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Mindener Tageblatt , 25.03.2020 :

Leserbrief / Konterkarikatur

Ein Berliner Gericht hat einen Mann freigesprochen, der wegen Beleidigung der Politikerin Sawsan Chebli angeklagt war.

Das Amtsgericht Berlin-Tiergarten hält die Begriffe "islamische Sprechpuppe" und "Quotenmigrantin"
( ... ) für "haarscharf auf der Grenze des Zulässigen". ( ... ) Die Entscheidung über die Grenzziehung fällt wohl das Gericht. Auf welches Niveau der so genannten Meinungsäußerungen müsste man denn gehen, dass anders entschieden würde? ( ... ) Wie weit darf sich die Rechtsprechung dieser perfiden "Meinungsäußerungsstrategie" eines Ex-Polizisten nähern? Die Antwort kann nur lauten: Keinen Millimeter! ( ... ) Solche richterlichen Entscheidungen konterkarieren alles Bemühen. Rechtsprechung darf nicht zu Rechtsprechung werden!

Gerd-Friedrich Henneking, Minden


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Blick nach Rechts, 28.02.2020:

Ein bitteres Urteil

Von Michael Klarmann

Im Prozess wegen der angeklagten Beleidigung der Berliner Staatssekretärin Sawsan Chebli (SPD) ist der rechte Rocker, Medienaktivist und Ex-Polizist Tim K. am Donnerstag freigesprochen worden.

Wegen des Vorwurfs der Beleidigung musste sich der vorbestrafte Rocker aus dem ostwestfälischen Horn-Bad Meinberg in Berlin-Tiergarten vor dem Amtsgericht verantworten (Blick nach Rechts berichtete am 20.02.2020). Kurz vor dem Prozess hatte Tim K. noch in den Sozialen Medien darauf hingewiesen, dass die "Anzeigenkönigin Deutschlands" - wie er seine ganz persönliche Hassfigur Chebli hämisch bezeichnete - als Nebenklägerin "gegen mich antreten" und Schmerzensgeld einklagen wolle. K. bezeichnet die Sozialdemokratin oft auch nur abfällig als "Staatssekretärin für Dingsbums".

Der rechte Influencer berief sich vor Gericht dann auf das Recht der freien Meinungsäußerung. Der 46-Jährige soll die Politikerin in einem Video als "Quotenmigrantin der SPD" und "islamische Sprechpuppe" bezeichnet haben. Ihrem Vater hatte er rhetorisch fragend unterstellt, wohlmöglich aus "religiöser Überzeugung oder wirtschaftlicher Berechnung" seinerzeit in einem Flüchtlingslager "zwölf Kinder gezeugt" zu haben.

"Haarscharf an der Grenze des Zulässigen"

Angeblich hege er aber gar keinen Groll und keine bösen Absichten gegen Chebli, sagte der frühere Polizist am Donnerstag vor dem Amtsgericht. Doch Chebli trete polarisierend in der Öffentlichkeit auf, er wolle ihr Paroli bieten. Die Staatsanwaltschaft stellte in ihrem Plädoyer indes die Äußerungen des Mannes als massiv abwertend und rassistisch dar. Es sei um bewusste Diffamierung und nicht um politischen Diskurs gegangen. Er wolle überdies mit Provokationen Klicks generieren und als Medienaktivist Geld verdienen. Cheblis Nebenklage-Anwalt Christian Schertz führte aus, Tim K. spreche seiner Mandantin die Menschenwürde ab, indem er sie als eine vom Islam gesteuerte Puppe bezeichnet habe. Auch sein Verbalangriff auf den Vater "verletzt sie auf übelste rassistische Weise in ihrer Würde als Mensch".

Den Freispruch verhindern solche Argumente jedoch nicht. Der Richter sagte zur Begründung des Urteils, Kernfrage sei gewesen die "Grenzziehung zwischen Meinungsfreiheit und unzulässiger Herabsetzung" auszuloten. Die Äußerung "Quotenmigrantin der SPD" könne zwar als unverschämt oder kränkend empfunden werden, sei aber "unproblematisch zulässig". Durch die Bezeichnung "islamische Sprechpuppe" werde die Politikerin zwar "hart getroffen", sie liege aber im Kontext des veröffentlichten Videos "haarscharf auf der Grenze des Zulässigen". Die Fragestellung zum Vater sei nur "eine grobe Unverschämtheit". Staatsanwaltschaft und Nebenklage wollen gegen dieses Urteil Rechtsmittel einlegen. Chebli, Staatssekretärin für Bürgerliches Engagement und Internationales, twitterte nach dem Freispruch. "Das Urteil ist bitter für mich und alle, die sich für unsere Demokratie stark machen. Lasst euch nicht einschüchtern, zeigt Rassisten bitte weiter an. Lasst uns nicht in Ohnmacht verfallen, sondern dafür kämpfen, dass Deutschland ein freies, offenes und vielfältiges Land bleibt."

"Team Deutschland gegen Team Orient"

Der Kopf der "Identitären", Martin Sellner, verbreitete auf seinem Telegram-Kanal (36.700Abonnenten) einen Screenshot von dem Tweet und garnierte diesen hämisch mit einem Tränen lachenden und sich vor Freude hin und her rollenden Smiley. Die 41-Jährige Chebli hatte kürzlich eine Mord-Drohung von mutmaßlichen Rechtsextremisten gegen sich öffentlich gemacht. Sie erhebt immer wieder ihre Stimme gegen Rassismus und Intoleranz. In den unterschiedlichen Rechtsaußen-Spektren gilt die Sozialdemokratin mit palästinensischen Wurzeln sowohl als erfolgreiche Frau, aber auch als Muslima und Migrantin als eines der Hauptfeindbilder. Sie ist vielfach und regelmäßig Ziel von Hetze, Drohungen, Verleumdung und hämischen Kommentaren.

