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Deister- und Weserzeitung , 29.04.2005 :

Am Fuß des Hohenstein nahm er sich das Leben / Das Ende des Gauleiters Alfred Meyer / Hitlerjungen waren sein letztes Wachkommando

Von Wolfhard F. Truchseß

Hameln. Ganz in der Nähe von Hameln nahm sich Anfang April 1945 am Fuß des Hohenstein der Gauleiter von Westfalen Nord, Alfred Meyer, das Leben. Noch am 26. März 1945 hatte er als Gauleiter in Recklinghausen versucht, Hitlers Nero-Befehl zur Zerstörung deutscher Produktionsanlagen durchzusetzen. Doch ein Oberst der Wehrmacht scheint ihn in die Schranken gewiesen zu haben.

Martin Delker, der frühere Gemeindedirektor von Emmerthal, berichtet aus dieser Zeit: "In diesem Kriegsgetümmel zwischen versprengten deutschen Truppenteilen irrte ich mit vier weiteren 15 Jahre alten `Hitlerjungen` in ausgemusterten Militäruniformen und kläglich bewaffnet als restliches `Wachkommando` des Gauleiters Dr. Alfred Meyer vom Gau Westfalen Nord hin und her. Zum Gau Westfalen Nord mit Befehlsstand in Münster und Detmold zählte damals auch der Kreis Grafschaft Schaumburg. In Detmold/Heiligenkirchen befand sich eine Außenstelle des Gaubefehlsstandes mit Funkstation und Bunkeranlage. Auch die Familie des Gauleiters wohnte dort. Unser 20-köpfiges jugendliches `Wachkommando` hatte den Gauleiterkomplex rund um die Uhr zu bewachen und zu schützen. Am 1. April 1945, dem Ostersonntag, verabschiedete sich der Gauleiter von uns und setzte sich nach Obernkirchen ab."

Dort soll Anfang April noch eine Gauamtsleiter-Besprechung stattgefunden haben. Am 3./4. April hielt sich Meyer in Rinteln auf, am 7.4. in Bad Eilsen. Am 4. April soll Meyer in Schwalenberg noch ein Todesurteil gegen den Bürgermeister von Lothe, Waldvogt, unterzeichnet haben, der aber der Vollstreckung mit dem Einmarsch der Alliierten entkam.

Delker berichtet weiter: "Mit fünf Mann Begleitung auf Lkw und verladener Funkstation folgten wir befehlsgemäß. In Obernkirchen verlor sich die Spur des Gauleiters. Der uns befehligende Polizeioffizier berichtete vom feigen Selbstmord des Gauleiters, entband uns vom Führereid und löste die Gruppe auf. Bei Großenwieden setzte uns eine mutige Familie nachts mit ihrem Kahn auf das rettende westliche Weserufer über, während bereits Granatfeuer einschlug. Es gelang allen, sich durch die feindlichen Panzerlinien Richtung lippische Heimat durchzuschlagen."

Aus seinen Erlebnissen und dem Tod vieler 15- und 16-Jähriger in den letzten Kriegstagen zieht Delker heute das folgende Fazit: "Die Diktatoren des verbrecherischen Nazi-Regimes schreckten nicht davor zurück, Menschen jeglichen Alters für ihre Zwecke sinnlos zu opfern und sterben zu lassen. Die Lehren daraus und Mahnungen, besonders auch für jungeMenschen, können deshalb nur lauten: Stehen wir jederzeit ein für unseren freiheitlich demokratischen Rechtsstaat und für das hohe Gut der Menschenwürde!"

Wann Meyers Leiche gefunden wurde, ist nicht genau belegt. Der am 9. Mai 1945 für den Kreis Grafschaft Schaumburg zum Landrat ernannte Dr. Werner Pollack berichtet von einem Termin Mitte Mai 1945. In einem im Landesarchiv Detmold liegenden und damals als "Geheim" klassifizierten Polizeibericht vom 29. Mai 1952 heißt es dagegen: "Nach Feststellung der Kriminalpolizei Rinteln wurde die Leiche Ende April bei Zersen unterhalb des Hohensteins aufgefunden." Die Identifizierung des bereits stark verwesten Leichnams gelang offenbar mittels einer goldenen Zahnkrone, die nach intensiver Suche in der Nähe des Fundorts der Leiche entdeckt wurde.

Pollack berichtet weiter, neben Meyers Leiche habe ein mit `Tagebuch` überschriebenes, nicht datiertes Schriftstück gelegen, in dem unter anderem stand: "Ich schreibe im Dunkeln. Das letzte Stück meines Gaues ist heute verloren gegangen ... Im letzten freien Stück meines Gaues nehme ich Abschied vom Führer, dem meine innigsten Wünsche gehören, von Deutschland. Es wird frei werden und nationalsozialistisch bleiben." Welch ein Irrtum. Und weiter: "Meine Weserberge - auch dieses herrliche Land wird wieder frei werden. Ich habe die Freiheitsbewegung aufgebaut (möglicherweise meinte er damit die Werwolf-Bewegung). Sie zu führen, fehlt mir die Gesamtheit der physischen Kraft. Die Anstrengungen der letzten Tage haben es bewiesen." In dem Polizeibericht aus Rinteln heißt es außerdem, bei der Leiche habe auch eine Pistole und eine zerbrochene Ampulle gelegen.

Meyer inszenierte seinen Tod in der Kulisse des Hohenstein gleichsam als Vorhof zu Walhalla. Das Pathos dieses politischen Vermächtnisses und das wiederholte Beschwören der politischen Freiheit zeigen einen verhängnisvollen Zustand totaler Selbsttäuschung, einen absoluten Realitätsverlust. Mit seinem Selbstmord stahl sich Meyer aus der politischen Verantwortung, aber er nahm sich dafür sein Leben. Das unterscheidet ihn beispielsweise von Hartmann Lauterbacher.

Lesen Sie morgen: Ein Knäckebrot rettete sein Leben.


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