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Mindener Tageblatt , 01.04.2020 :

Räumung des Portaner KZ vor 75 Jahren

Porta Westfalica (dh). Vor 75 Jahren räumte das Nazi-Regime das Konzentrationslager an der Porta Westfalica. Die Leiden der Häftlinge waren mit der Evakuierung aber nicht vorbei. Vermutlich mehr als 2.500 Menschen wurden am 1. April 1945, dem Ostersonntag, in Güterwaggons gepfercht und zu anderen Lagern transportiert. Häftlinge wurden auf dem Weg zum Bahnhof schikaniert und geschlagen, wie viele auf dem Weg in andere Konzentrationslager starben, ist nicht geklärt. Thomas Lange, Geschäftsführer des Portaner Gedenkstättenvereins, weist im MT-Interview auf viele offene Fragen hin. "Alles Wissen zur Räumung der Lager basiert auf Häftlingsberichten, die nicht immer deckungsgleich sind", sagt der Historiker. Die wissenschaftliche Untersuchungen über das KZ-Außenlager Porta Westfalica, das von März 1944 bis April 1945 als Standort des KZ-Neuengamme fungierte, sei noch lange nicht abgeschlossen. So ist beispielsweise auch unklar, wie viele KZ-Häftlinge, die auf vier Orte an der Porta verteilt wurden und in alten Bergmannsstollen schufteten, ums Leben kamen.

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Mindener Tageblatt, 06.05.2014:

MT-Serie: KZ-Außenlager in Porta Westfalica / Bis zu 1.500 Häftlinge im "Kaiserhof"

Todesrate höher als in Buchenwald

KZ-Häftlinge in Porta: Hinrichtungen im Festsaal des Hotels

Von Stefan Lyrath

Porta Westfalica-Barkhausen (Ly). Vor etwa 30 Jahren lernte Manfred Schulz bei einem Seminar fünf Männer kennen, die KZ-Häftlinge in Porta waren. "Das hat mich berührt", sagt der Barkhauser Ortsheimatpfleger. Und nicht wieder losgelassen, denn die Überlebenden hatten Furchtbares erlebt.

Einer von ihnen berichtete nach Schulz’ Erinnerung, dass ein Insasse des Lagers im Barkhauser Hotel "Kaiserhof" abends aufgehängt worden sei, weil er ein Stück Kupferdraht als Schnürsenkel verwendet habe. Ein anderer Häftling soll das gleiche Schicksal erlitten haben, weil er unter der dünnen Kleidung zum Schutz gegen Kälte einen Zementsack getragen hatte. Fest steht: Ort ungezählter Hinrichtungen war der Festsaal des Hotels, der von März 1944 an etwa ein Jahr lang als Konzentrationslager für bis zu 1.500 Männer aus 17 Nationen diente, zum großen Teil Russen und Polen.

600 KZ-Häftlinge starben innerhalb eines Jahres

Die SS hatte das historische Gebäude beschlagnahmt. KZ-Wächter waren ebenfalls dort untergebracht. An anderer Stelle, im Hotel "Großer Kurfürst", residierte die SS-Sonderinspektion I, im Hotel "Kaiser Friedrich" (Hausberge) der Führungsstab A II, der die Häftlinge einsetzte. Zu zweit, manchmal auch mit drei Mann mussten die Gefangenen im "Kaiserhof" auf Strohsäcken in Betten schlafen, die vierstöckig angeordnet waren. In der Anfangszeit lagen sie auf dem Boden. Geheizt wurde nicht.

Von den drei Portaner Konzentrationslagern herrschten in Barkhausen die schlimmsten Bedingungen. "Dort gab es die meisten Toten", erklärt Manfred Schulz. Rund 600 Menschen starben in den zwölf Monaten. Die Todesrate lag mit monatlich 4,5 Prozent höher als etwa in Buchenwald, einem der größten KZ auf deutschem Boden. Der Tod hatte viele Gesichter in Barkhausen: Hunger, Krankheiten, unzureichende medizinische Versorgung, körperliche Schwerstarbeit unter Tage, tödliche Unfälle, brutale Übergriffe der Wachen.

