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Westfalen-Blatt / Zeitung für Bielefeld und Schloß Holte-Stukenbrock , 31.03.2020 :

Mit zwei Panzern gegen eine ganze Armee

Die letzten Kriegstage in Bielefeld: ein aberwitziger Führerbefehl

Von Heinz Stelte

Bielefeld (WB). Die Sirenen wollen nicht mehr verstummen. Fünf Minuten heulen sie an diesem Karsamstag. Es ist 20 Uhr, und das Signal verkündet: Feindalarm. Die ersten amerikanischen Verbände haben die Bielefelder Kreisgrenze erreicht.

Den Krieg kennen die Bielefelder bislang nur aus der Luft. Sie haben schwer darunter gelitten. Im Juni 1940 waren die ersten Bomben auf Bielefeld gefallen, beim schwersten Luftangriff im September 1944 ließen 650 Menschen ihr Leben. Tiefflieger hatten Straßen und Schienenwege unsicher gemacht, Reisen war praktisch unmöglich geworden. Die Front allerdings, sie schien für viele Bielefelder bis zu diesem Osterfest noch weit weg. Informationen über die wahre militärische Lage gab es kaum, über das Tempo des amerikanischen Vormarsches nach dem Überqueren des Rheins vor gut drei Wochen wusste die Zivilbevölkerung wenig. Am Karsamstag jedoch ändert sich das. Endlose Fahrzeugkolonnen zurückweichender deutscher Kräfte schieben sich durch die Gütersloher und Haller Straße. Dabei soll am Teutoburger Wald laut einem Führerbefehl "bis zum letzten Mann" gekämpft, der Vormarsch des Feindes hier gestoppt werden.

Doch für dieses Unterfangen stehen dem Wehrmachtskommandanten von Bielefeld, Generalmajor Karl Beche, lediglich etwa 6.500 bis 7.000 Mann zur Verfügung - für einen Abschnitt von Hilter im Osnabrücker Land bis nach Horn im Lippischen. 3.500 Männer liegen rund um Bielefeld. Ihre Ausrüstung: vier Flak-Geschütze ohne Munition, zwei Panzer, von denen nur einer bedingt fahrbereit ist, und einige Panzerabwehrkanonen, deren Geschosse die amerikanische Panzerung nicht durchbrechen können. Ein paar Tage zuvor war es im Sedanbunker an der Weißenburger Straße, Kommandozentrale der örtlichen Parteiführung, zu heftigen Meinungsverschiedenheit zwischen Generalmajor Becher und dem Bielefelder NSDAP-Kreisleiter Gustav Reineking gekommen. Reineking wollte den gesamten Volkssturm der Wehrmacht unterstellen, Becher wollte die Männer jedoch nur richtig ausgerüstet und bewaffnet übernehmen. Er sah in einer Truppe betagter Männer, für die nur etwa 100 Gewehre vorhanden waren, keine Verstärkung.

Kurz nach dem Sirenensignal ergeht an alle Rüstungsbetriebe der Stadt der Befehl "Lähmung", sie müssen ihren Betrieb einstellen. Gegen 21.45 Uhr erschüttert eine schwere Detonation den Osten der Stadt. Der Bielefelder Sicherheitsdienst hat die Autobahnbrücke in Lämershagen in der Nähe des Gasthauses Deppe gesprengt. Deutsche Truppen, etwa 2.000 Mann, beziehen noch in der Nacht Stellung in Lämershagen und Gräfinghagen.

Mit dem Feindalarm treten an diesem 31. März in Bielefeld umfangreiche Geheimbefehle in Kraft, die unter anderem die sofortige Einrichtung von Schnellgerichten vorsehen, um jeden Widerstand gegen Befehle mit schärfsten Mitteln begegnen zu können. Einer, der zwischen den Stühlen, zwischen Wehrmacht und Parteileitung, sitzt, ist Oberbürgermeister Fritz Budde. Er war in den vergangenen Tagen mit dem für die Verteidigung Bielefelds zuständigen Oberst Sommer übereingekommen, die Stadt so zu verteidigen, dass Bielefeld möglichst wenig Schaden nehmen soll.

