Deister- und Weserzeitung ,
10.03.2020 :
Ein Brief an die AfD und ein Antrag
Bürgermeister kritisiert Etikettenschwindel / Ratsmehrheit will Wahlkampf in städtischen Räumen verhindern
Von Juliane Lehmann
Bad Pyrmont. Die Überlassung der Pyrmonter Schulzentrums-Mensa an die AfD für deren Wahlkampf-Finale am Samstagabend hat ein Nachspiel. Die Mehrheitsgruppe im Pyrmonter Stadtrat aus SPD, WiR, Grünen, FDP und Linkem will beantragen, im Wahlkampf-Endspurt künftig keine städtischen Immobilien mehr an Parteien zu vermieten. Das kündigte am Montag der SPD-Fraktionsvorsitzende Uwe Schrader an. "In der Vergangenheit hat keine Partei in Bad Pyrmont noch am Vorabend einer Wahl ein öffentliches Gebäude für eine Veranstaltung genutzt", so Schrader. Der Antrag solle der Stadtverwaltung eine rechtssichere Handhabe geben, die bisher inoffizielle Übereinkunft rechtssicher zu fixieren.
Dass die AfD die von rund zwei Dutzend Anhängern und noch einmal halb so viel kritischen Zuhörern besuchte Abschlussveranstaltung ihres letztlich erfolglosen Landratswahlkampfes in der Mensa durchführte, hatte viele Pyrmonter empört - nicht zuletzt wegen des damit einhergehenden Etikettenschwindels. Denn die Partei ordnete die Mensa des aus Grund- und Hauptschule, Realschule und Gymnasium bestehenden Pyrmonter Schulzentrums allein dem Gymnasium zu (wir berichteten). An ihrem Infostand auf dem Wochenmarkt warb die Partei am Samstag mit der "Abschlussveranstaltung in der Aula unseres Gymnasiums". Wohl nicht zuletzt diese Vereinnahmung ihrer Schule trieb am Samstagabend weit mehr als 100 Schülerinnen und Schüler des Humboldt-Gymnasiums vor die Mensa. Auch Rektorin Dr. Barbara Conring zeigte sich befremdet und mischte sich, wie eine Reihe anderer Erwachsener, unter die Demonstranten.
Noch im Vorfeld des Termins hatte die Schulleitung die AfD schriftlich aufgefordert, den Namen des Humboldt-Gymnasiums aus ihrer Wahlwerbung im Internet zu tilgen. Ohne Folgen. Dafür schmückt seit Samstag auch das schwarzweiße Humboldt-Logo "Schule ohne Rassismus - Schule mit Courage" die auf der Facebook-Seite der AfD kombinierte Bildergalerie aus Partei- und Schul-Fotos. Hinterlegt ist dazu zudem ein kurzer Text. Er benennt die suggerierte Verbindung zur Schule als "inhaltlich falsch" und betont, sie geschehe "ohne unsere Zustimmung".
Bad Pyrmonts Bürgermeister Klaus Blome (parteilos) hatte im Vorfeld keine rechtliche Handhabe gegen die Mensa-Vermietung an die AfD gesehen. Am Montag sagte er auf Anfrage: "Mir gegenüber hat niemand kritisiert, dass die Stadt die Mensa hergegeben hat." Hätte er die Vermietung verhindert, dann hätte die AfD sich wohl als Opfer inszeniert. Und, so Blome weiter: "Wenn unsere Demokratie das nicht aushielte, müssten wir uns wirklich Sorgen machen."
Seine Anwesenheit bei der Protest-Demo vor der Mensa wollte er im Übrigen als Statement verstanden wissen.
"Wir werden Ihr aktuelles Vorgehen auch bei künftigen Veranstaltungen in die Bewertung mit einfließen lassen."