Besonders gefürchtet war SS-Kommandoführer Hermann Nau, das ausführende Organ des Portaner Standortkommandanten Hermann Wicklein, der sich im Lager eher selten blicken ließ. Während Nau und der Lagerälteste Georg Knögel 1948 von einem französischen Militärgericht zum Tode verurteilt und hingerichtet wurden, konnte Wicklein untertauchen.

Das Außenlager Barkhausen sei "sprichwörtlich mitten in der Nachbarschaft errichtet" worden, stellt Thomas Lange fest, ein Historiker aus Minden, der 2006 eine Magisterarbeit mit dem Titel "Die Konzentrationslager an der Porta Westfalica" veröffentlicht hat. Lange gehört dem Portaner Verein KZ-Gedenk- und Dokumentationsstätte an, der in diesem Monat beginnt, an den Orten des Grauens Gedenktafeln aufzustellen.

Entgangen sein dürfte der Bevölkerung das Elend in Barkhausen nicht. "Jeden Morgen wurden die Häftlinge die Straße runtergetrieben", erinnert Ortsheimatpfleger Schulz. "Es kann nicht sein, dass das niemand gesehen hat." Den moralischen Zeigefinger erhebt Schulz trotzdem nicht. "Dass die Leute Angst hatten und nichts gesagt haben, ist nachvollziehbar."

Der "Kaiserhof" war eines von drei Portaner Außenlagern des KZ Hamburg-Neuengamme. Die ersten rund 250 Häftlinge trafen im März 1944 aus Buchenwald (bei Weimar) ein. Später kamen 200 Männer aus Dänemark an, darunter Jørgen Kieler, ein dänischer Widerstandskämpfer.

Geschuftet wurde in Zwölf-Stunden-Schichten, rund um die Uhr, ohne Ruhetag. Prügel waren an der Tagesordnung. Hinzu kamen sadistische Strafen wie das so genannte Pfahlhängen, bei denen Opfern die Arme auf dem Rücken zusammengebunden wurden, um sie mit einem Strick an den Handgelenken aufzuhängen. In der Regel hatte dies zur Folge, dass beide Schultergelenke auskugelten. Eine Marter, die viele Überlebende bis zum Ende ihres Lebens traumatisierte.

Das Gleiche gilt für die Zwangsarbeit. So müssten Häftlinge bis zur totalen Erschöpfung Stollen ausbauen, damit Rüstungsbetriebe zum Schutz vor alliierten Bombenangriffen unter Tage verlagert werden konnten. Im Denkmalstollen unter dem Kaiser-Wilhelm-Denkmal entstand ab Mai 1944 ein vierstöckiger Komplex, in dem Zwangsarbeiter sowie zivile Beschäftigte für zwei Firmen unter anderem Waffen und Kugellager für Jagdflugzeuge produzierten.

Mörderische Arbeit mit primitivem Gerät

Radioröhren für Funkanlagen und Spulen für ferngelenkte Bomben entstanden im oberen Teil des Jakobsstollens (Stöhr I), während eine im unteren Bereich geplante Schmierölraffinerie nie in Betrieb ging. Vor Beginn der Produktion mussten drei Stollen in den Fels getrieben und nach Sprengungen von Häftlingen aus Barkhausen geräumt werden, eine mörderische Arbeit mit primitivem Gerät.

Die Auflösung des Lagers Barkhausen wenige Wochen vor Kriegsende, am 1. April 1945, kam vermutlich sogar für Teile der SS überraschend. Noch am 27. März war ein Transport aus Lengerich eingetroffen. Für den Widerstandskämpfer Jørgen Kieler ging der Zweite Weltkrieg erst am 6. Februar 2005 zu Ende - nach einem Besuch im "Kaiserhof".

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Mindener Tageblatt, 09.04.2014:

MT-Serie / KZ-Außenlager in Porta Westfalica: Fast 500 Häftlinge in Neesen und Lerbeck

Grauen nebenan totgeschwiegen

Von Stefan Lyrath

Porta Westfalica (Ly). Aufgewachsen ist Thomas Lange in Hille, zum Gymnasium gegangen in Minden. "Aber damit ich zum ersten Mal mit dem Thema in Berührung komme, muss ich erst in Hannover studieren und einen Professor treffen, der sich mit regionalen KZ beschäftigt", erzählt er.