Auf die rechte Szene wirkte der Prozess daher schon ihm Vorfeld elektrisierend. Wiederholt hatte Tim K. auch dazu aufgerufen, den Prozess zu besuchen. "Das Team Deutschland gegen das Team Orient im rechtsstaatlichen Kampf für unsere Meinungsfreiheit!", schrieb er etwa bei Facebook. Zu Prozessbeginn kam es daraufhin vor und im Foyer des Gerichtes zu tumultartigen Szenen mit rund 100 Unterstützern. Der Gerichtssaal selbst fasste nur rund 20 Besucher. Seine Anhänger stimmten die Nationalhymne im Foyer an, skandierten Parolen, machten Videoaufnahmen und feierten später den Freispruch lautstark. Einige hatten Deutschland-Fahnen mitgebracht, die Szenerie wirkte mehr wie ein rechter Aufmarsch, wie eine Machtdemonstration und keineswegs wie der solidarische Besuch eines Gerichtsverfahrens.

Tim K.: "Sieg ist unser aller Sieg!"

Nachdem Tim K. dazu aufgerufen hatte, zwecks Finanzierung des Prozesses Geld zu spenden, hatten sich in den Sozialen Medien und Chats der Szene immer wieder Aktivisten dazu bekannt, gespendet zu haben um K.s Kampf gegen Chebli zu unterstützen. Am Donnerstag war die Verhandlung und das Geschehen rund um das Gericht denn auch eines der Topthemen in den rechten Social Media-Filterblasen. Das am späten Nachmittag erfolgte Urteil wurde gefeiert wie ein Sieg in einem Stellvertreterkrieg. Kurz nach seinem Freispruch schrieb K. auf Facebook: "Dieser Sieg ist unser aller Sieg!" Tim K. gilt in der Welt zwischen AfD, rechten "Wutbürgern" und rechtsradikaler Szene als authentischer Influencer, der seine Fans über verschiedene Formate in den Sozialen Medien und über seine Homepage "bespielt". In seiner Inszenierung als Ex-Soldat, Ex-Polizist und nunmehr "patriotischer" Rocker gilt er in seinen Kreisen als besonders glaubwürdig um gegen Migranten und die "etablierte" Politik zu wettern.

Den Prozess am 27. Februar hatte K. im Vorfeld umfangreich in den Sozialen Medien dazu genutzt, um die Staatssekretärin immer wieder neu zu provozieren und sie aufzufordern, im Gerichtssaal zwecks verbalem Schlagabtausch zu erscheinen. Alleine die Vielzahl seiner hämischen Postings und Beiträge widersprach seiner Aussage, dass er keine bösen Absichten gegen Chebli hege und lediglich Comedy-mäßig agiere. Zugleich machte er seinerzeit schon deutlich, das er selbst seinen eigenen Prozess inszenieren und die mediale Reichweite anfeuern werde. Derlei hatte nicht nur den Ansturm seiner Anhänger und gleichgesinnter Medien-Aktivisten zur Folge. Das Amtsgericht Tiergarten tagte am Donnerstag auch unter verschärften Sicherheitsbedingungen.

Bildunterschrift: Das Gericht hat die Äußerungen des Angeklagten als "unproblematisch zulässig" gewertet (Foto: Symbol).

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Der Tagesspiegel Online, 27.02.2020:

Freispruch für YouTuber Tim Kellner

27.02.2020 - 19.24 Uhr

"Eine bittere Nachricht für alle, die von Hetze betroffen sind"

Ein Rechter darf Sawsan Chebli "islamische Sprechpuppe" nennen. Das hat ein Gericht entschieden. Vor dem Saal grölten die Anhänger des Angeklagten.

Von Katja Füchsel und Sebastian Leber

Nein, sagt Tim Kellner, er habe Sawsan Chebli selbstverständlich kein bisschen beleidigen wollen, als er sie öffentlich als "islamische Sprechpuppe" bezeichnete. Eine Puppe sei doch eher ein Kompliment! Und mit Sprechpuppe habe der Angeklagte eben gemeint, dass die Berliner Staatssekretärin an manchem Tag auf Twitter bis zu 30 Retweets verschicke, mit diesen gebe sie ja lediglich die Inhalte anderer wieder.

In taubenblauer Jogginghose sitzt Kellner, 46, am Donnerstag in Saal 101 des Amtsgerichts Tiergarten. Er hat sich eine schwarz-rot-goldene Armbinde übergestreift, die langen grauen Haare hinten zum Dutt gebunden. Kellner betreibt einen YouTube-Kanal, auf dem er vor Migranten warnt und vorm "Volkstod" der Deutschen. Außerdem beschimpft er Politiker und andere Menschen, die nicht seiner Meinung sind. In rechtsradikalen Kreisen ist seine Plattform sehr beliebt, sie zählt zu den meistgeklickten.

Die Politikerin, die ihn wegen Beleidigung angezeigt hat und nun Nebenklägerin ist, lässt sich von ihrem Anwalt Christian Schertz vertreten. Chebli gehört zu den Politikern, die von der immer stärker werdenden Hetze im Netz am stärksten betroffen sind. Als Frau, als Muslimin, als eine, die sich gegen Rechtsaußen engagiert, die auch gegen Antisemitismus eintritt. Für Rechtsradikale ist Sawsan Chebli ein Trigger auf zwei Beinen.

Sie gehört aber auch zu denen, die sich wehren. Die Drohungen und Beleidigungen nicht hinnehmen, sondern zur Anzeige bringen. Wenn sich Rechtsradikale organisiert auf sie einschießen, stellt Chebli bis zu 30 Strafanzeigen pro Woche. Im am Donnerstag verhandelten Fall hat der YouTuber Kellner sie auch als "Quotenmigrantin der SPD" bezeichnet. Das Amtsgericht verhängte zunächst eine Strafe von 1.500 Euro. Weil Kellner Einspruch einlegte, kommt es jetzt zum Prozess.

