Neue Westfälische - Zeitung für das Lübbecker Land ,
07.04.2020 :
Exzellenter Kenner nicht nur der Lübbecker Geschichte
Herbert Biermann wird heute 90 Jahre alt / Seit seiner Schulzeit ist die Historie sein großes Hobby, auch wenn er beruflich einen ganz anderen Weg eingeschlagen hat
Feline Waschneck
Lübbecke. Heute feiert Herbert Biermann seinen 90. Geburtstag: Die Glückwünsche erreichen ihn auf Grund der aktuellen Situation per Telefon und Post - oder eben über die Neue Westfälische. Auch die geplante Familienfeier ist verschoben. "Wenn der ganze Corona-Kram zu Ende ist, setzen wir uns zusammen", sagt Biermann im Telefon-Interview. "Für mich hat es nicht so die Bedeutung, ob ich 89 oder 90 bin."
Am 7. April 1930 wurde Herbert Biermann als ältestes von drei Kindern in der Danzelstätte 2 geboren. Es war ein rund 200 Jahre altes Fachwerkhaus, in dem seine Eltern Waldemar und Anna Biermann eine Sattlerei, eine Polsterei und einen Dekorationsbetrieb führten. 1936 wurde Herbert Biermann eingeschult und besuchte zunächst die Volksschule an der Jahnstraße, bevor es auf der Mittelschule und dem Gymnasium weiterging.
Seine Schulzeit wurde vom Zweiten Weltkrieg überschattet. Unterricht fiel aus und nachdem sein Vater eingezogen worden war, war er der "Mann" im Haushalt, der sich um die Familie kümmerte. "Als der Krieg anfing, war ich neun Jahre alt, als er aufhörte 15", erzählt Biermann. "Ich habe Brennmaterial wie Holz und Kohle für den Ofen besorgt, damit man für den Winter etwas hatte." Im Wald wurden Himbeeren, Blaubeeren und Pilze gesammelt, auf den abgeernteten Feldern Runkeln und Kartoffeln aufgelesen. Gemeinsam mit anderen transportierte er zentnerschwere Getreidesäcke mit einem Leiterwagen vom Hafen bis zum Marktplatz, wo diese dann verteilt wurden.
Ein unauslöschliches Erlebnis - "die Bilder habe ich noch vor Augen" - war der Brand der Synagoge am 9. / 10. November 1938. "Als ich morgens zur Schule ging, sah ich eine Menschenansammlung an der Bäckerstraße / Langen Straße, die vor dem qualmenden, ausgebrannten jüdischen Gotteshaus stand, sah die zerstörten Wohnungen." Zerschlagene Fensterscheiben, umgestürzte Bücherschränke, brennendes Kinderspielzeug und kaputte Einmachgläser lagen vor den Häusern. "Als Kind konnte ich das Geschehen nicht einordnen und zu Hause wurde über die Juden-Verfolgung nicht gesprochen", sagt Biermann. Das Bewusstsein sei erst nach dem Krieg und durch die Öffnung der Konzentrationslager entstanden.
Sein Vater kam 1945 aus dem Krieg zurück und Herbert Biermann begann als 15-Jähriger - "nicht freiwillig" - eine Lehre im väterlichen Betrieb. "Geschichte und Erdkunde waren meine Lieblingsfächer und ich hätte beruflich eigentlich gerne etwas in dieser Richtung gemacht", berichtet Biermann. "Aber das sind Träume gewesen, die durch die Folgen des Krieges zerstört worden sind." Schon damals habe er sich vorgenommen, dass er als Rentner anfangen würde, über diese Themen zu schreiben. Die Arbeit als Raumausstatter habe ihm später dennoch Spaß gemacht. "Wir hatten gute Kundschaft und es war schön, wenn man sah, was unter den eigenen Händen entstand."
