Gruppe Schlupp ,
30.04.2005 :
Nieder mit dem Arbeitswahn! / Kapitalverhältnisse überwinden!
Leben for free
Der Wecker klingelt, Frau S. wacht auf. Die Halsschmerzen sind über Nacht eher schlimmer geworden. Der Kopf tut ihr weh, überhaupt fühlt sie sich vielmehr gerädert als erholt. Egal, trotzdem aufstehen und in die Arbeit gehen. Sie hat erst vor sechs Wochen für zwei Tage gefehlt. Zuhausebleiben kann sie sich nicht leisten.
17.00 Uhr. Herr F. hat eigentlich seit einer Stunde Feierabend. Stattdessen sitzt er immer noch im Büro und schiebt unbezahlte Überstunden. Sein Chef braucht ihm gar nicht erst klarzumachen, dass er keine Probleme hat, die Stelle anderweitig zu besetzen.
"Flugzettel verteilen in der Innenstadt, sechs Euro die Stunde. Etwas anderes haben wir momentan leider nicht", sagt die Frau von der Studentenhotline des Arbeitsamtes. Da das Bafög nicht reicht und ihr die Studiengebühren im Nacken sitzen, bewirbt sich Andrea trotz des geringen Stundenlohns um den Job. Vergebens. Eine andere war schneller.
Frau S. und Andrea, Herr F. und ... , alle versuchen sie, individuell irgendwie klarzukommen. Mit längeren Arbeitszeiten und höherem Druck bei der Arbeit, mit Studiengebühren und Krankheit, mit Zwangsverpflichtungen zu 1-Euro-Jobs usw. usf. Die Konkurrenz schläft nicht. Also gilt es, das letzte aus sich herauszuholen im Kampf um knapper werdende Arbeitsplätze und Jobs.
"Work hard - die young"
So entsteht die paradoxe Situation, dass den wenigsten Menschen ihre Arbeit (vor allem nicht 40 Stunden oder mehr pro Woche) wirklich Spaß macht, allerorts aber nach mehr Arbeitsplätzen geschrieen wird. Das hängt damit zusammen, dass die große Mehrheit der Menschen im Kapitalismus "doppelt frei" ist, das heißt, die Menschen sind nicht nur frei im Sinne von keine Leibeigenen mehr, sondern sie sind auch "frei" von Produktionsmitteln (oder besitzt du etwa eine Fabrik?!). Dadurch sind die Leute gezwungen, arbeiten zu gehen und erhalten im Tausch für ihre Arbeitskraft Lohn, mit dem sie wiederum ihre mehr oder weniger lebensnotwendigen Bedürfnisse befriedigen können. Und das können sie sich nicht anders vorstellen als auf der Basis von Lohnarbeit.
Auch Bundesregierung und Opposition sehen einen notwendigen Zusammenhang von Leben und Arbeit. Die mit Hartz IV Einzug haltenden 1-Euro Jobs und die bereits seit längerem praktizierten "Arbeit-statt-Sozialhilfe"-Programme bedeuten eine Aktualisierung des kapitalistischen Credos vom "Wer-nicht-arbeitet-soll-auch-nicht-essen" an die stetig steigende Zahl der Erwerbslosen.
Auf Grund technischen Fortschritts ist immer weniger menschliche Arbeitskraft notwendig, um die gleiche oder eine größere Menge an Gütern zu produzieren. Produktivitätssteigerung bedeutet heute jedoch eben nicht, dass alle Menschen viel weniger als früher arbeiten müssen, sondern dass immer mehr für überflüssig erklärt werden und auf den Rest der Druck mit Verweis auf die nun Erwerbslosen erhöht wird.
Damit schwinden die letzten Reste an Solidarität und jeden ist erleichtert, wenn es bei der nächsten Entlassungswelle den/die jeweils andereN erwischt und nicht sie selbst. Und die, die noch eine Lehnarbeit haben, schimpfen auf die sogenannten Sozialschmarotzer, die ihnen auf der Tasche liegen würden und durch die vermeintlich üppigen Sozialleistungen, die sie beziehen ihre Arbeitsplätze angeblich gefährden. Die dagegen, die erwerbslos geworden sind, versuchen krampfhaft, doch irgendwie wieder in den ersten Arbeitsmarkt zu kommen oder suchen nach anderen individuellen Wegen, mit dem, was als Schicksal wahrgenommen wird klarzukommen. Dass Überleben nicht zwangsläufig an Lohnarbeit gekoppelt sein muss, kommt den wenigsten in den Sinn.
Leben for free ...
... dagegen muss vor allem diese Kopplung von Leben und Lohnarbeit aufbrechen. Und das kann nicht befristet auf ein Jahr gewonnen werden, sondern muss dauerhaft und für alle Menschen erkämpft werden. Solange Produktion an den Bedürfnissen des Kapitals orientiert ist und nicht an denen der Menschen, steht die Gewinnmaximierung im Vordergrund. Die Gewinne sind aber dann möglichst hoch, wenn die Leute z.B. für möglichst wenig Geld arbeiten, kaum Urlaubsansprüche oder keine Lohnfortzahlung im Krankheitsfall haben. Um wettbewerbsfähig zu bleiben und nicht von erfolgreicheren Konkurrenten "geschluckt" zu werden, muss ein Unternehmen "seinen" ArbeiterInnen also möglichst viel für möglichst wenig Gegenleistung abringen. Das mag dem einen oder der anderen moralisch verwerflich erscheinen, ist letzten Endes aber nur die Logik des Kapitalismus. Ein Unternehmen, das da nicht mitspielt, geht am Markt unter.
"Aber hier leben - nein danke" (Tocotronic)
So wie Konzerne ständig bemüht sind, ihre Wettbewerbsfähigkeit zu erhalten, ist es auch der Staat. Mit der Agenda 2010 bemüht sich die Bundesregierung, Unternehmen nicht nur mit dem vergleichsweise gut ausgebildeten Arbeitskräftepotential an den "Standort Deutschland" zu locken. Darüber hinaus werden die Betriebe auch von bisher relativ hohen sogenannten Lohnnebenkosten wie Beiträgen zur Kranken- und Rentenversicherung entlastet. Der "Standort Deutschland" gewinnt eben nur an Attraktivität, wenn der und die durchschnittliche Deutsche den Gürtel enger schnallt. Wofür der und die durchschnittliche Deutsche aber lieber "die Ausländer" verantwortlich macht und seine/ihre Loyalität gegenüber Staat und "deutschen Unternehmen" nicht aufkündigt.
Soll "Leben for free" also für alle Menschen eines nicht allzu fernen Tages Realität sein, ist erste Voraussetzung dazu der radikale Bruch mit Staat, Nation und einer an den Bedürfnissen des Kapitals orientierten Produktion. Vermeintliche Sachzwänge und Notwendigkeiten müssen als Erscheinungsformen spezifischer gesellschaftlicher Verhältnisse verstanden werden und damit als etwas, das von Menschen geschaffen und veränderbar ist. Wir haben kein Patentrezept, wie eine menschenwürdige Gesellschaft ohne Ausbeutung und Unterdrückung aussehen soll. Aber das ist auch gar nicht notwendig, weil wir nicht als "Avantgarde" bestimmen wollen, wie andere zu leben haben. Die heutigen beschissenen Verhältnisse sind für uns Grund genug, nach etwas anderem zu suchen!
Für die permanente soziale Revolte!
www.communism.de.tc
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