Westfalen-Blatt / Zeitung für Bielefeld und Schloß Holte-Stukenbrock ,
04.04.2020 :
Bericht des Oberkommandos der Wehrmacht (4. April)
Bei der Heeresgr. H gleiche Lage. Der Feind besetzte Lingen und stieß darüber hinaus vor. Osnabrück ging verloren. Um den Teutoburger Wald Kämpfe. Bei Oeynhausen an der Weser wird eine neue Linie aufgebaut.
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Westfalen-Blatt / Zeitung für Bielefeld und Schloß Holte-Stukenbrock, 04./05.04.2020:
"Ergebt euch, dann wird euch nichts geschehen"
Die letzten Kriegstage: Die weiße Fahne weht am Rathaus
Von Heinz Stelte
Bielefeld (WB). Wer es tatsächlich am späten Nachmittag am Rathaus gehisst hat, das weiße Laken, das in Bielefeld den Zweiten Weltkrieg beendete, ist ungeklärt. War es Oberbürgermeister Fritz Budde, der ehemals "stramme Nazi", der in den letzten Kriegstagen mehr und mehr von der Linie seiner Partei abweicht und sich in jenen Tagen in einem tief deprimierten Zustand befindet? War es Karl Pawlowski, der spätere Gründer des Johanniswerks, der sich in den Wochen zuvor mehrmals mit Budde zu konspirativen Gesprächen traf und den Oberbürgermeister nach dem Einmarsch der Amerikaner versteckt? War es der Volkssturmmann Albert Wiese, der laut eigener Aussage gemeinsam mit einer ihm unbekannten Person von einem Tisch des Ratskellers ein weißes Tischtuch reißt und es aus einem Rathausfenster hängt? Oder die damalige Ratskeller-Chefköchin Luzie Schmidtsmeier, die zusammen mit einem Kochlehrling später diese Tat für sich beansprucht?
Es ist etwa 6 Uhr in der Frühe, als die Amerikaner von Ummeln aus zum Vormarsch auf Bielefeld ansetzen. An der Gütersloher Straße in der Nähe der Kreuz-Apotheke bewacht ein Volkssturm-Bataillon unter Leitung des Fabrikanten Richard Dohse eine Panzersperre. Gegen 13 Uhr tauchen dort die ersten amerikanischen Panzer auf, sie werden mit Panzerfäusten beschossen, jedoch nicht getroffen. Die Panzer ziehen sich zurück, kommen zurück, beschießen die deutschen Verteidiger erneut. Dohse wendet sich in seiner Not an den Kampfkommandanten Oberst Sommer im Sedanbunker und bekommt zur Antwort: "Sie haben noch zwei Karabiner mit je fünf Patronen, das gibt zehn tote Amerikaner. Sie haben bis zum letzten Mann zu halten!" Dohse schickt seinen Adjutant Daniel Delius in den Bunker. Der trifft in der Kommandozentrale auf NS-Funktionäre, die sich Wehrmachtsuniformen übergestreift haben, um im Falle einer Gefangennahme als normale Soldaten behandelt zu werden. Dohse bringt ein paar versprengte oder genesene Soldaten zur Unterstützung mit.
Gegen 15 Uhr rücken die Amerikaner vor, zunächst mit einem Lautsprecherwagen. "Wir sind ein christliches Volk. Mit euren paar Panzerfäusten und Gewehren könnt ihr nichts ausrichten. Ergebt euch, dann wird euch nichts geschehen. Andernfalls werden wir die Stadt in Brand schießen!" Dohse, Delius, Ordonnanzoffizier Rudolf Oetker und Bataillonsarzt Dr. Dopheide beraten die Situation. Dopheide fordert Dohse auf, an der Sparrenburg die weiße Fahne zu hissen, der Bataillonskommandeur lehnt ab, will sich nicht vorwerfen lassen, das Vaterland im Stich gelassen zu haben. Eine letzte Durchsage, dann eröffnen die Amerikaner das Feuer, schweres Räumgerät beseitigt die Sperre. Die Verteidiger ergeben sich, der Volkssturm löst sich auf. Für Dr. Walter Goch, Redakteur bei der Partei-Zeitung "Westfälische Neueste Nachrichten", kommt dies alles zu spät. Der Volkssturmmann wird aus dem Fenster des Fotoateliers Lohöfner bei einer Zigarettenpause erschossen. Er ist vermutlich das letzte Todesopfer der Kämpfe um Bielefeld.