Dieser Teil der deutschen Geschichte, das "Konzentrationslager in der Nachbarschaft", sei totgeschwiegen worden, "ein urpeinliches Thema". Viele Deutsche wollen auch davon nichts gewusst haben. "Ich halte das für Blödsinn", sagt Thomas Lange. "Es gab mehr als 650 Außenlager deutscher KZ." Drei davon in Porta Westfalica, allesamt Außenposten von Neuengamme (Hamburg). Eins entstand im Barkhauser "Kaiserhof", eins an der Ecke Frettholzweg / Mindener Weg in Hausberge, das dritte am Pfahlweg zwischen Neesen und Lerbeck.

Thomas Lange ist mittlerweile selbst Experte: Vor acht Jahren hat er seine Magisterarbeit "Die Konzentrationslager an der Porta Westfalica" veröffentlicht, heute ein Standardwerk. Doch selbst darin findet sich eher wenig über das Lager Neesen / Lerbeck. Der Grund: Das KZ am Pfahlweg bestand nur kurz, von Oktober 1944 bis zum 1. April 1945, dem Tag der Räumung. Zudem mangelt es an Akten und Berichten.

Fest steht, dass im Dezember 1944 ein Mann nach Lerbeck kam, der 1954 zu den Gründern des Internationalen Auschwitz Komitees gehören sollte: Hermann Langbein.

In den Lagern zählte Langbein, der zuvor die Todesfabrik Auschwitz überlebt hatte, zur Widerstandsbewegung. In Porta war der Österreicher Lagerschreiber. Von ihm stammt die Einschätzung, dass Heinz Hagenah, der Lagerälteste, "ein Verbrecher" gewesen sei. So soll Hagenah zusammen mit SS-Unterscharführer Heinz Rast, der am Pfahlweg Lagerführer war, bevor er durch Richard Eichler abgelöst wurde, sieben Gefangene im Krankenrevier durch Giftspritzen ermordet haben. Ein Häftlingsarzt habe dabei geholfen.

Passierte es in Lerbeck?

Berichtet hatte dies der politische Häftling und Kapo Hans Biederer. Ob es stimmt, bleibt offen: "Im Ermittlungsverfahren konnte sich der Zeuge nicht mehr erinnern, ob dies in Lerbeck passiert ist", berichtet Thomas Lange. Passiert ist es offenbar - wenn nicht in Porta, dann in einem anderen KZ.

Insgesamt kamen allein in Lerbeck nach Erkenntnissen des Historikers Lange mindestens 34 Häftlinge ums Leben, die meisten durch Unterernährung oder Übergriffe von Bewachern. Eine entsprechende Anzahl von Leichen auf dem Lerbecker Friedhof konnte Anfang der 1950er-Jahre eindeutig als KZ-Insassen identifiziert werden. Reinhold Blanke-Bohne, der über die Portaner Lager eine Diplomarbeit (Studiengang Sozialpädagogik) geschrieben hat, geht von etwa 100 Todesopfern aus.

So oder so: Einen großen Teil der Verantwortung trägt Hermann Wicklein, damals Standortkommandant in Porta Westfalica. Zu grauenvoller Bekanntheit gelangte Wicklein durch das "Bunkerdrama" im KZ Herzogenbusch (Niederlande), wo er in jenem Januar 1944 Adjutant war.

Wicklein und andere SS-Schergen hatten 74 weibliche Häftlinge in eine nicht einmal zehn Quadratmeter große Zelle gesperrt, in die Nachbarzelle weitere 17 Frauen. Am nächsten Morgen waren zehn von ihnen qualvoll erstickt.

Mitleid für die Opfer war dem Obersturmführer aus Essen auch in Porta Westfalica fremd, wo bis zur Evakuierung in allen drei Lagern zusammen fast 3.000 Menschen gelitten haben. Nach dem Krieg verlor sich Wickleins Spur.