Kellners Fans wollten das Gericht stürmen

Der Angeklagte, ein mehrfach vorbestrafter Ex-Polizist, hatte wochenlang für diesen Tag getrommelt. Seinen Anhängern hatte er verkündet, hier kämpfe "Team Deutschland" gegen "Team Orient". Er hoffte, sie würden Reisebusse organisieren, um den Gerichtssaal in ein "Fahnenmeer aus Schwarz-Rot-Gold" zu verwandeln. Er erklärte in Videos, worum es ihm in diesem Prozess geht: Chebli sei Migrantin, und er als Deutscher wolle sich nicht von ihr vorschreiben lassen, was er zu sagen habe und was nicht.

Tatsächlich stehen eine Stunde vor Prozessbeginn rund 100 seiner Anhänger vorm Gericht. Viel zu viele für den Saal. Sie versuchen, sich mit Gewalt Zutritt zu verschaffen, werden vom Wachpersonal im Foyer gestoppt. Sie grölen "Wir wollen rein", singen die Nationalhymne.

In der Politik hat sich die Erkenntnis durchgesetzt, dass die Verrohung im Internet die Gesellschaft gefährdet und strenger geahndet werden muss. Nach dem Mord am Kasseler Regierungspräsidenten Walter Lübcke kündigte die Große Koalition an, stärker gegen Hass und Hetze vorzugehen. Dafür plante Justizministerin Christine Lambrecht, das Netzwerkdurchsetzungsgesetz zu verschärfen und so härtere Strafen für Hate Speech zu ermöglichen. In der vergangenen Woche hat das Kabinett ein Gesetz beschlossen, das Soziale Netzwerke verpflichtet, Mord- und Vergewaltigungsdrohungen sowie Nazi-Propaganda zu melden.

Hass-Tiraden in Serie

Das Video, um das es im heutigen Prozess geht, macht nur einen winzigen Teil von Kellners Hass-Tiraden gegen Chebli aus. Er hat dutzende weitere Videos veröffentlicht, in denen er Chebli verhöhnt, nachäfft, rassistisch beleidigt. Als Cheblis Schwangerschaft bekannt wird, postet er, das Kind werde auf Anhieb 47 Cousins und Cousinen haben, und dann: "Den oder die kleine Chebli kriegen wir auch noch durchgefüttert!" Er behauptet, Chebli beherrsche "die deutsche Sprache nur sehr unzulänglich". Er fordert sie auf, in die Vereinigten Arabischen Emirate auszuwandern. Er sagt: "Sie waren nie eine von uns und sie werden auch nie eine von uns sein." Seine Ansprachen sind gehässig, boshaft, bewusst verletzend.

Tim Kellner wollte eigentlich Karriere beim SEK machen, wurde dann aber Streifenbeamter bei der Kreispolizei in Lippe. Nach einem Disziplinarverfahren entfernte man ihn aus dem Beamtenverhältnis. Inzwischen ist er Chef eines Rocker-Clubs. 2010 wurde er wegen gefährlicher Körperverletzung und Freiheitsberaubung zu neun Monaten Haft auf Bewährung verurteilt, drei Jahre später noch einmal wegen Beleidigung. Im Gericht präsentiert er sich als "konservativer Blogger" und "gerechtigkeitsliebender Mensch". Und beharrt darauf, dass er keinen Groll gegen Chebli hege. Er wisse auch, dass sie in Berlin geboren ist und den deutschen Pass besitze. Als der Staatsanwalt ihn fragt, was das für ihn bedeute, sagt Kellner: "Sie ist offiziell deutsch."

Nicht weit vom Ort des Prozesses, drei Treppen hoch, rechts den Gang runter, hat Oberstaatsanwalt Georg Bauer sein Büro. Er ist Chef der Abteilung 276. Auf seinem Schreibtisch landen sämtliche Strafanzeigen von Politikern aus dem Deutschen Bundestag und dem Berliner Abgeordnetenhaus, die sich gegen Hate Speech wehren. Der Hass im Netz beschäftigt die Ankläger seit sieben Jahren, Tendenz: stetig steigend. Zahlen kann Bauer nicht nennen, da die Fälle nicht gesondert von sonstigen Beleidigungen und Bedrohungen in die Statistik eingehen. Die Täter, sagt Bauer, sind meist männlich, kämen aber aus allen Milieus, vom Privatdozenten bis zum Biedermann. "Viele geben an, dass ihnen alkoholisiert die Pferde durchgegangen sind, sie mal Frust ablassen mussten."

Etwa 80 Prozent der Strafanzeigen, die die Berliner Ankläger zu bearbeiten haben, betreffen Bundestagsabgeordnete. Für sie ist zunächst der Ermittlungsdienst der Bundestagspolizei zuständig. Der Bundestag ist ein eigener Polizeibezirk, in dem Wolfgang Schäuble als Bundestagspräsident Hausrecht und Polizeigewalt ausübt. Früher waren die Ermittler der Bundestagspolizei vor allem mit Diebstählen im Haus, Graffiti und solchen Reichstagsbesuchern beschäftigt, bei denen die Einlasskontrolle Pfeffersprays, Messer oder Wurfsterne entdeckt hat. Inzwischen, schätzt ein ehemaliger Ermittler, beanspruche Hate Speech etwa die Hälfte der Arbeitszeit. Die Ermittler versuchen, über Facebook-Suchen die Klarnamen der Täter zu ermitteln. Manchmal gelingt es, über Querverweise - also Arbeitgeber, Sportverein, Freunde oder Familie - hinter die Fake-Personalien zu gelangen.

