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Neue Westfälische - Zeitung für das Lübbecker Land , 09.03.2020 :

Rechtsextreme wollen mit Feindeslisten verunsichern und Ängste schüren

Der Staatsschutz lässt weitgehend offen, ob die 23 Personen aus dem Lübbecker Land informiert wurden, deren Daten Rechtsextreme gesammelt hatten / Wer sich betroffen fühlt, kann sich an die Polizei wenden

Frank Hartmann

Lübbecker Land. Unter der Überschrift "Wir kriegen euch alle" hatte die rechtsextreme Terror-Gruppe "Nordkreuz" neben Namen und Anschriften von linken Aktivisten, Punks und Politikern auch die von bekannten Künstlern zusammengetragen. Das geht aus der exakt 24.522 Personen umfassenden Liste hervor, die Ermittler der Bundesanwaltschaft und des Bundeskriminalamtes sichergestellt hatten.

Die Berichterstattung in der NW über 23 Namen von Männern und Frauen, die im Lübbecker Land wohnen und auf dieser Feindesliste stehen, hat nicht zuletzt bei Lesern weitergehende Fragen aufgeworfen. Zum Beispiel über die Möglichkeit der Betroffenen, von der Polizei über den Sachverhalt informiert zu werden, um sich gegebenenfalls juristisch gegen die Verbreitung ihrer Daten zu wehren. Und auch gegen die Rechtsextremen, die ihre Daten gesammelt und in der Liste aufgeführt haben. Viele Möglichkeiten, etwas zu erfahren, haben die auf der Feindesliste mit vollem Namen, Adresse, Telefonnummer und Mail-Adresse genannten Personen in Lübbecke und den Nachbarkommunen allerdings nicht.

Ansprachen von potenziell Gefährdeten wurden geprüft

Auf NW-Anfrage teilt Pia Leson vom Innenministerium NRW mit, die besagte Liste sei am 13. September 2016 durch Anzeigen auf Grund einer Internet-Veröffentlichung in verschiedenen Bundesländern bekannt geworden. Das Bundeskriminalamt habe die Liste allen Bundesländern mit der Bitte um Prüfung in eigener Zuständigkeit geschickt. Das nordrhein-westfälische Landeskriminalamt habe alle Personen aus NRW - laut Verfahrensstatistik 3.807 Personen - herausgefiltert und die Namen an die zuständigen Kreispolizeibehörden übermittelt.

Die Kreispolizeibehörden haben Leson zufolge anschließend einzelfallbezogen Gefährdeten-Ansprachen geprüft und, sofern notwendig, vorgenommen. "Das Verfahren ist abgeschlossen, und die personenbezogenen Datensätze wurden gemäß der vorgegebenen Fristen nach einem Jahr gelöscht."

Ob die Polizei Minden-Lübbecke die betroffenen Bürger in Lübbecke (7), Stemwede (5), Espelkamp (4), Pr. Oldendorf und Rahden (jeweils 3) sowie Hüllhorst (1) informiert hat, ist in Minden nicht zu erfahren. Denn zuständig ist die Staatsschutz-Dienststelle der Polizei in Bielefeld, wo alle politisch motivierten Straftaten und Sachverhalte zentral für den Regierungsbezirk bearbeitet werden.

Polizeisprecher Knut Packmohr teilt dazu mit, im Bereich der politisch motivierten Kriminalität sei es üblich, Informationen zu sammeln.

Datensammlungen im Internet verändern sich laufend

Und auch das so genannte "Outing", also die Veröffentlichung von Namen möglicher politischer Gegner, sei gängige Praxis: "Das Ziel der handelnden Personen ist es hierbei vor allem, Angst zu schüren und Verunsicherung zu verbreiten." Die aus der Datensammlung für NRW herausgefilterten Personen seien einer "Gefährdungseinschätzung" unterzogen worden: "Dabei haben sich grundsätzlich keine Anhaltspunkte dafür ergeben, dass die Betroffenen einer konkreten Gefährdung unterliegen."

In Einzelfällen, in denen im Rahmen der Prüfung weitere Gefährdungsaspekte festgestellt worden seien, "erfolgte eine Information durch die zuständige Polizeibehörde".