Auch an anderen Punkten gibt es kaum noch Gegenwehr. Am Bahndamm südwestlich vom Bahnhof Brackwede liegt die 1. Alarmkompanie Westerheide, doch mit ihrer Bewaffnung kann sie den amerikanischen Panzern nichts anhaben. Sie zieht sich nach Lemgo zurück. Am Lönkert in Brackwede halten etwa 70 bis 80 deutsche Soldaten die Amerikaner über Stunden auf, am Nachmittag erlahmt ihr Widerstand. Eine Hälfte ergibt sich, der Rest setzt sich ab. Vier deutsche Soldaten finden hier am letzten Kriegstag für Bielefeld den Tod, wie auch an der Lutterkolk-Sperre, wo 20 Deutsche bis zum Mittag ausharren.
Um kurz nach 17 Uhr versucht Bataillonsführer Astroth im Auftrag von Bürgermeister Dr. Kurt Graeven, im Sedanbunker Oberst Sommer zu erreichen, nachdem ihm die Nachricht zugetragen wurde, der Krieg in Bielefeld sei vorbei, die kämpfende Truppe setze sich ab. Doch Astroth erreicht lediglich noch die Vermittlung. Wenig später ertönen Lautsprecherdurchsagen der Amerikaner, die Bevölkerung solle sich in die Keller begeben, die Stadt werde beschossen, wenn die Panzersperren nicht geöffnet würden. Mindestens 60 große und kleine Panzer und Begleitfahrzeuge rollen gegen 17.30 Uhr über die Gütersloher Straße Richtung Stadtmitte, geführt offensichtlich vom damals 16-jährigen Bäckerlehrling Richard Steinsiek und einem weiteren Jugendlichen, die aus Neugierde den Amerikanern entgegen geradelt waren. Zur Belohnung erhalten die Jugendlichen Zigaretten und Süßigkeiten. Der Krieg ist für die Bielefelder vorbei.
Die letzten fünf Kriegstage
Vor genau 75 Jahren, am 31. März, erreichen die amerikanischen Truppen Bielefeld, am 4. April weht am Rathaus die weiße Fahne. Fünf Tage dauert es, bis die Alliierten Bielefeld einnehmen. Nicht etwa, weil der Widerstand so groß ist, sondern weil die Amerikaner sehr vorsichtig vorgehen und die Großstadt am Teutoburger Wald strategisch weitestgehend unwichtig geworden ist. Das Westfalen-Blatt schildert in einer Serie die Ereignisse dieser letzten fünf Kriegstage in und um Bielefeld.
Bildunterschrift: Das Rathaus gegen Kriegsende - dort weht am 4. April gegen 18 Uhr die weiße Fahne.
Bildunterschrift: Am 4. April rollen die amerikanischen Panzer (hier ein Bild aus dem Film "Als die Amerikaner kamen" des LWL) durch Bielefeld, der Krieg für die Bielefelder ist beendet.
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Westfalen-Blatt / Zeitung für Bielefeld und Schloß Holte-Stukenbrock, 31.03.2020:
Mit zwei Panzern gegen eine ganze Armee
Die letzten Kriegstage in Bielefeld: ein aberwitziger Führerbefehl
Von Heinz Stelte
Bielefeld (WB). Die Sirenen wollen nicht mehr verstummen. Fünf Minuten heulen sie an diesem Karsamstag. Es ist 20 Uhr, und das Signal verkündet: Feindalarm. Die ersten amerikanischen Verbände haben die Bielefelder Kreisgrenze erreicht.