Wer sich noch alles wehrt

Etwa 15 Politiker gibt es im Bundestag, die regelmäßig Anzeigen stellen, heißt es aus Kreisen der Bundestagspolizei. Dazu zählen Claudia Roth und Renate Künast (Grüne), die Ende Januar in einem Zivilverfahren einen Erfolg erringen konnte, nachdem sie sich gegen ein Urteil des Berliner Landgerichts beim Kammergericht in zweiter Instanz gewehrt hatte. Mit der neuen Entscheidung sind "Stück Scheiße", "Schlampe", "Drecks Fotze", "Drecksau" und "hohle Nuß, die entsorgt gehört als Sondermüll" nun als beleidigend anzusehen. Facebook muss zudem die Nutzerdaten von sechs Kommentatoren freigeben, damit Künast zivilrechtlich gegen diese vorgehen kann.

In der Justiz gibt es einige, die hoffen, dass das Berliner Verfahren gegen Tim Kellner in die zweite Instanz geht und dies zu einer Fortschreibung der Rechtsprechung führt. Es wird mit einer Akzentverschiebung der Rechtsprechung gerechnet, um der ständig fortschreitenden Verrohung etwas entgegenzusetzen. Bislang gilt: Begriffe wie "Arschloch" sind erlaubt, wenn in der politischen Auseinandersetzung der Sachbezug überwiegt. Und es gibt laut Bundesverfassungsgericht das "Recht zum Gegenschlag", soll heißen: Wenn einer in der Debatte hart austeilt, ist auch eine schärfere Reaktion zumutbar. Als Andrea Nahles (SPD) einmal Strafanzeige stellte, weil ihr jemand ankündigte, dass es "bald in die Fresse" gebe, blieb den Ermittlern nichts weiter übrig, als das Verfahren einzustellen.

Auch jemandem den Tod zu wünschen, ist erst mal keine Straftat.

Cem Özdemir wird im Netz bedroht, seit er im Bundestag sitzt, mal von türkischen Nationalisten, mal von deutschen Rechtsextremisten. Nach der Armenien-Resolution kamen Bundestagspolizei und Berliner Staatsanwaltschaft mit der Bearbeitung von Strafanzeigen kaum hinterher. Özdemir musste unter Personenschutz gestellt werden.

Versierte Täter bleiben unentdeckt

Die schlimmsten rassistischen Beleidigungen muss aber Karamba Diaby, der SPD-Bundestagsabgeordnete aus Halle, über sich ergehen lassen. Auf Diaby hat es weniger der gerade mal frustrierte Normalbürger, sondern eher die organisierte rechte Szene abgesehen. Leute, die wissen, wie man im Netz seine Spuren verwischt. Bauer und seine fünf Staatsanwälte sind machtlos. "An technisch versierte Täter kommen wir nicht ran." Im Januar war auf Diabys Büro in Halle ein Anschlag verübt worden. Mitarbeiter hatten Einschusslöcher in der Scheibe entdeckt, verletzt wurde niemand.

Die meisten Kabinettsmitglieder der Bundesregierung ignorieren die Flut der Beleidigungen, die sich im Netz über sie ergießt. Bauer sagt: "Sollte sich diese Praxis ändern, müssten wir unser Personal verdoppeln." Allein Angela Merkel hätte an jedem Tag ihrer Kanzlerschaft etliche Strafanzeigen stellen können.

Kellners Anwalt ist bekannt in der rechten Szene

In Saal 101 des Kriminalgerichts erhebt sich Kellners Anwalt Hendrik Schnelle zum Schlussplädoyer. Er ist bekannt in der rechten Szene. Vor Jahren wurde Schnelle selbst wegen Volksverhetzung verurteilt. Er hatte gesagt, Schwule sollten vergast werden. Jetzt plädiert der Anwalt auf Freispruch, lobt seinen Mandanten als "bürgerlich" und attestiert ihm Liebe zum Grundgesetz. Der Staatsanwalt fordert dagegen sechs Monate auf Bewährung. Und Nebenklage-Anwalt Christian Schertz mahnt, der Rechtsstaat müsse endlich angemessen auf Hasskriminalität reagieren. Denn dieser Hass sei die Vorstufe zu Gewalttaten, wie sie in den vergangenen Monaten mehrfach, zuletzt in Hanau, geschahen. Schertz sagt: "Diese Taten sind auch Folge einer Justiz, die viel zu lange nicht gegen Hass-Kriminalität vorgegangen ist." Auch deshalb sei eine Verurteilung Kellners wichtig.

Der Richter sieht es anders. Am späten Nachmittag spricht er den Angeklagten frei. Dessen Äußerungen, sagt er, seien noch von der Meinungsfreiheit gedeckt.

Staatsanwaltschaft und Nebenklage werden dagegen Rechtsmittel einlegen. Für Sawsan Chebli ist das Urteil eine "bittere Nachricht für alle, die von Hass und Hetze betroffen sind, die von Rassisten beleidigt, bedroht und angegriffen werden". Die Feinde der Demokratie nutzten verstärkt die Schwächen des Rechtsstaates aus, um ihre Hetze ungehemmt zu streuen.

Und dieses Urteil bestärke sie darin, dass sie dies tun könnten, ohne zur Rechenschaft gezogen zu werden. "Aber wir dürfen jetzt nicht kapitulieren, nicht in Ohnmacht verfallen", sagt Chebli. Wichtig sei nun das klare Signal: Wir lassen uns nicht einschüchtern.

Bildunterschrift: Die Berliner Staatssekretärin Sawsan Chebli (SPD).

Bildunterschrift: Anhänger Kellners wollten das Gericht stürmen.