Wie Packmohr weiter ausführt, können die Feindes- oder auch Todeslisten genannten Datensammlungen aus unterschiedlichen Quellen stammen. Unter anderem befänden sich einige im Internet und könnten dort von jedermann selbstständig editiert und erweitert werden, "so dass sie sich laufend verändern".

Eine dieser Listen findet sich beim "Netzwerk demokratischer Widerstand" und trägt die Bezeichnung "Nürnberg 2.0 Deutschland". Dort werden "Akten" mit detaillierten Informationen über Politiker, Künstler, Juristen, Wissenschaftler, Kirchenvertreter und weitere Personen-Gruppen geführt mit Anmerkungen wie "Staatsfeindliche Aktivitäten", "Aktive Politik für die Islamisierung Deutschlands" und "Lüge / Täuschung / Verharmlosung". Unter "Staatsangehörigkeit" steht meist "keine".

Wer sich betroffen fühle, sagt Knut Packmohr auf Nachfrage, könne sich an die Polizei wenden. Ebenso gelte, dass Bürger, die Hakenkreuz-Schmierereien bemerkten oder volksverhetzende Äußerungen hörten, jederzeit Kontakt zur nächsten Polizeidienststelle aufnehmen könnten.

Halle, Hanau, der Mordfall Walter Lübcke - die dichte Chronologie der Gewalttaten hat inzwischen auch den NRW-Innenminister Herbert Reul aufgewühlt. Er habe eine "rechtsextremistische Grundstimmung" ausgemacht, eine blindwütige Ideologie, die Freiheit und Demokratie gefährde, sagt der CDU-Politiker vor wenigen Tagen in einer Sondersitzung. Es sei "verdammt was aus den Fugen geraten".

Zuletzt war die rechtsextremistische Terror-Zelle "Gruppe S." aufgeflogen. Zusammen mit zwei weiteren Mitgliedern zählt Thomas N. aus Minden zum harten Kern der Gruppe, die Anschläge auf Politiker, Asylbewerber und Muslime ins Auge gefasst haben soll.

Bildunterschrift: Solche Feindeslisten von Rechtsextremen sind im Internet leicht zu finden und einzusehen.

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Neue Westfälische - Zeitung für das Lübbecker Land, 09.03.2020:

Bürger ohne Kenntnis von Feindesliste

Lübbecke. Das rechtsextreme Netzwerk "Nordkreuz" hatte eine Feindesliste zusammengestellt. Sie enthält die Namen von 23 Bürgern aus dem Lübbecker Land, die aber nichts davon wissen.

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Neue Westfälische - Zeitung für das Lübbecker Land, 22./23.02.2020:

23 Bürger stehen auf Feindesliste von Rechtsextremen

Festgenommene Terror-Verdächtige im Raum Minden zeigen: Die Fäden rechtsextremer Netzwerke ziehen sich auch durch den Mühlenkreis / Die Spur einer sichergestellten Todesliste führt bis ins Lübbecker Land

Frank Hartmann

Lübbecker Land. Rund 24.500 Kontaktdaten von politischen Gegnern umfasst eine bei Razzien 2017 und 2018 von Sicherheitsbehörden sichergestellte Namensliste des rechtsextremen Netzwerks "Nordkreuz". Ganz überwiegend handelt es sich um Daten von Personen aus dem linken politischen Spektrum. Die meisten von ihnen sollen sich positiv über Flüchtlinge und Asylsuchende geäußert haben und Kunden eines Punkrock-Versandhandels gewesen sein. Dessen Datenbestand hatten Rechtsextreme 2015 gehackt. Auf der Personenliste, die der NW Lübbecke vorliegt, befinden sich auch 23 Namen, Anschriften, Telefonnummern und E-Mail-Adressen von Männern und Frauen aus dem Lübbecker Land.

Nordkreuz hat den Verfassungsschutz auf sich aufmerksam gemacht. Unter anderem, weil die Mitglieder Waffen und Munition gesammelt und Leichensäcke und Löschkalk bestellt hatten. Von den 23 Personen auf der Nordkreuz-Feindesliste stammen 7 aus Lübbecke, 5 aus Stemwede, 4 aus Espelkamp, 3 aus Pr. Oldendorf, 3 aus Rahden, 1 aus Hüllhorst.