Mordermittlungen gegen ihn wurden 1970 eingestellt. Kaum ein Zeuge konnte ihn wirklich belasten, weil er in den Lagern selten persönlich auftrat. Die direkte Gewalt übten andere aus. Lagerführer Eichler etwa, der vor Gericht mit fünf Jahren Haft davonkam, allerdings wegen seiner Taten als Lagerkommandant in Schleswig-Husum.

Im März 1945 waren am Pfahlweg 469 Männer inhaftiert. Das Lager stand in Neesen, die Werkhallen auf Lerbecker Gebiet. Verglichen mit anderen KZ soll zumindest die Zwangsarbeit erträglicher gewesen sein. Die Tätigkeit war leichter, Hallen schützten die Häftlinge vor der Witterung.

Verein stellt Gedenktafeln auf

Im September 1944 war das Betriebsgelände des Betonwerkes Karl Weber beschlagnahmt worden, um dort ein Frontreparaturwerk der Firma Klöckner unterzubringen. Der neue Name: Bense & Co. Repariert, gewartet und geprüft wurden Flugzeugmotoren. Gefragt waren qualifizierte Arbeiter.

"Deshalb war es nicht egal, ob sie verrecken - wie in Barkhausen", erklärt Thomas Lange. Auf der anderen Seite des Pfahlwegs entstand in zwei Wehrmachtsbaracken das Lager, bewacht von bis zu 36 SS-Männern. Anfangs mussten die Häftlinge beim Umbau des Betonwerks helfen.

Thomas Lange gehört zum Verein KZ-Gedenk- und Dokumentationsstätte Porta Westfalica, der von Mai an Tafeln aufstellt, um an die Orte des Grauens zu erinnern.

Bildunterschrift: Der Historiker Thomas Lange, Verfasser einer Magisterarbeit über Portaner KZ, geht über den Pfahlweg. Das Lager stand in Neesen, die Werkhallen auf Lerbecker Gebiet.

Bildunterschrift: Eine Skizze des Lagers.

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Mindener Tageblatt, 07.03.2014:

MT-Serie / KZ-Außenlager in Porta Westfalica: Das Leiden der Zwangsarbeiter im Stollen

Produktionsstätten im Jakobsberg / Schläge und wenig Nahrung

Von Stefan Lyrath

Porta Westfalica-Hausberge (Ly). Der Jakobsberg. Für Wanderer ist die 235 Meter hohe Erhebung des Wesergebirges ein lohnendes Ziel. Unbekannt dürfte vielen sein, dass Hunderte von KZ-Häftlingen in den Stollen Zwangsarbeit verrichten mussten.

"Es ist unfassbar, mit welcher Brutalität und Menschenverachtung dabei vorgegangen wurde", sagt Herbert Wiese, Ortsheimatpfleger in Hausberge. Unbemerkt kann das nicht geblieben sein. "Zivile Beschäftigte arbeiteten dort ebenfalls", gibt Wiese zu bedenken. "Zwangsarbeiter wurden ja auch Unternehmen zur Verfügung gestellt." Unternehmen, die von menschlichem Leid profitierten, indem sie neben ihrer Belegschaft hauptsächlich Häftlinge beschäftigten. Lohn bekamen die Opfer natürlich nicht.

Radioröhren herstellen

Produziert hatte im Jakobsstollen die Firma Philips-Valvo, nachdem deren Betrieb angesichts der zunehmenden alliierten Bombenangriffe 1944 unter Tage verlagert worden war. In "Stöhr I", dem oberen Teil des Stollens, mussten im Februar und März 1945 bis zu 1.000 Frauen aus dem Lager am Frettholzweg Radioröhren für Funkanlagen herstellen. Spulen für ferngelenkte Bomben, so genannte "Wunderwaffen", fertigte die Firma Rentrop aus Stadthagen.

Hoch genug waren die unterirdischen Höhlen. Es mussten nur noch Zwischendecken eingezogen werden. Auf diese Weise entstanden im oberen Stollen neun Stockwerke mit einer Produktionsfläche von zusammen rund 9.000 Quadratmetern, unten drei Stollen, die zunächst 120 Meter lang waren und später um jeweils 50 Meter verlängert wurden (Gesamtfläche: etwa 6.500 Quadratmeter). Hinzu kam ein 230 Meter langer Transportstollen.