So wurden zwar auch in der Innenstadt Panzersperren errichtet, diese später aber zunächst nicht mehr geschlossen, um einen Beschuss durch die Amerikaner und somit die Zerstörung der Stadt zu verhindern.

Die letzten fünf Kriegstage

Vor genau 75 Jahren, am 31. März, erreichen die amerikanischen Truppen Bielefeld, am 4. März weht am Rathaus die weiße Fahne. Fünf Tage dauert es, bis die Alliierten Bielefeld einnehmen. Nicht etwa, weil der Widerstand so groß ist, sondern weil die Amerikaner sehr vorsichtig vorgehen und die Großstadt am Teutoburger Wald strategisch weitestgehend unwichtig geworden ist. Das Westfalen-Blatt schildert in einer Serie die Ereignisse dieser letzten fünf Kriegstage in und um Bielefeld.

Der größte Bunker der Stadt

Mit knapp 1.800 Quadratmetern Nutzfläche ist der 1942 errichtete Sedanbunker der größte Luftschutzbunker in Bielefeld. Benannt wurde der Bunker nach den Schlachten von Sedan in den Jahren 1870 und 1940. Konzipiert als ziviler Luftschutzbunker auf drei oberirdischen und einer unterirdischen Etage, bietet er Platz für 1063 Personen.

Nach einer Änderung des Bauplanes im April 1944 ziehen unter anderem die Luftschutzleitung, die Feuerlöschpolizei und die Parteizentrale der NSDAP, die sich zuvor im Horst-Wessel-Haus in Nähe des Jahnplatzes befand, in den Bunker. Dafür werden Funkraum, Befehlsstelle und Besprechungsraum eingeplant.

Beim Einmarsch in die Stadt finden die Amerikaner den Bunker verlassen vor. Die britische Rheinarmee veranlasst in den 50er Jahren die Entmilitarisierung des Bunkers, es werden Öffnungen in die Außenwände geschnitten. Der Bunker dient den Besatzungsmächten zunächst als Verwaltungsbau, im Zuge des Kalten Krieges wird das Gebäude für den Zivilschutz reaktiviert und für einen möglichen ABC-Angriff ausgerüstet. Bis zum Jahre 2009 unterhält die Stadt Bielefeld den Zivilschutzbunker an der Weißenburger Straße, seit dem wird er privat genutzt, übergangsweise zum Beispiel als Plattencover-Museum. Wenig später verkauft die Bundesanstalt für Immobilienaufgaben den Bunker, das Gebäude wird umfangreich zu einem Gebäude zum Wohnen und Sammeln von Kunst umgebaut.

Umbau und die Neugestaltung werden 2017 vom Bund Deutscher Architekten ausgezeichnet.

Bericht des Oberkommandos der Wehrmacht (31. März)

Die eigene Front ist überdehnt, da der Gegner bis in den Raum westlich Münster und südwestlich Rheine vordrang. Störend macht sich bemerkbar, daß die Heeresgr. H schlecht oder gar nicht zu erreichen ist. Die südlich Paderborn eingesetzte SS-Brig. "Westfalen" schoß 18 Panzer ab. Die Brigade steht zur Verfügung der Heeresgruppe. Bei Kassel wird eine neue Linie aufgebaut.

Bildunterschrift: In den letzten Kriegstagen liegt Bielefeld nach den schweren Luftangriffen in Schutt und Asche.

Bildunterschrift: Immer wieder hatte die Bielefelder Bevölkerung in den letzten Kriegsmonaten die Luftschutzkeller aufsuchen müssen.

Bildunterschrift: Die Amerikaner rückten nach der großen Landungsaktion und der Überquerung des Rheins am 23. und 24. März bei Wesel sehr schnell bis nach Ostwestfalen vor.

Bildunterschrift: Aus dem früheren Luftschutzbunker an der Weißenburger Straße ist ein prämiertes Wohnhaus mit Dachgarten geworden.

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Am 4. April 1945 rückte die 3. US-Panzerdivision in Bielefeld ein und konnte die Stadt (nahezu kampflos) einnehmen - der vom NS-Regime entfachte Zweite Weltkrieg, die NS-Herrschaft war für Bielefeld beendet.

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www.stadtarchiv-bielefeld.de

www.bielefeld.de/de/biju/stadtar/rc/rar/01042015.html


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