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Lippische Landes-Zeitung , 14.03.2020 :

Leserbriefe / Humanität und Menschenrechte? Schande über uns!

An das Ende des Zweiten Weltkrieges erinnert dieser Leser - und stellt einen aktuellen Bezug her.

Bald jährt sich zum 75. Mal der Jahrestag der Befreiung vom Hitler-Faschismus. Lange hieß es, bezogen auf das Mörder-Regime Nazi-Deutschlands: "Nie wieder!" Heute ist damit meist die Aufnahme vieler Geflüchteter 2015 in Deutschland gemeint. In den vergangenen fünf Jahren haben Deutschland und die EU vor allem an der Abschreckung der aus Krieg, Verfolgung und Not Flüchtenden gearbeitet: In der Zusammenarbeit mit kriminellen Milizen und Diktaturen, der faktischen Abschaffung staatlicher Seenotrettung bis hin zur Kriminalisierung menschenrettender Nichtregierungsorganisationen (NGO) auf dem Mittelmeer, dem beharrlichen Wegsehen von dramatischen Zuständen in den Flüchtlingscamps in Griechenland, Libyen und andernorts.

All das ist gewollt, um die Notleidenden abzuschrecken; die vielen Toten durch unterlassene Hilfeleistung werden bedauernd (?) zur Kenntnis genommen. 2016 stritt sich die CDU und die Republik über eine "Obergrenze" bei der Aufnahme Geflüchteter, die fortan auch nicht annähernd erreicht wurde - Seehofers Obergrenze wäre heute ein humanitärer Fortschritt!

"Europas Brutalität" übertitelt der aktuelle "Spiegel" seinen Leitartikel, der die Kapitulation der EU vor den eigenen deklarierten humanitären Ansprüchen kommentiert. Frau von der Leyen, die als Verteidigungsministerin daran mitwirkte, dass die maritime Beteiligung an "Frontex" mit Militärschiffen fernab von Flüchtlingsrouten keinen einzigen Flüchtenden aus dem Meer rettete, bemüht angesichts der aktuellen Flüchtlingskrise zwischen Griechenland und der Türkei militärische Vokabeln: Griechenland ist ihr das Abwehrschild Europas, man werde "die Stellung halten".

Der brutale Abwehrkampf griechischer Militärs mit Menschenrechtsverletzungen an der Grenze unter dem gemeinsamen Etikett "Frontex" wird so legitimiert. Sogar die Aussage des Frontex-Befehlshabers, in letzter Konsequenz müsse man schießen, bleibt von ihr unkommentiert: Das hatte schon eine führende AFD-Politikerin 2016 vorgedacht und ausgesprochen!

Die "Festung Europa" bedeutet im Jahr 2020 die "Orbanisierung" offizieller EU-Politik: Stacheldraht, Abwehr der Flüchtenden mit Blendgranaten, Tränengas, Schlägen und manchmal scharfer Munition - ein 24-jähriger Syrer wurde vor wenigen Tagen so ermordet. Auf Lesbos jagen Rechtsradikale NGOs und Geflüchtete, Helfende trauen sich nicht mehr aus ihren Unterkünften. Von der EU und von der Leyen kein Wort dazu; man dankt stattdessen Griechenland. Diesem armen Land hätte man in den vergangenen Jahren durch eine Umverteilung von zehntausenden Geflüchteten helfen können, die unter unerträglichen Bedingungen auf den Inseln vegetieren und jahrelang festsitzen.

Die humanitären "Werte" der EU heute: Statt "wir schaffen das" eher "wir schaffen das ab", das Asylrecht nämlich. Die Richtlinie des EU-Asylverfahrens von 2013 gestattet es, an den EU-Außengrenzen einen Antrag auf Asyl zu stellen. Griechenland setzt sich mit EU-Billigung darüber hinweg, setzt das Asylrecht aus und schiebt die auf griechischer Seite Aufgegriffenen unrechtmäßig und gewaltsam zurück. Die EU betreibt aggressiven Grenzschutz, keinen Menschenschutz.

Humanität und Menschenrechte? Nach Bedarf und Maßgabe der nächsten Wahlen. Schande über uns!

Albert Lange, Detmold

14./15.03.2020

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