Im unteren Bereich ("Dachs I") sollte eine Schmierölraffinerie entstehen, ausgelegt für eine jährliche Produktion von 5.500 Tonnen. "Doch die Produktion kam nie zum Laufen", berichtete Herbert Wiese. Das Kriegsende mit der deutschen Kapitulation am 8. Mai kam den Plänen zuvor. Die Maschinen waren zu 85 Prozent installiert. Bereits am 1. April waren die drei Portaner Konzentrationslager in Hausberge, am Neeser Pfahlweg und dem Barkhauser "Kaiserhof" vor der anrückenden Front geräumt worden.

Drei Stollen in Jakobsberg getrieben

Welche Dramen sich im Berg abgespielt haben, können jene Info-Tafeln, die der Verein KZ-Gedenk- und Dokumentationsstätte Porta Westfalica im Frühjahr an sieben Orten aufstellen will, nur andeuten. Für die Produktionsanlagen mussten zunächst ab März 1944 drei neue Stollen in den Jakobsberg getrieben und nach Sprengungen vom Geröll geräumt werden, eine "mörderische Arbeit", so Reinhold Blanke-Bohne in seiner Diplomarbeit (Studiengang Sozialpädagogik) von 1984.

Insgesamt wurden mehr als 60.000 Kubikmeter Gestein aus dem Jakobsberg gebrochen. Das entspricht laut Blanke-Bohne 1.666 Waggons oder einem Güterzug von 17 Kilometern Länge. Anfangs hatten die entkräfteten KZ-Häftlinge nur Hacken, Schaufeln, Tragebahren und Schubkarren, eine primitive Ausrüstung. Später kamen Loren hinzu, die auf unterirdischen Gleisen fuhren. In den Berg ging es schräg gegenüber dem Bahnhof an der heutigen B 482.

Nach kurzer Zeit seien von den ersten 300 Häftlingen, am 19. März aus dem Lager Buchenwald bei Weimar gekommen, etwa 50 gestorben, wie Blanke-Bohne schreibt. Untergebracht waren die Männer aus mehreren Nationen im Hotel "Kaiserhof", aus dessen Tanzsaal die Nazis ein KZ für bis zu 1.600 Menschen gemacht hatten.

Arbeiten mussten die Unglücklichen in Zwölf-Stunden-Schichten ohne Unterbrechung und Sonntagsruhe. "Bei "schlechter Arbeitsleistung" waren 25 Schläge die Standard-Strafe", so Ortsheimatpfleger Wiese. "Vier Kapos hielten das Opfer fest, einer schlug zu." Kapos waren Funktionshäftlinge.

Arbeiten im Laufschritt

Pierre Bleton, politischer Gefangener aus Frankreich, gehörte zum ersten Transport aus Buchenwald. Er berichtete über einen SS-Kommandoführer, der im Berg einen Russen erschlagen haben soll, weil dieser ihm nicht schnell genug arbeitete. "Seitdem diese Tat bekannt ist", so zitiert Blanke-Bohne den Franzosen weiter, "sind alle dabei, wie die Ratten zu schuften und fast in Raserei die Schaufel und die Hacke spielen zu lassen".

Teilweise wurde die Arbeit demnach im Laufschritt verrichtet. Wer so mit der Schubkarre fahren musste, dem drohte in kurzer Zeit "Vernichtung durch Arbeit", heißt es. Auch die Verpflegung war denkbar schlecht. Brot, dünne Suppe mit Kohlrüben oder Kartoffeln, nur gelegentlich Marmelade, Margarine oder ein Stück Wurst: Trotz der Schwerstarbeit mussten die Männer nach Erkenntnissen Blanke-Bohnes mit höchstens 1.500 Kalorien auskommen.

Allein aus dem Lager Barkhausen sollen in einem Jahr mehr als 600 Menschen gestorben sein. Blanke-Bohne gibt die Todesrate mit monatlich 4,5 Prozent an - mehr als in Lagern ohne Zwangsarbeit unter Tage.