Den Krieg kennen die Bielefelder bislang nur aus der Luft. Sie haben schwer darunter gelitten. Im Juni 1940 waren die ersten Bomben auf Bielefeld gefallen, beim schwersten Luftangriff im September 1944 ließen 650 Menschen ihr Leben. Tiefflieger hatten Straßen und Schienenwege unsicher gemacht, Reisen war praktisch unmöglich geworden. Die Front allerdings, sie schien für viele Bielefelder bis zu diesem Osterfest noch weit weg. Informationen über die wahre militärische Lage gab es kaum, über das Tempo des amerikanischen Vormarsches nach dem Überqueren des Rheins vor gut drei Wochen wusste die Zivilbevölkerung wenig. Am Karsamstag jedoch ändert sich das. Endlose Fahrzeugkolonnen zurückweichender deutscher Kräfte schieben sich durch die Gütersloher und Haller Straße. Dabei soll am Teutoburger Wald laut einem Führerbefehl "bis zum letzten Mann" gekämpft, der Vormarsch des Feindes hier gestoppt werden.
Doch für dieses Unterfangen stehen dem Wehrmachtskommandanten von Bielefeld, Generalmajor Karl Beche, lediglich etwa 6.500 bis 7.000 Mann zur Verfügung - für einen Abschnitt von Hilter im Osnabrücker Land bis nach Horn im Lippischen. 3.500 Männer liegen rund um Bielefeld. Ihre Ausrüstung: vier Flak-Geschütze ohne Munition, zwei Panzer, von denen nur einer bedingt fahrbereit ist, und einige Panzerabwehrkanonen, deren Geschosse die amerikanische Panzerung nicht durchbrechen können. Ein paar Tage zuvor war es im Sedanbunker an der Weißenburger Straße, Kommandozentrale der örtlichen Parteiführung, zu heftigen Meinungsverschiedenheit zwischen Generalmajor Becher und dem Bielefelder NSDAP-Kreisleiter Gustav Reineking gekommen. Reineking wollte den gesamten Volkssturm der Wehrmacht unterstellen, Becher wollte die Männer jedoch nur richtig ausgerüstet und bewaffnet übernehmen. Er sah in einer Truppe betagter Männer, für die nur etwa 100 Gewehre vorhanden waren, keine Verstärkung.
Kurz nach dem Sirenensignal ergeht an alle Rüstungsbetriebe der Stadt der Befehl "Lähmung", sie müssen ihren Betrieb einstellen. Gegen 21.45 Uhr erschüttert eine schwere Detonation den Osten der Stadt. Der Bielefelder Sicherheitsdienst hat die Autobahnbrücke in Lämershagen in der Nähe des Gasthauses Deppe gesprengt. Deutsche Truppen, etwa 2.000 Mann, beziehen noch in der Nacht Stellung in Lämershagen und Gräfinghagen.
Mit dem Feindalarm treten an diesem 31. März in Bielefeld umfangreiche Geheimbefehle in Kraft, die unter anderem die sofortige Einrichtung von Schnellgerichten vorsehen, um jeden Widerstand gegen Befehle mit schärfsten Mitteln begegnen zu können. Einer, der zwischen den Stühlen, zwischen Wehrmacht und Parteileitung, sitzt, ist Oberbürgermeister Fritz Budde. Er war in den vergangenen Tagen mit dem für die Verteidigung Bielefelds zuständigen Oberst Sommer übereingekommen, die Stadt so zu verteidigen, dass Bielefeld möglichst wenig Schaden nehmen soll.
So wurden zwar auch in der Innenstadt Panzersperren errichtet, diese später aber zunächst nicht mehr geschlossen, um einen Beschuss durch die Amerikaner und somit die Zerstörung der Stadt zu verhindern.
Die letzten fünf Kriegstage
Vor genau 75 Jahren, am 31. März, erreichen die amerikanischen Truppen Bielefeld, am 4. März weht am Rathaus die weiße Fahne. Fünf Tage dauert es, bis die Alliierten Bielefeld einnehmen. Nicht etwa, weil der Widerstand so groß ist, sondern weil die Amerikaner sehr vorsichtig vorgehen und die Großstadt am Teutoburger Wald strategisch weitestgehend unwichtig geworden ist. Das Westfalen-Blatt schildert in einer Serie die Ereignisse dieser letzten fünf Kriegstage in und um Bielefeld.