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Belltower.News, 04.02.2020:

YouTube rechtsaußen / 46-Jähriger vor Gericht

Der vorbestrafte Ex-Polizist und Rocker Tim Kellner betreibt einen im rechts-alternativen Milieu extrem erfolgreichen YouTube-Kanal. Seine Themen sind nicht Neues: platte Feindlichkeit gegenüber Geflüchteten, Tiraden gegen Seenotrettung oder die Klima-Aktivistinnen, Klima-Aktivisten von Fridays for Future. Immer wieder hat Kellner es dabei auf die Berliner Staatssekretärin Sawsan Chebli (SPD) abgesehen. Weil er sie als "islamische Sprechpuppe" und "Quotenmigrantin" bezeichnet hat, klagte Chebli wegen Beleidigung. Kellner legte Einspruch gegen den Strafbefehl ein. Am 27. Februar 2020 wird nun in Berlin der Prozess gegen ihn stattfinden.

Von Stefan Lauer

Warum die Aufmerksamkeit für den 46-Jährigen? Leider erreichen seine hasserfüllten Abwertungen viele Menschen. 200.000 Abonnenten hat der Kanal von Kellner auf YouTube, fast 260.000 Likes hat seine Facebook-Seite, sein Facebook-Profil hat über 100.000 Abonnenten. Dazu betreibt der vorbestrafte Ex-Polizist einen Telegram-Kanal mit fast 20.000 Mitgliedern. Damit gehört er zu den reichweitenstärksten rechts-alternativen Aktivisten, Aktivistinnen Deutschlands.

Was sehen diese Fans? Kellners Videos sind im Aufbau immer gleich. Vor einer weißen Wand mit spärlichem Bücherregal, Samuraischwertern und seinem eigenen Merchandise drapiert sich Kellner. Fast täglich veröffentlicht er Videos, mit dramatischen Titeln: "KRASSE Ausraster überall!", "Skandal! DHB - zu weiß und zu blond?" oder "SPD-POLITIKER lässt seine Eltern ZWANGSRÄUMEN - Hund muss betäubt werden!" Jedes Video wird dabei in der Regel mehr als 100.000 mal angesehen. Die wenigsten halten, was die Titel versprechen.

Am 25. Februar 2019 veröffentlichte Kellner offenbar das Video, um das es jetzt im Verfahren wegen Beleidigung gehen soll. Der Titel: "LIEBE SAWSAN, eine ANZEIGE wäre mir eine EHRE!". Außer Beleidigungen passiert in diesem Video wenig. Hauptsächlich präsentiert der 46-Jährige stolz seine Antworten auf Tweets der Staatssekretärin. Besonders wichtig scheint ihm dabei zu sein, den Vornamen Cheblis möglichst falsch auszusprechen. Seine Antworten auf Cheblis Tweets strotzen dabei vor Rassismus. Gleich zweimal bezeichnet Kellner Chebli als "islamische Sprechpuppe und Quotenmigrantin", er spekuliert über Cheblis Familie und darüber, warum sie 12 Geschwister hat und spricht ihr wegen der familiären Migrationsgeschichte ab, eine Deutsche zu sein: "Keine Deutsche und nicht von hier!".

Seine Follower ruft er dazu auf, Cheblis Twitter-Profil zu besuchen: "Ich möchte euch alle dafür begeistern und anregen, auch ruhig da Kommentare zu hinterlassen und die demokratische Meinungsvielfalt ein wenig anzukurbeln."

Chebli hatte wegen Beleidigung geklagt, gegen Kellner wurde im November 2019 vom Amtsgericht Tiergarten eine Strafe über 1.500 Euro (50 Tagessätze á 30 Euro) verhängt. Dagegen hatte Kellner Einspruch eingelegt. Ein Prozess wird am 27. Februar stattfinden. In mehreren Videos schlachtet Kellner die Geschichte aus, zum Teil verbreitet er die Inhalte auch über seine "Sammlungsbewegung" "Für die Eigenen - die Liste". Offenbar geht es ihm vor allem darum, dass Chebli zum Prozess erscheint. Er wirft ihr vor, sie "lähme" die Justiz. Wobei ja genau genommen er den Strafbefehl nicht akzeptiert hat und damit dem Gericht Arbeit bereitet. Doch seine Argumentation ist Strategie. Kellner betreibt Täter-Opfer-Umkehr: Nicht er, der die Politikerin beleidigt hat, ist der Täter, sondern eigentlich sei laut seiner Erzählung Chebli die eigentlich Täterin: "Wenn Du über ein bisschen Anstand, Moral und Charakter besitzt (sic!), wirst Du am 27.2. da sein und mir in die Augen schauen, nicht wahr?" Etwas später heißt es: "Wenn Du da schon eine Anzeige raushaust, dann solltest Du auch den Schneid haben, da persönlich aufzutauchen, verstanden?" Nicht nur der Befehlston ist auffällig, überhaupt ist es die Selbstverständlichkeit mit der der Täter Kellner das Beleidigungs-Opfer Chebli praktisch dazu zu zwingen wünscht, vor Gericht zu erscheinen.

Worum es eigentlich geht, wird etwas später so klar ausgedrückt, dass es auch die unaufmerksameren Zuhörerinnen, Zuhörer des 46-Jährigen verstehen: Rassismus. "Team Deutschland gegen Team Orient", beschreibt das Kellner und wird später noch deutlicher: "Du bist zudem Migrantin. Glaubst Du allen Ernstes, dass Du uns Deutschen hier erzählen kannst, wie wir zu leben haben, was wir sagen dürfen und wie wir zu denken haben? Ich denke doch wohl mal nicht, oder?" Kellner will beleidigen dürfen, vor allem wenn es um eine "Migrantin" geht, der er offenbar weniger Rechte zugesteht als ihm selbst, dem "Deutschen" - Chebli wurde übrigens in Berlin geboren. Weil sie aber nicht Müller, Meier oder eben Kellner mit Nachnamen heißt, hat sie laut Kellners Ideologie weniger Rechte. Wenn sie sich wehrt, kann man sie einfach weiter angreifen.