Bildunterschrift: Tor zur Hölle: In die unteren Stollen führte dieser mittlerweile verschlossene Eingang schräg gegenüber dem Portaner Bahnhof.

Bildunterschrift: Ortsheimatpfleger Herbert Wiese neben einem Entlüftungsschacht, der an die Produktionsanlagen im oberen Stollen des Jakobsberges erinnert.

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Mindener Tageblatt, 14.02.2014:

MT-Serie / KZ-Außenlager Porta Westfalica: "Am schlimmsten waren SS-Frauen"

Zeitzeugin Christa Grzik erinnert sich

Von Stefan Lyrath

Porta Westfalica-Hausberge (Ly). "Es war eine schlimme Zeit", sagt Christa Grzik. "So etwas darf nie wieder passieren." Mit Entsetzen erinnert sich die 84-Jährige noch heute an den Februar und März 1945.

Neben ihrem Elternhaus stand an der Ecke Frettholzweg / Mindener Weg ein im Herbst 1944 erbautes Konzentrationslager, in dem bis zur Evakuierung am 1. April fast 1.000 jüdische Frauen zusammengepfercht waren. Christa, damals ein Mädchen von 15 Jahren, konnte durch den Zaun sehen. Sie sah, wie Jüdinnen geschlagen wurden.

"Am schlimmsten waren die SS-Frauen", sagt Christa Grzik. "Sie hatten Stöcke, an denen lange Spitzen waren." Mit der Spitze sei gestochen worden. Gesehen hat die Hausbergerin auch, wie entkräftete weibliche Häftlinge um die Baracke marschieren mussten, vermutlich zur Strafe. "Das hat fast eine Stunde gedauert. Frauen, die zusammenbrachen, mussten wieder hoch."

Wenn Christa Grzik am KZ vorbeiging, hatte sie ein ungutes Gefühl. Einmal habe eine Wache gerufen: "Willst du auch hier rein?" Sie solle durch den Wald gehen, nicht am KZ vorbei. Wozu das Lager diente, dass dort Häftlinge untergebracht waren, muss die Bevölkerung nach Überzeugung der Hausbergerin gewusst haben. "Jeder, der wollte, konnte es sehen", sagt sie.

Außerdem wurden die Frauen zur Zwangsarbeit im oberen Stollen des Jakobsberges über Straßen und Wege getrieben. "Ich kann mich nicht erinnern", so Grzik, "dass Straßen deshalb gesperrt wurden. Als ich mit meinem Vater im Wald Holz holte, habe ich die Frauen selbst gesehen."

Wahrscheinlich hatten viele Portaner ähnliche Begegnungen. "Aber über das Lager wurde nicht gesprochen", erinnert sich Christa Grzik. "Man hatte Angst. Außerdem waren unter der Bevölkerung viele Nazis." Eine Atmosphäre von Angst und Misstrauen.

Erbaut hätten das Frauenlager männliche KZ-Häftlinge aus Barkhausen. "Es waren auch Kapos dabei, die mit Holzlatten geschlagen haben", erzählt sie. Kapos waren Funktionshäftlinge, die für ihre Dienste von der SS besondere Vergünstigungen erhielten.

Angefangen habe alles mit der Pogromnacht im November 1938, auch in Porta Westfalica der Auftakt zur systematischen Juden-Verfolgung. "Ich musste nach Hausberge zur Schule", berichtet Christa Grzik. "Dort sah ich eingeschlagene Scheiben, zerstörte Geschäfte. Und dann waren die Juden auf einmal weg."

Führungen und 5.000 Flyer

Parallel zu den Info-Tafeln, die im Frühjahr an voraussichtlich sieben Orten aufgestellt werden, sollen 5.000 Flyer erscheinen - zunächst. Das berichtet Thomas Hartmann vom Verein KZ-Gedenk- und Dokumentationsstätte Porta Westfalica.

