Deister- und Weserzeitung ,
30.04.2005 :
Ein Knäckebrot rettete Hans Krumsiek das Leben / Zwei Mal auf der Ostsee knapp dem Tod entronnen
Von Wolfhard F. Truchseß
Hameln. Die meisten Hamelner Männer im "wehrfähigen" Alter erlebten das Kriegsende nicht in der Heimat. Viele kämpften bis zum bitteren Ende an den Fronten, viele waren als vermisst gemeldet, in Gefangenschaft geraten oder gefallen. So erreichte Minna G. im Mai 1943 ein mit "Heil Hitler" unterzeichnetes Schreiben, in dem ihrmitgeteilt wurde, dass ihr Mann Friedrich G. seit dem 23. Februar 1943 "nach schweren Abwehrkämpfen bei Orel" (südlich von Moskau, der Verf.) vermisst werde. Alle Nachforschungen nach dem Vater zweier Kinder seien vergeblich gewesen. Solche Briefe erhielten in diesen Jahren viele Familien. Es war der Beginn einer vaterlosen Zeit.
Mehr Glück als Friedrich G. hatte der Hamelner Seekadett Hans Krumsiek. 17-jährig hatte er sich zur Kriegsmarine gemeldet und seinen 18. Geburtstag im Januar 1945 auf dem Linienschiff "Schlesien" gefeiert. Im April 1945 lässt ein Torpedo-Treffer das Schiff sinken. Aber viele Matrosen, darunter auch Hans Krumsiek, werden gerettet. In Swinemünde kaum an Land, geht es mit der "Orion" wieder auf die Ostsee.
In einer Ruhepause liegt Krumsiek mit fünf anderen Kadetten in seiner Kajüte, als ein sechster ihm erzählt, "an Deck gibt es Knäckebrot". Da sei er mit nach oben gekommen. "Denn Knäckebrot war damals eine seltene Leckerei." Das rettet Krumsiek das Leben. Kaum an Deck, wird die "Orion" von einem Flieger angegriffen. Vier Bomben fallen. Zwei treffen das Schiff, eine davon die Kajüte mit den anderen Kadetten. Sie finden alle den Tod.
Doch die Odyssee ist damit nicht beendet. Ein Handelsschiff nimmt die Überlebenden auf und bringt sie nach Kopenhagen. Es war der 8. Mai 1945 und der Krieg beendet, aber einer der Offiziere übernimmt mit seinen Leuten, darunter auch Krumsiek, im Hafen die "Magdalena Vinnen" und entkommt mit dem Schiff den Dänen.
Weil es an der Außenreede von Kopenhagen noch ein deutsches Versorgungslager gab, das prall gefüllt mit Trockenfisch war, wird ein Boot mit 13 Mann ausgesetzt und der das Lager noch verwaltende Oberzahlmeister unter Androhung von Waffengewalt gezwungen, Fisch herauszurücken. Auf die Frage, wie man die Aktion juristisch bezeichnen würde, gibt Krumsiek zu: "Das war bewaffneter Raub."
In Kiel warten bereits die Engländer. Die Besatzung geht in Gefangenschaft. Nicht lange, denn die Engländer starten die Aktion "Barleycorn" (Gerstenkorn): Sie wollen alle Landarbeiter unter den Gefangenen entlassen, damit die auf dem Halm stehende Ernte eingebracht werden kann. Krumsiek: "Ich kannte nur einen Gedanken. Ich wollte Landarbeiter werden." Ehrlich habe er den Fragebogen ausgefüllt, der zur Entlassung führen soll, berichtet Krumsiek: Schule mit Notabitur abgeschlossen, Mitglied des nationalsozialistischen Jungvolks, Jungvolkführer und Antrag auf Mitgliedschaft in der NSDAP. "Ja, wir waren kleine Nazis", bestätigen Hans Krumsiek und seine Frau Adelheid, die "Jungmädelführerin" in Hameln war, heute ihre Vergangenheit.
Seine Ehrlichkeit aber bringt Krumsiek die Freiheit. Ein jüdischer Offizier im Dienst der Briten stellt bei der Vernehmung fest, Krumsiek sei offenbar der einzige von mehr als 20 Soldaten, deren Fälle er bearbeite, der etwas mit den Nazis zu tun gehabt habe und unterschreibt die Entlassungspapiere. Am 21. Juni 1945 ist Krumsiek wieder in Hameln.
Lesen Sie am Montag: Die Entnazifizierung.
30.04./01.05.2005
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