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Mindener Tageblatt , 24.03.2020 :

"Ein Fehler"

Auf zwei jüdischen Friedhöfen fällte die Stadt Bäume ohne Absprache / Jetzt verspricht sie Nachpflanzungen - und will künftig vorher mit der Gemeinde reden

Claudia Hyna

Petershagen-Frille. Auf den jüdischen Friedhöfen in den Ortschaften Frille und Petershagen hat die Stadt einige Bäume gefällt. Der Jüdische Landesverband war vorab nicht darüber informiert worden - wie es normalerweise üblich wäre.

Auch der Friller Harald Scheurenberg von der Jüdischen Kultusgemeinde Minden wurde überrascht von den Fällungen. Eine Bürgerin hatte ihn darauf aufmerksam gemacht. Er besucht den jüdischen Friedhof seines Wohnorts etwa alle zwei Wochen, dort sind einige Verwandte von ihm beerdigt. Er habe daraufhin bei der Stadtverwaltung Petershagen angerufen.

Dort sagte man ihm, dass die sechs Bäume nicht mehr verkehrssicher waren und daher beseitigt werden mussten. Um an die toten Gehölze zu gelangen, musste auch eine Hecke weichen, die den Ort abschirmt. Dazu mussten die Mitarbeiter mit einem Steiger arbeiten, Baumkletterer hätten in dem morschen Holz keine Chance gehabt, sagt Stadt-Pressesprecherin Tatjana Brast. Mitarbeiter des Bauhofs haben bereits eine neue Buchenhecke als Ersatz gepflanzt. Versprochen hat die Verwaltung außerdem, dass auf den Friedhöfen neue Bäume eingesetzt werden.

Die Stadt habe sich für den Fehler entschuldigt, sagt Harald Scheurenberg. Er möchte den Vorfall nicht dramatisieren. In anderen Städten und Gemeinden werden solche Abläufe allerdings anders gehandhabt. Heißt: Normalerweise gibt es keine Pflegearbeiten, ohne dass ein Gutachten erstellt wird.

Um sich die Situation vor Ort anzuschauen, war für Ende März eine Begehung geplant. Diese wurde auf Grund der Corona-Krise verschoben, sie soll aber auf jeden Fall nachgeholt werden. "Zukünftig werden wir die Gemeinde immer vorab informieren", verspricht Tatjana Brast.

Friedhöfe gelten im Judentum als Orte des Lebens. "Wir haben eine andere Tradition", erklärt Harald Scheurenberg. Aus dem Grund wirken diese Friedhöfe auf nicht jüdische Besucher ungepflegt. Das Urwüchsige sei aber gewollt, die Natur darf sich ausbreiten. Auch das sei für die Verwaltungsmitarbeiter eine interessante Erkenntnis gewesen, erklärt die Pressesprecherin.

Die Friedhöfe liegen oft versteckt, sind von einer Mauer umgeben und müssen abschließbar sein, um Störungen der Totenruhe zu verhindern. Der jüdische Friedhof gilt als unantastbar, darf nicht verändert oder aufgehoben werden. Die Gräber bedürfen keiner intensiven Pflege. Blumenschmuck ist nicht üblich. Beim Friedhofsbesuch wird ein kleiner Stein als Gedenken auf dem Grab hinterlassen. Jüdische Gräber sollen bis zum "Jüngsten Gericht" bestehen bleiben, um die Totenruhe nicht zu stören. Der Grabstein steht stets nach Osten, in Richtung Jerusalem, der aufgehenden Sonne entgegen. Sie liegen meist am Rand der Ortschaften, aber mindestens 50 Ellen (das sind etwa 25 Meter) von der Bebauungsgrenze entfernt.

Die Autorin ist erreichbar unter Telefon (0571) 882262 oder Claudia.Hyna@MT.de.

Bildunterschrift: Der jüdische Friedhof in Frille - belegt von 1856 bis 1937 - ist ein Baudenkmal. Nun wurden dort ohne Absprache Bäume gefällt und eine Hecke entfernt.


