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Lippische Landes-Zeitung , 17.03.2020 :

Haus mit schillernder Vergangenheit

Die frühere "Wolfseiche" an der Holter Straße wurde von der Penne zum Candle / Sie war Schankwirtschaft, Obdachlosenasyl, Flugzeugwerkstatt, Gefangenenlager, Rocker-Kneipe, Diskothek / Heute ist sie ein reines Wohnhaus

Horst Biere

Oerlinghausen. Ein eher unscheinbares Wohngebäude liegt an der Holter Straße, etwa 250 Meter unterhalb des Kastanienkrugs. Doch nur wenige Oerlinghauser Häuser besitzen eine so abwechslungsreiche Geschichte wie dieses Haus - die frühere Gaststätte Wolfseiche. Heinrich Landerbarthold und seine Frau Anna betrieben das Lokal schon seit den 1920er Jahren. "Panama" nannte man Landerbarthold überall in Oerlinghausen, wohl weil er in früherer Zeit tatsächlich einmal das mittelamerikanische Panama besucht hatte.

Im Volksmund allerdings hieß die Wolfseiche nur die "Penne", denn im hinteren Teil hatte die Stadtverwaltung Räume gemietet, in denen Obdachlose und Wandergesellen vorübergehend einen Schlafplatz fanden. "Herberge zur Heimat lautete die offizielle Bezeichnung für diese Unterkunft", erinnert sich der ehemalige Bürgermeister Horst Steinkühler, denn er hat seine Kinderzeit unmittelbar im Haus gegenüber verbracht.

Viel Trubel brachte der aufkommende Segelflugsport am Ende der 20er Jahr ins Haus, denn der größte Oerlinghauser Segelflugverein, der "Sturmvogel" richtete eine Werkstatt im hinteren Anbau der Schankwirtschaft ein. "Im Sturmvogel waren alle vertreten, die flugbegeistert und handwerklich geschickt waren", erzählt Heinz Risse, der als kleiner Steppke schon mitmachen durfte.

Vor allem sein Vater Jakob Risse, der sich als begabter Stellmacher und Karosseriebauer in Oerlinghausen einen Namen gemacht hatte, baute mit anderen Handwerkern und vielen Jugendlichen in der Wolfseiche die Flugzeugteile vor. Die komplette Flugzeugherstellung erfolgte dann in einem zweiten Schritt: In einer Halle am Flugplatz montierte die Gruppe die Einzelteile zu einem fertigen Segelflugzeug zusammen. Die Nazis allerdings verboten nach Machtergreifung 1933 den "Sturmvogel".

Gastwirt Landerbarthold stieg jedoch in ein weiteres Zukunftsgeschäft ein, denn die zunehmende Automobilisierung erforderte immer mehr Tankstellen. "Panama betrieb neben der Wolfseiche unter einem großen Holzdach die erste Oerlinghauser Tankstelle", berichtet Heinz Risse. Die Kriegszeit veränderte Vieles. Auch der Schankbetrieb in der Wolfseiche ging mehr und mehr zurück. Stattdessen übernahmen die Behörden immer deutlicher die Regie über das Lokal. Zwangsarbeiter, vor allem französische Kriegsgefangene quartierte man im Keller und im Anbau ein.

"Jeden Morgen führten Aufseher die männlichen Gefangenen durch Oerlinghausen zur Weberei zum Arbeitseinsatz und abends wieder zurück zur Wolfseiche", erzählt Horst Steinkühler. In der Nachkriegszeit nutzte man in die Kellerräume zur Lagerung von Stoffballen. An einen schwunghaften Handel mit Stoffen aller Art "wohl zum großen Teil aus Wehrmachts-Beständen" erinnert sich Erika Obermark, die als Tochter des damaligen Bürgermeisters Heinrich Kramer, das Geschehen hautnah miterlebt hat.

Heinrich Landerbartholds Wolfseiche florierte bald wieder. Viele Mitarbeiter aus Fabriken, wie den Hanning Elektrowerken, kehrten zum Dämmerschoppen ein oder aber betankten ihr Motorrad oder das Auto an Panamas Tankstelle. Doch gegen Anfang der 60er Jahre gaben Heinrich und Anna Landerbarthold ihre Geschäfte aus Altersgründen auf. Die Gaststätte Wolfseiche ging an eine neue Besitzerin. Elli Mügge, die aus einer Familie in Lipperreihe stammte und einen schwunghaften Schweinehandel betrieben hatte, übernahm die Wirtschaft und richtete sogleich einen Barbetrieb in den hinteren Räumen ein.

"Onkel Toms Hütte" nannte sie ihre Bar in der Wolfseiche. Jeder allerdings kannte die Gaststätte nur unter "Ferkelbar" - wegen des beruflichen Hintergrunds von Elli Mügge. Die Ferkelbar entwickelte sich bald zu einer der ersten Rocker-Kneipen - zum Szene-Treffpunkt alle Moped- und Motorradfahrer.

Den Tankbetrieb stellte man ganz ein. Stattdessen eröffneten im April 1963 Horst und Brigitte Henseleit unter dem riesigen Holzdach den frühesten Oerlinghauser Imbissstand, der außer Brat- und Currywurst auch die allerersten Pommes Frites in der Tüte anbot.

Die Wolfseiche und Onkel Toms Hütte jedoch fanden in den 60er Jahren neue Inhaber. Heinz Kaldeweier übernahm den gesamten Gastronomiebetrieb und setzte mit seinen erwachsenen Kindern ganz auf die Diskotheken-Welle. Zwar lief anfangs der bekannte Schankbetrieb der Wolfseiche im vorderen Teil des Hauses weiter, doch im hinteren Bereich legte im "Candle" ein Diskjockey die neusten Scheiben der Beatles und Rolling Stones auf, während an der Bar "Saurer Paul" oder "Cola mit Mariacron" verkauft wurde.

Auch Kaldeweiers zogen sich in den 70er Jahren aus der Gastronomie zurück. Das Candle ging in neue Hände über. Noch einmal jedoch sorgte die Diskothek für Schlagzeilen. Im Jahr 1984 heulten die Sirenen in Oerlinghausen, in dem großen Gebäude war ein Feuer ausgebrochen. Die näheren Umstände des Brandes, der erhebliche Teile der Inneneinrichtung zerstörte, sind nicht bekannt. Aber das Feuer zählte zu einem der größten Einsätze der Oerlinghauser Feuerwehr.

Das Haus wurde später wieder renoviert, doch nach dem Umbau in ein reines Wohnhaus verwandelt. Heute deutet nichts mehr auf die schillernde Vergangenheit der alten Wolfseiche hin.

Bildunterschrift: Der Verein "Sturmvogel" baute im hinteren Teil der Wolfseiche um 1930 die ersten Segelflugzeuge.

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www.oerlinghausen.de/de-wAssets/docs/Erinnerungsbuch_NS-Opfer_Oerlinghausen_dritte_Ausgabe_2019.pdf


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