Seine Leidenschaft für Geschichte pflegte er über die Jahre weiter. "Nach dem Krieg abonnierte ich die "Freie Presse"", so Biermann. Artikel über Politik, aber auch über Heimat, Vergangenheit und Lübbecke schnitt er aus oder schrieb sie ab und ergänzte sie mit eigenen Gedanken.
"Opa, schreib das mal alles auf, das finden wir sonst nirgendwo"
1957 war sowohl privat als auch geschäftlich ein ereignisreiches Jahr für Herbert Biermann. "Mein Freund Helmut hatte eine Freundin und wollte, dass ich zum gemeinsamen Abendessen mitkomme", erinnert sich Biermann. "Ich hatte einen anstrengenden Arbeitstag hinter mir und wollte eigentlich nicht." Dennoch sei er mitgegangen und "neben Helmuts Freundin saß noch ein schönes junges Mädchen". Ja, und dann sei alles so seinen Weg gegangen. "1958 haben Dolores und ich uns verlobt, 1959 geheiratet." 1960 wurde der erste Sohn Andreas geboren, 1964 dessen Bruder Michael.
1957 hatte auch der Abriss und Neubau des Geschäfts- und Wohnhauses an der Danzelstätte begonnen. "Gemeinsam mit meiner Frau Dolores habe ich das Geschäft 1969 übernommen und bis 1995 geführt", erzählt Herbert Biermann. Mit der Familie ging es in den Ferien in die Lüneburger Heide, an die Nordsee oder auch nach Österreich. "Es waren meist Kurzurlaube", erinnert sich Biermann. "Als die Kinder größer wurden, fuhren wir auch in die neuen Bundesländer." Als Mitglied der freikirchlichen Gemeinde, in der er auch 30 Jahre aktiv tätig war, und aus seinem großen Faible für Geschichte recherchierte er umfänglich über Martin Luther. Auch eine Reise nach Israel prägte Biermann nachhaltig.
Kaum 65 Jahre alt, startete Herbert Biermann durch und befasste sich ausgiebig mit seinem Hobby Geschichte. Er verfasste zahlreiche Schriftwerke, angefangen beim "Rundgang umme Kirche". Er befasste sich mit der St.-Andreas-Kirche in Lübbecke, der Obernfelder Badeanstalt oder mit "Lübbecke im Wandel der Zeit" ebenso wie mit dem Thema "Gegen das Vergessen - Juden im Lübbecker Land", der Entstehung von Vereinen und Ortschaften oder einem "Besuch im Kolonialwarenladen". "Es wäre schade, wenn das Wissen darüber verloren ginge", sagt Herbert Biermann. Und freut sich umso mehr darüber, wenn seine Enkel ihn ermutigen: "Opa, schreib das mal alles auf, das finden wir ja sonst nirgendwo."
"Gerne würde ich die Geschichten auch an weitere Interessierte geben", sagt der 90-Jährige. Auch stelle er Themen nach individuellen Wünschen zusammen (Kontakt über die Redaktion per E-Mail anluebbecke@nw.de). Herbert Biermann empfindet eine große Dankbarkeit, dass er für sich selbst sorgen kann, seine Familie um sich und nach wie vor viel Freude beim Recherchieren und Schreiben hat. Abends genießt er es, in einem guten Buch bei einem Glas Rotwein zu schmökern. Dann denkt er auch an seine Frau "Lori", mit der er 58 Jahre glücklich verheiratet war. "Es ist ein wunderbares Andenken, und solange Gott mir Gnade schenkt, bleibe ich auf dieser Erde", sagt Herbert Biermann. "Und dann werde ich, so wie ich das glaube, meine Frau wiedersehen."
Bildunterschrift: Herbert Biermann kennt sich in der lokalen Geschichte aus wie kaum ein anderer. Er hat viele Fotos und Dokumente zusammengetragen.
Bildunterschrift: Das Geburtshaus von Herbert Biermann an der Danzelstätte 2. Das Foto aus dem Jahr 1930 zeigt das Fachwerkgebäude mit dem Baum davor im "Alt-Lübbecker-Stil".
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