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Mindener Tageblatt, 12.03.2020:

Zeichenwelt und Symbolik

Wissenschaftlerin hält Vortrag über jüdische Friedhöfe in Petershagen, Frille und Schlüsselburg

Petershagen (Wes). Die Arbeitsgemeinschaft Alte Synagoge Petershagen richtet am Freitag, 13. März, eine Vortragsveranstaltung aus. Ab 19 Uhr geht es in Mehdis Kulturzentrum Altes Amtsgericht um das Thema "Die Dokumentation der jüdischen Friedhöfe Petershagen, Frille und Schlüsselburg - Aufnahme und Recherche 2019 und ihre Online-Publikation 2020 in der Datenbank "epidat" des Ludwig Salomon Steinheim-Instituts Essen".

Referentin Anna Martin geht als wissenschaftliche Mitarbeiterin für deutsch-jüdische Geschichte auf Einzelheiten ein. Das Steinheim-Institut ist führend in der Dokumentation und Erforschung jüdischer Friedhöfe und der Erschließung hebräischer Inschriften. Neben zahlreichen Publikationen werden seit 2006 die Forschungsergebnisse in "epidat", der epigrafischen Datenbank des Instituts, präsentiert. Die Epigrafik untersucht überlieferte Inschriften, besonders aus der Antike, aber auch aus dem Mittelalter, auf dauerhaftem Material.

Derzeit sind 214 Editionen mit mehr als 36.000 Grabinschriften, übersetzt und kommentiert, zugänglich. Dazu kommen mehr als 75.000 fotografische Abbildungen. Die Datenbank wird ständig erweitert.

Symbolik auf den Grabsteinen: Von Levitenkanne bis Davidstern

Aufgenommen wurden auch die drei jüdischen Friedhöfe in der Stadt Petershagen mit insgesamt 88 Grabmalen. Bei diesen Gedenkstätten gibt es trotz ihrer räumlichen Nähe große Unterschiede in der Symbolik und Grabsteingestaltung.

Die verschiedenen Gemeinden waren von unterschiedlicher religiöser Ausrichtung geprägt. Dazu kam eine wechselnde Territorial- und Verwaltungszugehörigkeit. Zu den häufigsten Symbolen zählen die segnenden Priesterhände. Ebenfalls weit verbreitet sind die Levitenkannen in unterschiedlicher Gestaltung, eine Feder führende Hand sowie ein aufgeschlagenes Buch als Zeichen für Gelehrsamkeit und religiöse Bildung. Dazu kommen Leuchten, Lampen, Kronen, Davidstern und Sterne sowie das Schofar, das Widderhorn, das am Neujahrstag in der Synagoge erklingt.

Bei den Forschungen ist auf dem Schlüsselburger Friedhof ein Grabstein mit erhabenen Buchstaben und floraler Verzierung entdeckt worden. Die letzte Zeile endet unten links mit der Darstellung eines Fisches.

Bei dem Grabstein handelt es sich um eine Stele für Itzig Salomon, der sich später Isaak Bernstein nannte. Der gebürtige Schlüsselburger verließ zwischenzeitlich wegen Verarmung der Judenschaft seinen Wohnort, kehrte jedoch 1784 zurück.

Der Eintritt zum Vortrag ist frei. Spenden werden dankbar entgegengenommen.

Bildunterschrift: Die Stele auf dem jüdischen Schlüsselbuger Friedhof erinnert an Itzig Salomon.

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Arbeitsgemeinschaft Alte Synagoge Petershagen e.V., 12.03.2020:

Sehr geehrte Damen und Herren,

leider müssen wir diese Veranstaltung absagen:

Jüdische Friedhöfe - Petershagen, Frille und Schlüsselburg

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www.jkgminden.wixsite.com/startseite

www.steinheim-institut.de/cgi-bin/epidat

www.synagoge-petershagen.de

www.facebook.com/synagoge.petershagen


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