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Mindener Tageblatt , 13.03.2020 :

Die Republik am Abgrund

Bei Ausbruch des Kapp-Putsches vor hundert Jahren gehen Demokraten in Minden zu Tausenden auf die Straße / Der "Bürgerbund" hält es dagegen mehr mit den reaktionären Putschisten

Jürgen Langenkämper

Minden. Vor 100 Jahren, am 13. März 1920, erschütterte der Kapp-Putsch die junge Weimarer Republik. Für ein paar Tage sah es so aus, als könnten die Feinde der Demokratie mit Waffengewalt die Macht im Deutschen Reich ergreifen. Doch die Reaktionäre konnten sich nicht durchsetzten und langfristig behaupten. Der Namensgeber Wolfgang Kapp (1858 - 1922), Generallandschaftsdirektor aus Königsberg, floh am 17. März nach Schweden. Daraufhin lenkte auch der militärische Kopf des Putsches, General Walther von Lüttwitz (1859 - 1942), ein und gab auf.

Auch in Minden hatte der Putsch vom ersten Tag an Auswirkungen. Über die Vorgeschichte und den Ablauf der Ereignisse vor Ort informierte Museumsleiter Philipp Koch am Mittwochabend in einem Vortrag im Verwaltungsgericht.

Die Stadt war sehr früh in das Putsch-Geschehen und mehr noch in die Verteidigung der Republik gegen die Putschisten involviert. "In den frühen Morgenstunden des 13. März wurde mir in Minden die Nachricht von den Ereignissen in Berlin sozusagen zum Frühstück serviert", schrieb der Reichs- und Staatskommissar Carl Severing (1875 - 1952), der an jenem Tag zu Verhandlungen aus Bielefeld gekommen war, später in seinen Erinnerungen.

"Überrascht, dass die Wühlereien bereits so weit gediehen waren"

Zwar war der führende MSPD-Politiker schon zuvor auf Unzufriedenheit in der Truppe und die Gefahren "einer politischen Ausbeutung dieser Missstimmung" aufmerksam gemacht worden, doch er war überrascht, dass "die Wühlereien aber bereits so weit gediehen waren". Sofort fuhr er nach Münster.

In Minden überstürzten sich die Ereignisse an jenem 13. März, einem Samstag, fast im Stundentakt. Um 13 Uhr kamen MSPD, DDP, Zentrum und USPD im Rathaus zu einer Loyalitätsbekundung für die Regierung Ebert-Bauer zusammen. Um 15.30 Uhr strömten 1.200 Teilnehmer zu einer Gewerkschaftsversammlung im "Rosenthal". Der Sozialdemokrat Willy Michel (1885 - 1952) rief zur Verteidigung der Republik "mit unserem Blut und unseren Leibern" auf. Auch der Oberpostdirektor, der Garnisonsälteste sowie Bürgermeister Dr. Carl Dieckmann (1879 - 1955) hatten zuvor gegenüber Abgesandten erklärt, "auf dem Boden der Regierung" zu stehen. Nach einer Stunde erfolgte ein Aufruf zum Generalstreik, wie es auch in anderen Städten geschah. Zudem wurde ein Arbeiterrat von MSPD, DDP und USPD wieder gegründet. Der Arbeiterrat erhielt am Sonntag, 14. März, sogar seitens der aus Berlin abgereisten Reichsregierung eine telefonische Legitimation, die in den Folgetagen mehrfach wiederholt und bekräftigt wurde.

Doch nicht alle Mindener standen hinter der gewählten Regierung. Das konservative Bürgertum, das DVP und DNVP zuneigte, wünschte offenbar einen Erfolg der Putschisten, wie die Schlagzeile des Mindener Tageblattes am 14. März offenbar werden ließ: "Die Reichsregierung hat aufgehört zu sein". Weil das MT und die "Mindener Zeitung" Erlasse der Kapp-Lüttwitz-Regierung veröffentlicht hatten, wollte der Arbeiterrat sie am Montag, 15. März, einer Vorzensur unterwerfen. Als die Verleger sich weigerten, bekamen sie Erscheinungsverbot. Der Buchhändler Volkening weigerte sich zudem, antisemitische Schriften aus seinem Schaufenster zu nehmen.