Die Flyer enthalten den Plan der Tafeln und Wissenswertes zu den KZ-Orten. Sie sollen im gesamten Stadtgebiet ausliegen, gedacht als Angebot für Einheimische, Touristen und Schüler. Sechs Mitglieder des Vereins, die einem Arbeitskreis angehören, überlegen bereits, später auch Flyer in den Sprachen der Opfer drucken zu lassen.

Außerdem wollen Hartmann und der Hausberger Ortsheimatpfleger Herbert Wiese mit Sets für den Unterricht weiterführende Schulen abklappern, um in den Fachkonferenzen über die Arbeit des Vereins zu berichten. Das gilt auch für Schulen benachbarter Kreise. Führungen sind ebenfalls vorgesehen.

Für Mai ist eine Auftaktveranstaltung im Rathaus geplant. Anschließend soll am "Grünen Marktplatz" in Hausberge die erste Info-Tafel errichtet werden. Gegen Kriegsende gab es drei Konzentrationslager in Barkhausen, Hausberge und Neesen, deren insgesamt fast 3.000 Insassen Zwangsarbeit verrichten mussten.

Bildunterschrift: Christa Grzik blättert in der Diplomarbeit von Reinhold Blanke-Bohne, die sich mit Konzentrationslagern und Rüstungsbetrieben an der Porta befasst.

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Mindener Tageblatt, 07.02.2014:

MT-Serie / KZ-Außenlager Porta Westfalica: Peitschenhiebe für ausgezehrte Frauen

Häftlingsbaracken am Frettholzweg / Zwangsarbeit im Jakobsberg

Von Stefan Lyrath

Porta Westfalica-Hausberge (Ly). Thomas Hartmann steht am Fenster und blickt auf ein Feld, bedeckt mit Schnee, der in der Sonne glänzt. Ein Bild des Friedens. Vor 69 Jahren, im Februar und März 1945, war dies ein Ort des Grauens.

An der Ecke Mindener Weg / Frettholzweg stand das Lager Hausberge, eine von vielen Außenstellen des KZ Neuengamme, drei davon in Porta. Auf einem Luftbild der Engländer, das Hartmann in der Hand hält, sind Baracken für Häftlinge und Gebäude der SS zu erkennen. "Es ist auch hier vor Ort geschehen. Das müssen wir uns immer wieder bewusst machen", sagt er. "Ich leite daraus die Verpflichtung ab, dass so etwas nie wieder passieren darf."

In den drei Portaner Lagern waren fast 3.000 Häftlinge zusammengepfercht. Rund 1.000 Jüdinnen aus Ungarn und den Niederlanden, Sklaven der Rüstungsindustrie, haben in Hausberge unter dem Joch der Nazis gelitten. Viele kamen aus Auschwitz, der Todesfabrik im Osten, ein Teil aus anderen Konzentrationslagern.

Wenigstens gab es an der Porta Westfalica weder Gaskammern noch Krematorien. Der Aufenthalt war kurz, bereits am 1. April 1945 wurde das Hausberger KZ zeitgleich mit den Lagern im Barkhauser "Kaiserhof" und am Neeser Pfahlweg vor den anrückenden Alliierten geräumt.

Thomas Hartmann, früher Lehrer für Geschichte und andere Fächer am Gymnasium, Porta Westfalica, redet nicht nur, er handelt auch. Der Hausberger gehört zu einem sechsköpfigen Arbeitskreis des Vereins KZ-Gedenk- und Dokumentationsstätte Porta Westfalica, der an sieben Orten, wo bei Kriegsende KZ oder Rüstungsbetriebe lagen, Info-Tafeln aufstellen will. Damit wird auch der Opfer des Terrors gedacht, die bis zur Erschöpfung schuften mussten - oder bis zum Tod.

Mit dem Aufstellen der Tafeln soll nicht Schluss sein. Schon jetzt wird im Verein, dessen Vorsitzender Bürgermeister Stephan Böhme ist, dachte darüber nach, Schicksale von Portaner Juden zu dokumentieren. "Wir sind im Soll", reagiert Hartmann auf verhaltene Kritik der Gedenkstätte Neuengamme (Hamburg) im Internet, wonach am Frauenlager Hausberge bis heute kein Erinnerungszeichen angebracht worden sei.