Klaus Blome, Bürgermeister
Am Montag schrieb der Verwaltungschef dann an Hameln-Pyrmonts AfD-Kreisvorsitzende. In seinem Brief weist er Delia Klages darauf hin, "dass es Ihnen im Rahmen des Wahlkampfs und der Werbung für Ihre Abschlussveranstaltung nicht zustand, das Humboldt-Gymnasium in Verbindung mit eben dieser Veranstaltung zu bringen". Durch die unrechtmäßige Vereinnahmung der zu politischer Neutralität verpflichteten Schule habe die Partei deren Belange beeinträchtigt. Blomes Überzeugung nach wäre es für die AfD ein Leichtes gewesen, den Veranstaltungsort anders zu bezeichnen. Und, so der Bürgermeister weiter: Die Art der Werbung "ist für mich als Schulträger und als Hausherr der Mensa im Schulzentrum nicht hinnehmbar". Sein Schreiben schließt er mit "scharfer Kritik" und der Ankündigung, "Ihr aktuelles Vorgehen auch bei künftigen Veranstaltungen in die Bewertung mit einfließen" zu lassen.
Unterdes erarbeitete SPD-Fraktionschef Schrader den Antragsentwurf im Namen der Ratsmehrheit. Die Forderung: In den letzten vier Wahlkampf-Wochen soll die Stadt ihre Räume nicht mehr an Parteien oder sonstige politische Organisationen vermieten. Ausnahmen dürfe es nur für Veranstaltungen wie etwa Diskussionen mit Wahlkämpfern oder Vertretern aller Parteien geben. Tabu sein sollten dagegen auch Vermietungen an Dritte, die nur bestimmte Kandidaten präsentierten. Bisher verbietet ein Erlass des Kultusministeriums nur Besuche von Wahlkämpfern im Schulunterricht.
Die Pyrmonterin Astrid Jörg zählte zu einem guten Dutzend kritischer Besucher der AfD-Veranstaltung. "Ich hätte gern ein paar Fragen gestellt", sagt sie. "Aber das war nicht erwünscht." Nach ihrem zweiten Versuch einer Wortmeldung habe Delia Klages sie und mehrere Begleiterinnen sowie eine Schülergruppe aus der Mensa geworfen. "Ich hoffte, der Landratskandidat würde vermittelnd eingreifen, als sie auf uns zukam und mit dem Finger drohte. Aber da kam nichts." Dafür sei der Applaus der Schüler, die die Szene durchs Fenster beobachtet hätten, umso größer gewesen, als sie herausgekommen seien. Astrid Jörg, die zu den Organisatoren der Spontan-Demo zählte, sagt: "So lange ich lebe, werde ich nicht tatenlos zusehen, wenn ich gewahr werde, dass so eine Partei etwas plant. Das könnte ich mit meinem Gewissen nicht vereinbaren."
Bildunterschrift: Durch die von der AfD suggerierte Verbindung zum Humboldt-Gymnasium sahen sich viele Schülerinnen und Schüler verunglimpft. Auch das mobilisierte sie am Samstagabend zum lautstarken Protest vor der Mensa des Schulzentrums.
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Deister- und Weserzeitung, 09.03.2020:
"Lieber Flüchtlinge als Rassisten"
Schüler und Erwachsene protestieren vor Schulmensa gegen AfD / Vermietung durch die Stadt verwundert
Von Carlhermann Schmitt und Juliane Lehmann
Bad Pyrmont. "Zu Risiken und Nebenwirkungen von Rechtspopulisten lesen Sie ein Geschichtsbuch oder fragen Sie ihre Großeltern" steht auf einem Plakat von Schülern des Bad Pyrmonter Humboldt-Gymnasiums, die sich der Vereinnahmung ihrer Schule widersetzen, die für Offenheit, Toleranz und Mitmenschlichkeit steht.