An sich ist das bereits perfide, schlimmer macht es nur noch Kellners Reichweite. Unter seinen hunderttausenden Fans wird Rassismus verbreitet und in der täglichen Wiederholung weiter normalisiert. Menschen mit persönlicher oder familiärer Migrationsgeschichte wird abgesprochen, sich gegen Angriffe und Beleidigungen wehren zu dürfen.

Bildunterschrift: Screenshot von Kellners Video, mit dem er den Prozess ankündigt (Quelle: YouTube).

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Belltower.News, 10.09.2019:

Tim Kellner, der vorbestrafte Biker mit Reichweite

Der vorbestrafte Rocker und ehemalige Polizist Tim Kellner ist heute einer der einflussreichsten rechten YouTuber. Seine Videos sind geprägt von Dehumanisierung, Rassismus und antisemitischen Erzählungen. Er impliziert, dass Deutschland vor einem Kollaps stehe, wenn sich das deutsche Volk sich nicht wehre.

Von Samira Alshater

Meist sitzt Tim Kellner vor einer Wand, an der Merchandise-Artikel von ihm hängen, dazu drei Samuraischwerter. Der 1974 Geborene hat einen weißen Rauschebart, lange, zurückgegelte Haare und ein beeindruckend breites Kreuz. Er schaut direkt in die Kamera und spricht im Internet über das Weltgeschehen - jeden Tag aufs Neue. Wen das interessiert? Seine Videos haben im Monat mehrere Millionen Views. Im Juni 2019 wurden seine Videos auf YouTube gar 6,2 Millionen Mal angeklickt. Viele YouTuber verdienen so ihr Geld. Allerdings sind die Inhalte der Videos alles andere als normal. Tim Kellner, der Mann mit Bodybuilder-Körper, bedient sein Publikum mit Rassismus der ganz üblen Sorte. Kellner spricht von "Opfern der merkelschen Willkommenskultur" und bezeichnet sich selbst als "bekanntes Mitglied im rechtsstaatlichen deutschen Widerstand gegen das Merkel-Regime". Wie kommt er dazu?

Wer ist Tim Kellner?

Kellners Vorfahren kommen aus Ostpreußen. In seinen Augen waren sie noch "richtige Flüchtlinge", während er die heutigen Geflüchteten als "Invasionsarmee" bezeichnet. Nach Eigenangaben hat er in der Bundeswehr gedient. Nach dem gescheiterten Versuch, sich als American Football-Profi zu etablieren, absolviert Tim Kellner zunächst eine Banklehre. Im Jahr 2000 bewirbt er sich für den Polizeidienst. Er will zum Spezialeinsatzkommando, der Elitetruppe der Behörde. Die Aufnahmeprüfung besteht der durchtrainierte Sportler, die Ausbildung bricht er jedoch ab und wird Kreispolizist in Lippe.

Über sein Leben hat Kellner 2011 ein Buch verfasst. Hierin beschreibt er, dass er sich als Polizist mit einem Mitglied der "Hells Angels" anfreundet. Kellner "entwickelt Sympathien für die Lebensweise der Rocker, lässt sich zum ersten Mal ein Tattoo stechen und gerät dadurch ins Zwielicht", schreibt die Hannoversche Allgemeine Zeitung 2011. Kellner kam seither "regelmäßig in Schwierigkeiten" mit seinen damaligen Polizei-Kolleginnen / -Kollegen, er selbst nennt es "Mobbing". Sein Rocker-Kumpel wird wegen des Kontakts mit einem Polizisten aus dem Chapter ausgeschlossen. Kellner findet das unfair. Eines Tages will Kellner angeblich in Erfahrung gebracht haben, dass der Präsident des Bielefelder Hells Angels-Chapters angeblich als V-Mann für die Polizei tätig sei. Deshalb, so folgert er, habe der seinen Rocker-Kumpel und ihn aus dem Club haben wollen - um nicht enttarnt zu werden.

Kellner saß in sieben Monate in Untersuchungshaft

Wegen seiner Kontakte ins Rocker-Milieu ermittelt währenddessen auch die Polizei gegen Kellner. Die Vorwürfe gegen ihn lauten: Förderung der Prostitution, gefährliche Körperverletzung und versuchte schwere räuberische Erpressung. Das hätte bei einer Verurteilung für eine Gefängnisstrafe von mindestens acht Jahren gereicht. Kellner kommt nach sieben Monate in Untersuchungshaft mit einer Bewährungsstrafe von neun Monaten wegen Körperverletzung davon. Während Kellners Zeit hinter Gittern entsteht sein erstes autobiografisches Buch. Er stellt sich hier als Opfer einer Polizei-Intrige dar - seiner Meinung nach saß er unschuldig hinter Gittern, da er nur einer Prostituierten aus den Fängen ihres Zuhälters befreien wollte. Ein Eingeständnis, selber gravierende Fehler begangen zu haben, weil er sich beispielsweise als Polizist bewusst mit Leuten aus dem kriminellen Milieu umgeben hat, findet sich auf den 336 Seiten seines ersten Buches nicht.

Nach Erscheinen des Buches schaffte Kellner es einige Male in die Medien. In seinem Buch schreibt er, dass er auf Grund seiner Prostitutions-Einnahmen 35.000 Euro Steuern an den Fiskus nachzahlen muss. Der nach seiner Haft suspendierte Polizist schreibt weitere Bücher und versucht sich an verschiedenen Geschäftsmodellen. Seit Dezember 2017 bekommt Kellner auch keine Bezüge mehr von der Polizei, so eine Pressesprecherin gegenüber Belltower.News. Vom kriminellen Milieu lässt Kellner aber offenbar nicht die Finger: 2015 finden Polizeibeamte bei einer Hausdurchsuchung eine scharfe Neun-Millimeter-Patrone. Kellner behauptete, Polizistinnen / Polizisten hätten ihm die Patrone untergeschoben. Das Amtsgericht Detmold verurteilt Kellner 2015 wegen fahrlässigen unerlaubten Waffenbesitzes zu 800 Euro Strafe, so das Westfalen-Blatt.