Attraktiv für Waffen-Narren und Verschwörer

Nach Einschätzung von Ermittlern planten die Nordkreuzler, ehemalige Elite-Soldaten der Bundeswehr und SEK-Polizisten, politische Feinde gezielt zu töten. Diesen Verdacht haben zwei Vernehmungen eines Nordkreuz-Angehörigen durch das Bundeskriminalamt erhärtet. Die militanten "Prepper" besorgten sich Passierscheine der Bundeswehr und wollten nur noch diejenigen passieren lassen, die nicht auf ihrer "Todesliste" standen. Prepper bereiten sich akribisch auf mögliche Krisen, Kriege und Naturkatastrophen vor, da sie bezweifeln, dass die staatliche Krisenvorsorge in solchen Fällen funktioniert. Die Prepper-Szene gilt als attraktiv für Waffen-Narren und Verschwörungstheoretiker.

Es ist nicht das erste Mal, dass das Lübbecker Land im Zusammenhang mit Extremisten steht. Vor wenigen Wochen ging aus einer Antwort der NRW-Landesregierung hervor, dass im Mühlenkreis 81 Reichsbürger und "Selbstverwalter" ansässig sind. Davon leben in Espelkamp 6, in Hüllhorst, Pr. Oldendorf und Stemwede jeweils 4, in Rahden 3 und in Lübbecke 2. Einige der Reichsbürger im Kreisgebiet, die die Existenz der Bundesrepublik Deutschland und deren Rechtssystem ablehnen und den demokratisch gewählten Repräsentanten die Legitimation absprechen, besaßen Waffen oder besitzen sie noch immer. Darunter ein Mann aus Stemwede.

Immer wieder fallen Hakenkreuze im Lübbecker Land auf. Etwa in Espelkamp als Schmiererei an einer Hauswand der historischen Gaststätte "Sudetenland", heute "Santorini", und im Aufzug eines Mietshauses, in dem ein Mitglied der Türkisch-Islamischen Union der Anstalt für Religion (DITIB) wohnt. Aber auch ergänzt um ausländerfeindliche Sprüche an einem Container vor dem Kindergarten an der Straße Eickhof in Hüllhorst sowie eingeritzt in das Kriegerdenkmal aus dem Ersten Weltkrieg in der Nähe des Jugendcafés Ilex. Auch das evangelische Gemeindehaus am Rahdener Kirchplatz war schon mit einem Hakenkreuz beschmiert.

Unvergessen bleiben die eindeutigen Drohungen im Internet-Portal des Abi-Jahrgangs des Wittekind-Gymnasiums in Lübbecke gegen das geplante PZ-Festival. Nur durch konsequentes Einschreiten und umsichtiges Handeln verhinderten Polizei, Staatsschutz-Beamte, Ordnungsamt der Stadt Lübbecke sowie Schüler und Lehrer des Wittekind-Gymnasiums, dass das Rock-Konzert im Pädagogischen Zentrum der Schule von Rechtsextremisten heimgesucht wurde. Unter einem Pseudonym hatte der mutmaßliche Verfasser angekündigt, mit einer "Division" anrücken zu wollen, um dem "linken Dreck was auf die Schnauze zu hauen".

Anschläge auf Moscheen und Flüchtlinge

Nicht weniger konkret war die Gefahr, als unterhalb zweier Fenster in Espelkamp Feuer gelegt wurde. Betroffen waren Jalousien und Rahmen eines Containers für Asylbewerber am Hindenburgring. Die Staatsschutz-Abteilung des Bielefelder Polizeipräsidiums ermittelte.

Zuletzt ging es um geplante Anschläge auf Moscheen, Flüchtlingsunterkünfte und Politiker. Die werden unter anderem Verdächtigen aus dem Raum Minden von der Bundesanwaltschaft zur Last gelegt. Insgesamt zwölf Männer, die dem rechtsextremen Terrornetzwerk "Gruppe S." zugeordnet werden, sitzen zur Zeit in Untersuchungshaft.

Vor diesem Hintergrund ist die Gründung eines Bündnisses gegen Rechts in Lübbecke zu sehen, das derzeit vorbereitet wird. