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Neue Westfälische - Bünder Tageblatt , 19.03.2020 :

Die letzte Überlebende des Holocaust

Stolpersteine: Willy und Erna Spanier wurden 1942 nach Theresienstadt deportiert / Sie werden 1945 durch die Rote Armee befreit und kehren nach der NS-Zeit als einzige Bünder Juden in ihre Heimat zurück

Jasmin Hoymann

Bünde. Die Familie Spanier, die am Goetheplatz lebte, ist den meisten Bündern ein Begriff. Schon lange wird über ein Denkmal diskutiert, dass an sie und an die in Bünde gelebten Juden erinnern soll. Doch bisher liegen dort nur drei Stolpersteine, die an die Familienmitglieder erinnern, die die Gefangenschaft unter den Nationalsozialisten nicht überlebten.

Otto Spanier wird am 22. Januar 1893 in Bünde geboren. Sein Bruder Willy ist vier Jahre älter. Beide führen eine Gastwirtschaft und ein Manufakturwarengeschäft, bis der Erste Weltkrieg kommt. Willy wird Hauptmann bei der Artillerie in der Kaiserlichen Armee. Von einer Granate getroffen, kommt er schwer verwundet ins Lazarett. Dort verliert er sein linkes Bein. Nach einer Behandlungszeit von 18 Monaten wird er aus dem Militärdienst entlassen und kümmert sich wieder um das Geschäft, denn sein Bruder Otto wird Anfang Mai 1915 ebenfalls zum Militärdienst eingezogen. Im Krieg wird er zweimal verwundet und kommt erst um das Jahr 1918 nach Bünde zurück.

Zwischen 1931 und 1933 renovieren die Brüder ihren Laden. 1932 heiratet Otto die Würzburgerin Ilse Schiff. Ihr Sohn Manfred wird 1933 geboren. Drei Jahre später zieht auch Willys Freundin Erna Mildenberg zu der Familie. Sie bringt ihre zehnjährige Tochter Lotte mit. Drangsalierungen durch die Nationalsozialisten sind da schon Alltag.

Am 4. Dezember 1937 wird das Glastransparent über der Eingangstür durch einen Stein zertrümmert. 14 Tage später werden Flugblätter vor dem Geschäft verteilt. Willy Spanier spricht den Mann an und fragt ihn, warum er ihm das antue, obwohl er im Kampf für das Vaterland sein Bein verloren habe. Daraufhin wird er beleidigt.

In der darauffolgenden Nacht werden Schaufenster, Schaukästen und Eingangstür zum Geschäft mit antijüdischen Parolen und Beschimpfungen beschmiert. Es kommt zu Gewalt gegenüber Kunden, die das Geschäft betreten wollen.

Auch von Boykottmaßnahmen, mit denen auch die anderen jüdischen Geschäftsleute zu kämpfen haben, werden sie nicht verschont. Willy und Otto Spanier melden diese allerdings der Gestapo, woraufhin die Boykottmaßnahmen überraschend aufhören. Die Täter werden mündlich verwarnt, aber zu weiteren Konsequenzen kommt es nicht.

Trotzdem stellen die Spaniers keinen Strafantrag. Am Morgen des 10. November 1938 werden Otto und Willy von der Polizei abgeholt und in Gewahrsam an der Bachstraße genommen. Willy wird wegen seiner Beinprothese entlassen. Sein Bruder wird hingegen über Wochen im KZ Buchenwald festgehalten.

Spanier ist zu der Zeit das letzte jüdische Geschäft in Bünde. Angetrunkene SA- und SS- Männer dringen in das Haus ein und zerstören die Einrichtung. Ware wird auf die Straße geworfen. Männer halten Frauen und Kinder im Herrenzimmer fest. Sie werden später zur Polizei gebracht. Erna ist in Sorge um ihre Tochter, die im Tumult verschwunden ist. Denn Lotte hat gedroht, sich umzubringen, solle in Bünde dasselbe passieren, wie in der Reichspogromnacht in anderen deutschen Städten. Daraufhin suchen Polizisten das Mädchen und finden sie bei einem Freund der Familie.

Genauso wie auch andere jüdische Bünder werden die Spaniers zur Villa der Familie Levinson gebracht und dort festgehalten. Plötzlich sehen sie von draußen Feuerschein. Dieser kommt von ihrem Haus, das um 2 Uhr nachts von zwei Feuerwehrmännern, die auch in der NSDAP sind, angesteckt. Die Versicherung weigert sich, für den Schaden aufzukommen. Die Spaniers sind daraufhin mittellos. Auch verkaufen können sie das Grundstück nicht, Bürgermeister Rattay kündigt die Enteignung an.

Er will das Gelände in einen Park umwandeln. So mindert er auch den Wert des Grundstücks und verhindert einen Verkauf. So wird das Grundstück 1942 nach der Deportation der Familie vom Deutschen Reich eingezogen.

Zuerst werden am 10. Dezember 1941 Otto mit seiner Frau und seinem Kind deportiert und nach Stutthof gebracht, wo sie ermordet werden. Noch im selben Jahr haben Erna und Willy Spanier, die inzwischen geheiratet haben, ihrer Tochter Lotte die Flucht nach Amerika ermöglicht. Sie entkommt den Nationalsozialisten.

Im darauffolgenden Jahr werden Willy und Erna Spanier nach Theresienstadt deportiert. Sie überleben beide das Konzentrationslager und werden nach der Befreiung durch die Rote Armee im Juli 1945 nach Bünde gebracht. Sie sind die einzigen Bünder Juden, die zurückkehren. Übergangsweise werden sie in dem Haus des ehemaligen SS-Obersturmführers Bültermann in der Winkelstraße untergebracht. Sie bekommen Ausweise, mit denen sie Bedarfsgüter und Hilfe erhalten. Zu dem bekommen sie Unterstützungszahlungen und Sonderleistungen.

Willy Spanier wird im Dezember 1949 eine Entschädigung von 150 DM pro Haftmonat zugestanden. Schon wenig später, am 10. Januar 1952, stirbt er an den Folgen der Haft. Sechs Monate später verkauft seine Frau das Grundstück und erhält im Tauschverfahren unter anderem das Grundstück Eschstraße 32 und wohnt in dem Geschäftshaus.

1954 sieht sie ihre Tochter Lotte in Amerika wieder. Diese besucht ihre Mutter ein paar Jahre später auch in Bünde. Es ist für sie eine große Überwindung und sie versteht nicht, wie ihre Mutter den Mitbürgern verzeihen kann, die sie damals im Stich gelassen haben. Lotte Spanier meidet damals bestimmte Menschen und Geschäfte an der Eschstraße, die an den Maßnahmen gegen ihre Familie mitgewirkt haben.

Am 5. Januar 1983 stirbt Erna Spanier. In den letzten Jahren kann sie nur noch mit Beruhigungsmitteln schlafen, da sie an Angstzuständen leidet. Sie ist die letzte Überlebende des Holocausts aus Bünde.

Bildunterschrift: Erna Spanier wurde gemeinsam mit ihrem Mann nach Theresienstadt deportiert. Sie überlebte das Konzentrationslager und starb am 5. Januar 1983.

Bildunterschrift: Überlebte den Holocaust: Willy Spanier starb 1952.

Bildunterschrift: Das Haus Feldmann in der Eschstraße steht noch heute. Hinten ist das Haus der Familie Spanier zu erkennen.

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Neue Westfälische - Bünder Tageblatt, 27.02.2020:

Die KZ-Folter bleibt

Stolpersteine: Ernst Friedlich litt bis zuletzt unter den gesundheitlichen Schäden / Seinen Beruf als Zahnarzt konnte er nicht ausüben - weil er Jude war

Jasmin Hoymann

Bünde. Der jüdische Kaufmann Siegmund Friedlich lebte mit seiner Frau Mathilde, die eine geborene Marcus war, in Bünde, Auf’m Tie 3. Ihre Tochter Anna wurde ein Jahr nach dem Umzug nach Bünde am 9. November 1909 geboren. Das junge Paar bekam ihren ersten Sohn Ernst ein Jahr später Dieser sollte die Schrecken der Herrschaft der Nationalsozialisten am eigenen Leib erfahren.

Der junge Ernst bestand seine Abitur-Prüfung im Jahr 1930 am Real-Gymnasium und begann gleich danach mit dem Studium der Zahnmedizin. Nachdem er die Vorprüfung an der Universität Marburg bestanden hatte, ging er von 1932 bis 1933 für drei Semester an die Universität Münster. Während des Studiums starb sein Vater und seine Schwester wanderte nach Paris aus. Sie heiratete in Nizza und lebte dort bis in die 1980er Jahre.

Ihr Bruder legte, bevor er nach Bünde zurückkehrte, das zahnärztliche Staatsexamen ab. Doch da er Jude war, durfte er seinen Traumberuf nicht ausüben. Seine Doktorarbeit wurde auf Grund eines Gesetzes aus dem Jahr 1933 nicht anerkannt. Dies besagte, dass er das Doktordiplom nur erhalten könne, wenn er gleichzeitig die deutsche Staatsangehörigkeit ablege. Dies war ein herber Rückschlag für ihn.