Vorbestrafter Biker spricht angeblich für die Mitte der Gesellschaft

Im selben Jahr gründete Kellner den 1%-Motorradclub Brothers MC Germany mit. 1% oder "Onepercenter" ist eine Selbstbezeichnung von Rockern, die ihren Lebensstil ohne Rücksicht leben wollen. In der Regel kann nicht jeder Motorradclub dieses Abzeichen tragen, man muss sich vorher eine Genehmigung des führenden MC’s einholen. Wenn Biker dieses 1%-Abzeichen an ihren Kutten tragen, bedeutet es, dass sie gesetzlos seien, ohne Rücksicht auf Gesellschaft und Rechtsstaatlichkeit. Dieses 1%-Patch auf Kellners Kutte passt dann aber nicht so ganz mit seiner Behauptung zusammen, er würde für die bürgerliche Mitte der Gesellschaft sprechen.

2017 trennt sich der MC von Kellner. Sie werfen ihm vor, angeblich Biker-Brüder durch zwielichtige Geschäftsmodelle über den Tisch gezogen zu haben. Kurze Zeit später ist Kellner Präsident des Biker-Chapters Brothers MC Salt City, auch ein 1%-Club. Laut Eigendarstellung gründete sich der MC Salt City im Jahr 2015 und hat seinen Sitz in Horn in Ostwestfalen-Lippe. Laut Lotta-Magazin legt Kellner Wert darauf, dass er einen deutschen Club führt, in dem nur Menschen "aus dem westlichen Kulturkreis, keine Migranten, keine Moslems" Mitglied werden können.

Anfang 2016 begann Kellner dann seine Aktivitäten in der rechten Szene. Auslöser waren möglicherweise die Geschehnisse auf der Kölner Domplatte in der Silvesternacht 2015, so gibt er es zumindest an. Ob Kellner wirklich erschüttert ist oder nur eine willkommene PR-Aktion für sich und seinen MC sieht (der Biker-Club schaffte es in die Medien, weil sie als rechtspopulistische Bürgerwehr patrouillierten), weiß nur er. Jedenfalls interessieren sich Menschen für seine Meinung. Zunächst konzentrierte sich Kellner auf seine eigene Facebook-Seite, hier hat er 256.000 Abonnenten (Stand September 2019). Seit 2017 verbreitet er seine Hetze zusätzlich auch auf YouTube - leider erfolgreich: Im Juni 2019 wurden seine Videos 6,2 Millionen Mal angeklickt. Und dies, obwohl die Aufmachung wenig spektakulär ist: Kellner spricht in die Kamera.

Von Facebook zu YouTube

Doch Kellner hat die YouTube-Logik verstanden: Beinahe täglich veröffentlicht der Rocker Videos auf der Plattform. Das gefällt YouTube. Hier werden Accounts besser ausgespielt, die stetig Videos mit mehreren hunderttausend Views produzieren, das zählt reichweitentechnisch mehr als einzelne Hochglanz-Inhalte.. Und so hat sich Kellner einen veritablen Abonnenten-Stamm aufgebaut: 166.000 Userinnen / User haben seinen Kanal abonniert (Stand September 2019).

In süffisanter Art und Weise spricht Kellner täglich von den Themen, die die rechte Sphäre umtreiben, sei es über Angela Merkel, die er als "Schlepperkönigin" bezeichnet, die "heilige Greta" (Thunberg), "Carola "Jesus" Rakete" oder über den "System-Komödianten" Jan Böhmermann. Was beinahe allen seinen Videos gemein ist, ist Rassismus. Flüchtlinge, Musliminnen / Muslime, Feministinnen und weitere Gruppen werden von Kellner in seinen Videos regelmäßig dehumanisiert. Auch Menschen, die er als politische Gegnerinnen / Gegner verordnet, bezeichnet er als "unmoralischen Abfall". 2018 gründete Kellner zudem noch die unabhängige politische Liste "Für Die Eigenen". In den Leitsätzen spricht "Für die Eigenen" vom "System Merkel, das aus Deutschland quasi eine DDR 2.0 gemacht hat". Kellners "Liste" soll aber keine Partei darstellen, sondern eine "Sammlungsbewegung", die eine "außerparlamentarische Opposition" darstelle. Ziel: "Wir wollen eine gewichtige Kraft im Internet werden. ( … ) Für die Eigenen will eine politische Gegenbewegung zu dem herrschenden System werden."

Kellner befriedigt die Sehnsucht nach der klassischen Männlichkeit

Was macht Kellner so erfolgreich? Kellner kommentiert das Weltgeschehen in seinen Videos meist auf ironische Weise. Das macht die politischen Inhalte seiner Videos einem großen Publikum zugänglich, weil es unterhaltsam und nicht trocken wirkt.

Außerdem verkörpert Kellner in seinem Auftreten und mit seiner Vergangenheit ein Bild von traditioneller Männlichkeit. Der Bodybuilder, der erst beim Bund, dann bei der Polizei und schließlich Präsident eines 1%-Motorradclubs ist, scheint für viele Menschen eine bewundernswerte Verkörperung von Männlichkeit zu sein. Gerade in rechtspopulistischen und rechtsradikalen Kreisen sind Aktivistinnen / Aktivisten der Meinung, beinahe alle Bereiche des gesellschaftlichen Lebens seinen durch Frauen "feminisiert", was auch zu einer angeblichen "Verweichlichung" der Männlichkeit führe. In Kellner sehen sie einen "gestandenen" Mann, der sagt was er denkt und sich durch nichts und niemanden einschüchtern lässt.