Thomas Hartmann, 1985 von Berlin an die Westfälische Pforte gekommen, hat festgestellt, dass die KZ in der Bevölkerung "nie Thema gewesen sind". Verstehen kann er das nicht. "Aber ich kann es nachvollziehen: Da ist viel Scham dabei." In den 1950er-Jahren war das Gelände am Südhang des Jakobsberges der Schauplatz von Motorradrennen.

Im Krieg führte der Weg zur Zwangsarbeit über den neu ausgebauten Schwollmannsweg. Im oberen Stollen des Jakobsberges, wo die Hammerwerke untergebracht waren, mussten die Frauen für Philips-Valvo Radioröhren sowie Teile zur Steuerung einer ferngelenkten Bombe herstellen. Allein Philips wollte bis zu 4.000 Zwangsarbeiter einsetzen, doch dazu kam es nicht mehr.

Misshandlungen an der Tagesordnung

Misshandlungen durch Aufseherinnen waren vor allem auf dem fünf Kilometer langen Weg zum Stollen und zurück an der Tagesordnung. "Von einer SS-Aufseherin wird berichtet, dass sie die Frauen nach der Nachtschicht zwang, ihre Lieblingslieder zu pfeifen", heißt es in einer 1984 veröffentlichten Diplomarbeit (Studiengang Sozialpädagogik) von Reinhold Blanke-Bohne. Regelmäßig sollen Jüdinnen mit Peitschen und Knüppeln geschlagen worden sein. Zuschauer waren unerwünscht, aber die Umgebung des KZ war auch nur spärlich bebaut.

Es mag wie Hohn klingen, doch im Vergleich mit anderen Lagern soll zumindest die Arbeit weniger schlimm gewesen sein, wenn man davon absieht, dass eine Schicht bis zu 24 Stunden dauern konnte. In den Stollen waren Heizungen installiert, um die empfindlichen Radioröhren vor Korrosion und Temperaturschwankungen zu schützen. Dies hatte "den Nebeneffekt, dass die Arbeitsbedingungen ( ... ) wesentlich erträglicher wurden", schreibt der Mindener Historiker Thomas Lange in seiner Magisterarbeit "Die Konzentrationslager an der Porta Westfalica".

Zudem habe die Produktionsleitung SS-Leute aus den Stollen verbannt. Der Grund: Händezittern und Angstschweiß der KZ-Insassen sollen Produkte unbrauchbar gemacht haben. Beheizt waren nach Erkenntnissen Langes auch die Häftlingsbaracken.

Frauen starben an Entkräftung

Über Opferzahlen im Frauenlager Hausberge ist dagegen nichts bekannt. Reinhold Blanke-Bohne berichtet, dass eine Frau völlig nackt und ohne Sarg in einem Graben nahe dem Lager beerdigt worden sei, andere Häftlinge auf dem Lohfelder Friedhof.

Zu den Lebensbedingungen heißt es in der Diplomarbeit: "Die Verpflegung muss sehr schlecht gewesen sein, einige Frauen starben an Entkräftung." Ein KZ-Arzt habe den Holländerinnen vorausgesagt: "Ihr habt noch vier Wochen zu leben, dann seid ihr ausgezehrt." Mangelnde ärztliche Versorgung soll laut Blanke-Bohne ebenfalls zu Todesfällen geführt haben. Entstanden war das Lager Hausberge bereits im Herbst 1944, ein halbes Jahr vor der Belegung mit Frauen. Gebaut haben es offenbar männliche Häftlinge, die zuvor untergebracht waren. Auch darüber ist nicht viel bekannt - noch nicht.

Bildunterschrift: Thomas Hartmann wohnt nur einen Steinwurf vom Gelände des früheren Lagers Hausberge entfernt. Auf dem Luftbild sind die Baracken zu erkennen.

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Am 1. April 1945 räumte das NS-Regime das Konzentrationslager an der Porta Westfalica, mehr als 2.500 Gefangene wurden in Güterwaggons über Bergen-Belsen, sowie Beendorf nach Neuengamme transportiert.

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