Da er keine Zukunft in Bünde sah, zog er 1934 mit Margarete Heymer, die er wahrscheinlich in Paris heiratete, zu seiner Schwester nach Frankreich. Dort bewarb er sich an einer Zahnarzt-Schule, wurde dort auf Grund der fehlenden Dokumenten jedoch nicht angenommen.

Verhaftet in einem Krankenhaus in der Ukraine

Überraschend bekam er von einer amerikanischen Gesellschaft das Angebot, als Angestellter in Russland zu arbeiten. Doch dort konnte er nicht lange bleiben. Er berichtete, nach nur zwei Monaten in der Ukraine und nach nur vier Wochen Arbeit in einem Krankenhaus, der Spionage bezichtigt worden zu sein. Daraufhin wurde er vier Monate festgehalten und dann nach Deutschland ausgewiesen.

Noch am Tag seiner Ankunft in Deutschland wurde er in so genannte Schutzhaft genommen. Vier Wochen wurde er von der Gestapo in Bielefeld verhört und gefoltert, da sie hofften, von ihm Namen von NS-Gegnern in Frankreich zu erfahren. Nach diesen Wochen kam er 1936 in das Konzentrationslager Sachsenhausen. Durch die Folter war er zu schwach zum Arbeiten und kämpfte zudem mit einem Leistenbruch, den ein Fußtritt verursacht hatte. Trotzdem wurde er zur Arbeit gezwungen.

Wenn er nicht mehr konnte, stachen ihm die Wärter Augenzeugen-Berichten zufolge mit Bajonetten in den Oberschenkel. Die so entstandenen Wunden wurden hinterher mit Salz und Pfeffer eingerieben. Dadurch blieben Narben. Seine Wirbelsäule verkrümmte sich immer mehr, seine gesamte Gesundheit verschlechterte sich. Seine tägliche Todesangst äußerte sich später in einem Magengeschwür. In einer Nacht, als alle Lagerinsassen zur Strafe in der Kälte strammstehen mussten, holte er sich eine Lungenentzündung, von der die Lunge dauerhaft vernarbt blieb.

Seelische Folgen der Schutzhaft blieben bis zum Lebensende

Schließlich kam Ernst Friedlich 1937 zunächst nach Dachau, anschließend in das KZ Buchenwald, wo er sich Erfrierungen an Beinen und Füßen zu zog. Die Taubheit in den betroffenen Gliedmaßen blieb bis zu seinem Tode. Zudem wurden Nahrungsmittel-Experimente an ihm durchgeführt, dessen Folgen ihn sein Leben lang begleiteten.

Während der Schutzhaft lebte seine Frau bei seiner Mutter, die allerdings im Jahr 1938 gezwungen wurde, nach Kassel zu ziehen. Als Ernst Friedlich im Jahr 1939 entlassen wurde, zog er nach kurzem Aufenthalt in Bünde mit seiner Frau ebenfalls nach Kassel. Dort stellte er für sich und seine Frau einen Auswanderungsantrag, denn wenn er nicht innerhalb von 14 Tagen ausgewandert sein sollte, wäre er wieder in Schutzhaft gekommen, so sagten es ihm hochrangige Nationalsozialisten. Heute ist nicht ganz klar, ob er nach Mexiko oder direkt nach Singapur ausgewandert ist. Dort blieb er, bis er 1941 nach Australien emigrierte, wo er den Namen Frey annahm. Im selben Jahr wurde seine Mutter nach Riga deportiert und starb dort.

Seine Ehe litt unter den Folgen der Schutzhaft und zerbrach schließlich im Jahr 1943. Ein Jahr später heiratete er Karla Martha Franz, die aus Hamburg stammte. Mit ihr bekam er zwei Söhne. Die Rechtsanwälte von Ernst Frey stellten 1954 einen Antrag auf Entschädigung in der Bundesrepublik Deutschland. Die Bearbeitung zog sich über sieben Jahre hin.

Schließlich bekam er Entschädigungszahlungen für seine Haftzeit und die Monate, die er nicht hatte arbeiten können. Auch eine Rente wurde ihm zugesichert, die allerdings zu niedrig war, um die Kinder zu ernähren. Als seelische Folgen seiner Schutzhaft kämpfte er mit Schlaflosigkeit, Kopfschmerzen und Schwindelanfällen. Er starb mit fast 70 Jahren in Australien.

Die gesundheitlichen Schäden, die ihm die Nationalsozialisten zugefügt hatten, hatten sein gesamtes Leben bestimmt.