Kellner inszeniert sich zudem als "Mann des Volkes". Er versucht erst gar nicht erst, sich als Intellektueller auszugeben, wie die Autorinnen / Autoren neurechter Medien, und tritt auch nicht mit übertriebenem Pathos als politischer Aktivist in Erscheinung. Er sitzt einfach lässig und zurückgelehnt in einem Stuhl und kommentiert mal witzig, mal empört, doch immer etwas plump, das Weltgeschehen.

Parasoziale Beziehungen zum Zuschauer

"Genau wie Beauty-Influencer überzeugen Polit-Blogger durch parasoziale Beziehungen zum Zuschauer. Sie zeigen sich im Privatleben und bauen so Vertrauen auf", sagt Miro Dittrich, der für die Amadeu Antonio Stiftung das Monitoring betreibt und dabei auch die rechte YouTube-Szene analysiert. Dabei beobachtet er nicht nur, wie sich das Publikum solcher Kanäle radikalisiert, sondern auch, wie die YouTuber selbst immer radikalere Ansichten vertreten und aussprechen.

Mittlerweile hat sich der umtriebige Kellner eine eigene alternative Video-Plattform aufgebaut: "Prometheus Deutschland". "Prometheus" ist ein Sendestudio, in dem Tim Kellner unter anderem eine "tägliche Prometheus-Tagesschau" präsentieren möchte. Gehostet sei die Plattform auf einem russischen Server: "Es wird das Bollwerk für unsere freie Meinungsäußerung sein und es wird ein ganz wichtiger Beitrag sein für den rechtsstaatlichen Widerstand."

Hier könne er angeblich "komplett frei sprechen" und müsse keine Sorge haben, dass er zensiert würde, so Kellner in seinem ersten Video auf dieser Plattform. Hier könne er endlich sagen, dass Deutschland "eine große Invasionsarmee" beheimate, deren Anführerin in Berlin sitze. Diese Armee sei in unsere Sozialsysteme einmarschiert und habe unsere "Wege und öffentlichen Plätze bereits vereinnahmt". Was Kellner damit impliziert? "Die Deutschen" müssten Widerstand leisten, weil eine feindliche Armee versucht uns zu übernehmen.
Rechtsradikale Weltsicht: Die Bösen, das sind immer die Juden, auch bei Kellner

Wenn man sich rechtspopulistische und rechtsradikale Welterklärungsansätze anschaut, dauert es meist nicht lange, bis man auch auf antisemitische Erzählungen stößt. So auch bei Kellner. Er meint etwa, Angela Merkel bereite einen Krieg gegen das "Deutsche Volk" vor. Wer letztendlich dahinter stecke? Der Allzweck-Bösewicht in der rechten Sphäre, der jüdische Milliardär George Soros. Soros gilt für viele rechte Verschwörungsideologinnen / Verschwörungsideologen als Symbol einer gierigen Finanzelite, die ohne Rücksicht auf Verluste nur auf ihren eigenen Gewinn bedacht sei. Zudem sei er der Kopf der "Neuen Weltordnung" (NWO), der angeblichen Verschwörung zur Unterwerfung der Menschheit durch eine imaginierte totalitäre Weltregierung, die durch eine globale Elite kontrolliert wird. Die NWO ist für Verschwörungsideologinnen / Verschwörungsideologen der böse Masterplan, der hinter allen Verschwörungs-Erzählungen steht.

"Es gibt mittlerweile nur noch zwei Strömungen auf diesem Planeten. Die eine wird angetrieben von Kräften, welche für offene Grenzen stehen, für Multikulti, für die grenzenlose Macht der Konzerne und auf der anderen Seite stehen die Nationalstaaten die ihre Kulturen ihre Identität bewahren wollen und dies ist beispielsweise ein Trump, ein Putin, mittlerweile die meisten europäischen Staaten und auf der anderen Seite, wie ich eben schon sagte, das amerikanische Ostküsten Establishment, bisher vertreten durch Obama und Hillary Clinton, welche nur noch in Europa sowohl den Rotschild-Steigbügelhalter Marcron haben und eben eine Angela Merkel ( … ), die alles dafür tut, dass der Nationalstaat abgeschafft wird." Das ist deutlich.

Letzte Konsequenz solcher Herzte ist Gewalt

Mal offen, mal weniger offen spricht Kellner von einem Krieg gegen das deutsche Volk. Flüchtlinge sind für ihn Kriminelle und eine Armee von feindlichen Invasoren, die es zu bekämpfen gelte (in den Videos hängen oft Samurai-Schwerter im Hintergrund). Solche Erzählungen rufen impliziert zu Gewalt auf. Spätestens seit der Ermordung des Kasseler Regierungspräsidenten Walter Lübcke ist hinlänglich bekannt, dass Internet-Hetze Zuschauerinnen / Zuschauer bis zum Mord radikalisieren kann. Das ist dem Ex-Polizisten nun aber offenbar egal.

Bildunterschrift: Vorschaubild eines der Kellner-Videos (Quelle: Screenshot eines Kellner-Videos).

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Am 27. Februar 2020 wurde der rechte "Rocker" Tim Kellner aus Horn-Bad Meinberg, vor dem Amtsgericht Tiergarten - Beleidigung von Sawsan Chebli -, vom Szene-Anwalt Hendrik Schnelle aus Detmold vertreten.

Am 27. Februar 2020 wurde der rechte "Rocker" Tim Kellner aus Horn-Bad Meinberg, von dem Vorwurf der Beleidigung der Berliner Staatssekretärin Sawsan Chebli (SPD), am Amtsgericht Tiergarten freigesprochen.

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