Sie hatten sich am Samstagabend vor der Mensa des Schulzentrums versammelt, die von der AfD für einen Wahlkampfauftritt ihres Landratskandidaten Christopher Emden von der Stadt angemietet worden war, an der auch die AfD-Landesvorsitzende Dana Guth teilnahm. Während drinnen rund zwei Dutzend Interessierte der Veranstaltung folgten, ließen draußen weit über 100 Schüler und Erwachsene keinen Zweifel, was sie vom Gedankengut der Blauen halten. Mit Plakaten wie "Wohl in Geschichte nix gerAfD", "Menschenrechte statt rechter Menschen" machten sie deutlich, dass sie sich ein anderes Deutschland wünschten, als das was die AfD anzubieten habe. Mit Buh-Rufen und Musik wiesen sie Emden und dessen Anhänger darauf hin, dass sie die rechte Partei mit einem Aus für Demokratie gleichsetzen und dass Rassismus töte.
Die Polizei hatte leichtes Spiel. Weder die Jugendlichen noch die Erwachsenen waren auf Krawall gebürstet. Sie wollten nur deutlich machen, "dass sie Rassisten gerne gegen Flüchtlinge eintauschen" würden. Dass die Abschlussveranstaltung des AfD-Landratswahlkampfs überhaupt in einem städtischen Gebäude stattfinden durfte, wunderte so ziemlich alle, die - weil keine AfD-Sympathisanten - erst kurz vor der Veranstaltung von dem bis dahin konspirativ geplanten Termin erfuhren. Auf der Facebook-Seite der AfD wurde der Termin erst am Freitagmittag bekannt gegeben. "Sonst werden wir immer über externe Veranstaltungen informiert, die bei uns stattfinden. Aber über diese AfD-Kundgebung hat uns die Stadtverwaltung nicht informiert", erklärt eine Pädagogin aus dem Pyrmonter Schulzentrum, die ungenannt bleiben möchte. Aus Angst vor Repressalien, wie sie sagt. Sie habe sich "tierisch aufgeregt", als sie zufällig erfahren habe, dass die Stadt der rechtspopulistischen und in Teilen sogar rechtsextremen Partei die Mensa überlasse. "Andere Kommunen schaffen es doch auch, sich dagegen zu wehren", sagte die Lehrerin.
Befremdlich erscheine ihr und anderen die Vermietung der Mensa an die AfD auch vor dem Hintergrund, "dass sich gerade in diesem Raum die ganze Woche über Kinder und Jugendliche aufhalten, deren Familien aus unterschiedlichsten Ländern stammen". Und auch die Reinigungskräfte, die den Raum säuberten, kämen aus unterschiedlichen Kulturen.
Apropos Mensa: Auf ihrer Facebook-Seite erklärt die AfD den Raum fälschlicherweise zur "Mensa des Humboldt-Gymnasiums". Obendrein wird das Gymnasium, das als "Schule gegen Rassismus - Schule mit Courage" zertifiziert ist, auch noch als Werbeträger der Partei vereinnahmt. So hat die AfD den Facebook-Auftritt des Gymnasiums auf ihrer eigenen Facebook-Seite verlinkt. Zudem ging damit eine Vermischung der parteieigenen Bildergalerie mit diversen Fotos aus dem Schulleben des Gymnasiums einher. So konnte der Eindruck einer Zusammenarbeit mit der Schule entstehen. Rektorin Dr. Barbara Conring reagierte auf diesen von der AfD erweckten Eindruck befremdet. "Eine Verbindung zwischen der Veranstaltung und dem Humboldt-Gymnasium ist in keiner Weise gegeben", betonte sie auf Anfrage.
Bürgermeister Klaus Blome sagte, er habe keine Möglichkeit gesehen, der AfD die Mensa, die regelmäßig für Veranstaltungen vermietet wird, zu verweigern, erklärte er am Freitag. Er berief sich auf einen Erlass des Kultusministeriums, nach dem Politiker jeweils vier Wochen vor einem Wahltag lediglich nicht am Unterricht teilnehmen dürfen. Zudem dürfe der Schulunterricht nicht von Veranstaltungen beeinträchtig werden. "Das ist nicht der Fall, denn am Samstag gibt es keinen Unterricht", so Blome. (mit uk)
Bildunterschrift: Weit über 100 Schüler und Erwachsene protestierten vor der Mensa des Schulzentrums gegen die AfD und hielten Transparente und Schilder an die Fensterscheiben.
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