Bildunterschrift: Die Stolpersteine erinnern an das Schicksal von Ernst und seiner Mutter Mathilde Friedlich.

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Neue Westfälische - Bünder Tageblatt, 10./11.01.2015:

Eine Gedenktafel am Goetheplatz

Der Förderverein "Erinnerung und Dialog" will an das Kaufhaus Spanier erinnern

Von Leonie Schwannecke

Bünde. Bis zu seiner Zerstörung bei der Reichspogromnacht 1938 hat das Kaufhaus der Familie Spanier am heutigen Goetheplatz gestanden. Nun will der Förderverein "Erinnerung und Dialog" dort eine Gedenktafel errichten, zur Erinnerung an jene Nacht und an das Kaufhaus. Einen Entwurf für die Tafel haben die Architekten Katja Flörke und Andreas Krys, die den Bau betreuen würden, erstellt und dem Verein beim letzten Treffen vorgestellt.

Die vom Förderverein gut aufgenommene Idee der Architekten ist der Bau einer filigranen Gedenktafel aus Glas, die von Cortenstahlstützen getragen werden wird und auch dezent beleuchtet werden kann. Für Cortenstahlstützen haben sich Flörke und Krys entschieden, da dessen Patina auf äußere Einflüsse reagiert und durch die ständige Wandlung und Unvollkommenheit des Materials Verbindungen zur gesellschaftlichen Veränderung gesehen werden können.

Auf der Gedenktafel selber soll das Kaufhaus Spanier dargestellt werden. Trotz intensiver Recherchen der Initiatoren und der Architekten, unter anderem auch im Landesarchiv in Münster, konnte nur ein brauchbares Foto des Kaufhauses gefunden werden. Auf diesem Foto würde die auf die Glasscheibe aufgebrachte, perspektivische Handskizze basieren.

Ziel ist es, dass der Betrachter das Kaufhaus dadurch "in Realität" sieht, erklärt Katja Flörke. Das Sehen der historischen Abbildung vor dem lebendigen und realen Goetheplatz soll den Besucher zum Nachdenken und Gedenken anregen. Die auf Glas gebrannte Zeichnung würde voraussichtlich zwischen zwei weiteren Glasplatten sein.

Neben der Zeichnung wird sich auch ein informativer Text auf der Tafel befinden, der von einem Historiker geschrieben werden soll. Von wem genau dieser Text stammen wird, ist noch nicht sicher, "aber wir werden wahrscheinlich Norbert Sahrhage fragen", meint Bürgermeister Wolfgang Koch, Vorsitzender des Fördervereins.

Wann der Bau stattfinden soll, ist ebenso unklar, doch der Verein hofft auf eine Realisierung in diesem Jahr. Zunächst wird jedoch eine Rückmeldung der Bünder Bürger benötigt. Sollten diese das Projekt der Gedenktafel positiv annehmen, würde die stellvertretende Vorsitzende Angela Brüning Elaine Spanier in den USA kontaktieren und ihr die Idee präsentieren. Elaine Spanier ist eine Nachkommin der Bünder Familie Spanier.

Erst dann kann mit der konkreten Planung von Bau und Kosten begonnen werden. Der Verein hofft jedoch jetzt schon, dass das Projekt durch Spenden unterstützt werden wird.

Begleitend zur Errichtung einer Gedenkstätte am Goetheplatz plant der Förderverein "Erinnerung und Dialog", verschiedene Vorträge zu halten, unter anderem über die Familie Spanier und die ehemalige Bünder Synagoge, die 1815 eingeweiht und bei der Reichspogromnacht vollständig zerstört wurde.

Schreiben Sie, liebe Leserin, lieber Leser, der Bünder NW-Redaktion Ihre Meinung zu der geplanten Gedenktafel per E-Mail an buende@nw.de oder kommentieren Sie auf www.nw.de/buende.

Bildunterschrift: So könnte sie aussehen: Die filigrane Gedenktafel aus Glas wird von Cortenstahlstützen getragen und kann dezent beleuchtet werden. Für diese Stützen haben sich die Architekten entschieden, da dessen Patina auf äußere Einflüsse reagiert und durch die ständige Wandlung und Unvollkommenheit des Materials Verbindungen zur gesellschaftlichen Veränderung gesehen werden können.

Bildunterschrift: Zum Erinnern und Gedenken: Andreas Krys, Wolfgang Koch, Angela Brüning und Katja Flörke (v. l.) neben dem Entwurf für eine Gedenktafel am Goetheplatz.

