Der Patriot - Lippstädter Zeitung ,
30.04.2005 :
Weiße Fahne verhinderte amerikanischen Panzerangriff / Agathe Wiehen erinnert sich an Kriegsende / Benachbarte Familie verlor drei von fünf Söhnen / Nach langen Jahren des Wartens kehrte ihr Vater doch noch zurück
Langeneicke/Geseke. "Immer wenn ich Berichte über den Krieg sehe, lese oder höre, werden Erinnerungen wach. Oft kommt die Angst dann wieder", meinte Agathe Wiehen.
Mit den unvorstellbaren Gräueltaten, den fürchterlichen Verfolgungen und schlimmen Vorkommnissen - auch für den heimischen Raum - bringt die Seniorin noch immer für sie prägende Ereignisse in Verbindung, die für sie noch heute plakativ sind und gleichzeitig genügend Warnung für folgende Generationen sein sollten ...
Agathe Wiehen, geb. Grabowski, lebte mit ihren Eltern und vier Geschwistern unweit des Zementwerks Milke an der Bürener Straße in einer dortigen Werkswohnung. Dort erlebte sie beispielsweise Ende des Krieges, wie Menschen, die aus dem zerbombten Rheinland in den hiesigen Raum geflohen waren, ziellos auf der Straße standen und auf Hilfe hofften.
Einige Zeit vorher bei einem frühen Bombenangriff auf Geseke hatten Agathe Wiehen (sie war ungefähr elf Jahre jung) und drei ihrer ebenfalls schulpflichtigen Geschwister großes Glück. Die vier Schulkinder wurden nämlich gemeinsam mit ihren damaligen Klassenkameraden von den Lehrern nach Hause geschickt, nachdem es den - zumindest bis zu diesem Zeitpunkt für den hiesigen Raum fast unbekannten - "großen Bombenalarm" gegeben hatte. Agathe Wiehen: "Auch die Lehrer kannten die Situation offenbar nicht, sie konnten die Lage nicht einschätzen." Die vier Grabowski-Kinder im Alter zwischen sechs und elf Jahren waren also zu Fuß auf dem Heimweg, als Angriffe auf Geseke geflogen wurden. "Meine Mutter wusste natürlich von dem Alarm und wie gefährlich für uns der Weg aus der Stadt zum Elternhaus war. Ich werde nie vergessen, wie sie zu Hause auf der Eingangstreppe stand und verzweifelt wartete. Wir kamen aber alle vier gesund nach Hause. Ich glaube: Da waren mehrere Schutzengel unterwegs."
Agathe Wiehen erzählte sichtlich bewegt auch von einer Familie, die im selben Haus wohnte. Diese Familie verlor während des Krieges binnen kürzester Zeit drei ihrer fünf Söhne. "Ein vierter Sohn kam zwar zurück, er war aber schwer verwundet", so die Seniorin weiter.
In tiefer Erinnerung ist der Vorsitzenden der CDU-Frauenunion auch der 1. Ostertag 1945 geblieben. "An der Bürener Straße lagen ganz junge Wehrmachtssoldaten in Gräben. Als amerikanische Panzer auf dem Weg Richtung Steinhausen waren, schoss einer von ihnen - es waren ja allesamt noch Kinder - in Höhe unserer Häuser mit einer Panzerfaust. Die Amerikaner stoppten zunächst. Nur weil Nachbar Kasper Dreier ganz schnell eine weiße Fahne gehisst hat, blieben wir von einem folgenschweren Panzerschlag verschont. Ich bin sicher: Die Häuser in unserem Wohnbereich, die es heute übrigens gar nicht mehr gibt, wären zerstört worden ... " Am 1. Ostertag 1945 hatte auch Agathe Wiehens Großvater offenbar seinen ganz persönlichen Schutzengel: "Trotz der anrückenden amerikanischen Panzer wollte der über die Bürener Straße zur Kirche gehen. Als ihn die Soldaten sahen, hielt er einfach sein Gesangbuch hoch. Ihm geschah nichts ... "
Nachdem die Wahl-Langeneickerin berichtet hatte, wie oft Geseker Familien während des Krieges von Plünderungen durch Kriegsgefangene betroffen waren, ging sie auf Nachkriegssituationen ein: "Unsere Mutter - zu meinem Vater hatten wir schon lange keinen Kontakt mehr - half mit anderen Frauen nach der Kapitulation einigen deutschen Soldaten, die sich aus Furcht vor den Amerikanern in Wäldern um Geseke versteckt hatten. Die Männer bekamen neutrale Kleidung und Verpflegung, obwohl wir selbst nicht viel hatten. Auch diese Situation war für uns alle gefährlich, denn die Amerikaner suchten nach Wehrmachtsangehörigen."
Auf die Frage, ob sie nach der Kapitulation erleichtert gewesen sei, meinte Agathe Wiehen, dass davon eigentlich nicht die Rede sein konnte: "Wir wussten doch lange Zeit überhaupt nichts. Weder genauere Dinge über die Judenverfolgung, noch von den KZs oder Hitlers Tod. Es gab immer nur spärliche Gerüchte."
Nachdem sich in den Folgejahren die Situation ganz langsam normalisierte (O-Ton: "Es war für uns alle sehr schwer, aber zielstrebig und mit enormem Willen haben wir es geschafft.") kam dann das Frühjahr 1949: "Wir saßen in unserem Haus. An einem Abend klopfte es plötzlich am Fenster. Dort stand mein Vater. Er kam direkt aus britischer Kriegsgefangenschaft. Wir hatten nichts von ihm gehört, keinen Kontakt. Die Freude war natürlich unbeschreiblich."
Bilanzierend meinte Agathe Wiehen abschließend, dass sie dem Herrgott dankbar dafür sei, dass für sie und ihre Familie alles relativ glimpflich ausgegangen ist: "Wir bekamen natürlich auch die Bomben auf den Bahnhof Geseke mit den vielen Toten sowie die Angriffe auf den Fliegerhorst mit, da wir quasi genau in der Mitte davon wohnten. Aber auch dabei blieben wir verschont ... "
30.04./01.05.2005
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