Regierungspräsident Rudolf von Campe (1860 - 1939), der selbst der DVP angehörte, ordnete den Schutz der Zeitungen und des Buchhändlers an, weil aus seiner Sicht dem Arbeiterrat die Legitimation fehlte. Als Polizeivorsteher setzte Bürgermeister Dieckmann, der dagegen der DDP angehörte, aber keine der Maßnahmen um, als er von der Legitimität des Arbeiterrates erfuhr.

In einer außerordentlichen Stadtverordnetenversammlung stellten sich MSPD und DDP, die fast eine Zweidrittelmehrheit hatten, hinter die demokratische Regierung. DNVP, DVP und Zentrum, die daran nicht teilgenommen hatten, gründeten dagegen einen "Bürgerbund" und warfen der SPD und dem Arbeiterrat "Terror" vor.

Am nächsten Morgen, Dienstag, 16. März, kamen mehr als 12.000 Menschen zu einer Gewerkschaftsversammlung. Ein Telegramm Severings bestätigte erneut die Legitimität des Arbeiterrates, am Abend folgte ein Telegramm der Reichsregierung, die nach Stuttgart ausgewichen war. Als von Campe im Laufe des Tages nach Münster reiste, um gegen Maßnahmen des Arbeiterrates zu protestieren, fuhr auch dessen Vertreter Konrad Litzinger dorthin und forderte die Ablösung des Regierungspräsidenten, was auch geschah - mit einem Rücktritt "auf eigenen Wunsch".

Am Mittwoch, 17. März, folgten weitere Gewerkschaftsversammlungen. Dann wurde das Scheitern des Putsches bekannt, weil es in vielen Orten großen Widerstand und Generalstreiks gegen die Feinde der Republik gab. Doch durch die Mindener und die gesamte deutsche Gesellschaft ging ein tiefer Riss. Philipp Koch machte dies an Hand der Reichstagswahlergebnisse vom 6. Juni 1920 deutlich. In Minden verlor die "Weimarer Koalition" aus SPD, DDP und Zentrum ihre Mehrheit, weil große Teil des Bürgertums von der linksliberalen DDP zur konservativen DVP umschwenkten. Die vielfältigen Ursachen der Unsicherheit und Unzufriedenheit in der Bevölkerung aber, soziale Not und Abstiegsängste, blieben noch auf Jahre weiter bestehen. Auch hierfür lieferte der Museumsleiter interessante Anhaltspunkte aus den heimischen Archiven und Tageszeitungen.

Der Autor ist erreichbar unter Telefon (0571) 882168 oder Juergen.Langenkaemper@MT.de.

Bildunterschrift: Auf Seiten der Putschisten positioniert: Bürgerliche Zeitungen sahen die legitime Reichsregierung bereits als gescheitert an.


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Mindener Tageblatt, 07./08.03.2020:

Stadt im Widerstand

Kapp-Putsch Thema im Museum

Minden (lkp). Keine zwei Jahre nach Kriegsende und Abdankung des Kaisers stand die junge Weimarer Republik im März 1920 kurz vor ihrem Aus. Der Generallandschaftsdirektor Wolfgang Kapp (1858 - 1922) und der General Walther Freiherr von Lüttwitz (1859 - 1942) putschten am 13. März 1920 gegen die Reichsregierung von SPD, DDP und Zentrum.

Doch in nur wenigen Tagen brach der Putsch auf Grund eines großen Generalstreiks sowie mangelnder Unterstützung durch die Bevölkerung und die alten Eliten zusammen. Der zum Reichskanzler ausgerufene Kapp floh am 17. März 1920 nach Schweden, und auch Lüttwitz lenkte nach kurzer Nachfolge als Militärdiktator ein und ging nach Ungarn.

Die Abläufe in jenen dramatischen Tagen, als die Demokratie in Deutschland auf Messers Schneide stand, rekonstruiert der Leiter des Mindener Museums, Philipp Koch, am Mittwoch, 11. März, in einem Vortrag im Gerichtszentrum am Königswall. In seinem Vortrag "Revolution, Inflation und Kapp-Putsch: Minden in den Krisenjahren 1919 und 1920" beleuchtet er auch die Vorgeschichte des Putsches in Minden und seine Auswirkungen. Er benennt Protagonisten, die die Putschisten unterstützten und die ihnen entschieden entgegentraten.

Beginn ist um 18 Uhr. Eine Anmeldung ist nicht erforderlich.

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