Der größte Bunker der Stadt
Mit knapp 1.800 Quadratmetern Nutzfläche ist der 1942 errichtete Sedanbunker der größte Luftschutzbunker in Bielefeld. Benannt wurde der Bunker nach den Schlachten von Sedan in den Jahren 1870 und 1940. Konzipiert als ziviler Luftschutzbunker auf drei oberirdischen und einer unterirdischen Etage, bietet er Platz für 1063 Personen.
Nach einer Änderung des Bauplanes im April 1944 ziehen unter anderem die Luftschutzleitung, die Feuerlöschpolizei und die Parteizentrale der NSDAP, die sich zuvor im Horst-Wessel-Haus in Nähe des Jahnplatzes befand, in den Bunker. Dafür werden Funkraum, Befehlsstelle und Besprechungsraum eingeplant.
Beim Einmarsch in die Stadt finden die Amerikaner den Bunker verlassen vor. Die britische Rheinarmee veranlasst in den 50er Jahren die Entmilitarisierung des Bunkers, es werden Öffnungen in die Außenwände geschnitten. Der Bunker dient den Besatzungsmächten zunächst als Verwaltungsbau, im Zuge des Kalten Krieges wird das Gebäude für den Zivilschutz reaktiviert und für einen möglichen ABC-Angriff ausgerüstet. Bis zum Jahre 2009 unterhält die Stadt Bielefeld den Zivilschutzbunker an der Weißenburger Straße, seit dem wird er privat genutzt, übergangsweise zum Beispiel als Plattencover-Museum. Wenig später verkauft die Bundesanstalt für Immobilienaufgaben den Bunker, das Gebäude wird umfangreich zu einem Gebäude zum Wohnen und Sammeln von Kunst umgebaut.
Umbau und die Neugestaltung werden 2017 vom Bund Deutscher Architekten ausgezeichnet.
Bericht des Oberkommandos der Wehrmacht (31. März)
Die eigene Front ist überdehnt, da der Gegner bis in den Raum westlich Münster und südwestlich Rheine vordrang. Störend macht sich bemerkbar, daß die Heeresgr. H schlecht oder gar nicht zu erreichen ist. Die südlich Paderborn eingesetzte SS-Brig. "Westfalen" schoß 18 Panzer ab. Die Brigade steht zur Verfügung der Heeresgruppe. Bei Kassel wird eine neue Linie aufgebaut.
Bildunterschrift: In den letzten Kriegstagen liegt Bielefeld nach den schweren Luftangriffen in Schutt und Asche.
Bildunterschrift: Immer wieder hatte die Bielefelder Bevölkerung in den letzten Kriegsmonaten die Luftschutzkeller aufsuchen müssen.
Bildunterschrift: Die Amerikaner rückten nach der großen Landungsaktion und der Überquerung des Rheins am 23. und 24. März bei Wesel sehr schnell bis nach Ostwestfalen vor.
Bildunterschrift: Aus dem früheren Luftschutzbunker an der Weißenburger Straße ist ein prämiertes Wohnhaus mit Dachgarten geworden.
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Am 4. April 1945 kapitulierte Bielefeld vor der aus Gütersloh anrückenden 3. US-Panzerdivision, der Leiter des Johannesstifts, Pastor Karl Pawlowski (1898 bis 1964) - erreichte eine kampflose Übergabe der Stadt.
Am 4. April 1945 rückte die 3. US-Panzerdivision in Bielefeld ein und konnte die Stadt (nahezu kampflos) einnehmen - der vom NS-Regime entfachte Zweite Weltkrieg, die NS-Herrschaft war für Bielefeld beendet.
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www.stadtarchiv-bielefeld.de
www.bielefeld.de/de/biju/stadtar/rc/rar/01042015.html
04./05.04.2020
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