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Neue Westfälische - Bünder Tageblatt, 25.02.2009:

Serie / Der Hölle entronnen

Orte jüdischen Lebens: Mühevoller Neuanfang der Familie Spanier nach Jahren des Leids

Von Jörg Militzer

Bünde. Auf den Spuren der Familie Spanier widmet sich die NW heute Willy und seiner Frau Erna. Auch der mittlere der drei Söhne Moritz Spaniers, 1889 geboren, lebte bis zur Zerstörung des elterlichen Hauses im November 1938 am heutigen Goetheplatz. Da das Ehepaar aber zu den drei aus Konzentrationslagern zurückgekehrten Bündern jüdischen Glaubens zählte und Erna Spanier ein neues "Kaufhaus" aufbaute, richtet sich der Fokus auf dieses noch existente Geschäftshaus auf dem Grundstück Eschstraße 32.

Erna und Willy Spanier haben, wie auch Johanne Meyer, aus der Lagerhaft in Theresienstadt befreit, den Weg zurück in ihre Heimatstadt Bünde gefunden. Gewiss ein schwerer Weg, war doch das Lebensumfeld, waren doch viele der ehemaligen Nachbarn Mittäter oder haben doch zumindest billigend das Schicksal der vormals Ausgegrenzten und Verfolgten in Kauf genommen. Darüber hinaus waren die meisten Familienangehörigen, die jüdischen Freunde und Mitglieder der Gemeinde vertrieben oder ermordet worden. Es war gewiss kein leichter Neuanfang, denn schließlich war die Erwerbsgrundlage, das ehemalige Kaufhaus, und die daran angeschlossene Wohnung zerstört. Wegen des Wohnraummangels wurde eine Bleibe im Hause des ehemaligen SS-Obersturmführers Bültermann an der Winkelstraße 38 behördlich zugewiesen, wo auch wieder ein kleiner Textilhandel betrieben wurde. "Vermieter" Bültermann, der vom Ehepaar Spanier als Beteiligter an der Zerstörung des Kaufhauses und der Synagoge im November 1938 erkannt wurde, war 1949 zusammen mit dem ehemaligen Landrat Hartmann wegen der Ausschreitungen gegen die Bünder Juden im Zuge der so genannten "Reichskristallnacht" in Bielefeld angeklagt worden. Das Ehepaar Spanier fand als "Mieter" Bültermanns vor Gericht nur bedingt Gehör und so wurde dieser im Gegensatz zu Hartmann freigesprochen.

Zwar wurde das leere Grundstück an der Eschstraße 55, das im April 1942 vom deutschen Reich eingezogen worden war, wieder an die Familie Spanier zurückgegeben, doch es fehlten zunächst die Möglichkeiten für einen Wiederaufbau.

Willy Spanier, der bereits im ersten Weltkrieg ein Bein verloren hatte, erhielt erst 1949 als Entschädigung 150 DM je Monat Lagerhaft, in Summe 5.100 DM, und schließlich noch im selben Jahr eine kleine Invalidenrente zugesprochen. Doch währte der Genuss dieser Zuwendungen nicht lang, denn bereits im Januar 1952 verstarb Willy Spanier, 63-jährig, unmittelbar an den Folgen der Lagerhaft.

Seine Frau Erna erlebte zwar noch die finanzielle "Wiedergutmachung", doch sollte es bis dahin ganze 15 Jahre dauern. Schließlich errichtete sie an der Eschstraße 32, einem Grundstück, welches sie im Tausch gegen das Areal am Goetheplatz bekommen hatte, ein neues Wohn- und Geschäftshaus und eröffnete ein neues Kaufhaus unter dem Namen Spanier.

Wenige Jahre später setzte sie sich zur Ruhe und wohnte bis zu ihrem Tode im Januar 1983 über dem vermieteten Ladenlokal. Mit ihrem Tod ging in Bünde eine Ära zu Ende, war sie doch die letzte Angehörige der jüdischen Gemeinde Bünde.

Die letzten Jahre ihres Lebens soll sie nachts nur noch unter Zuhilfenahme von starken Beruhigungsmitteln in den Schlaf gefunden haben – ein Schicksal, dass sie mit den wenigen heimgekehrten Opfern des nationalsozialistischen Rassenwahns geteilt hat.

Bildunterschrift: Neuer Betrieb: Nachdem Erna Spanier das Grundstück am Goetheplatz gegen einen zentraler gelegenen Bauplatz eingetauscht hatte, errichtete sie dieses Geschäftshaus in dem sie selbst zunächst ein Textilgeschäft betrieb und schließlich bis zu ihrem Tode wohnte.

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