-bielefeld.de/ikg


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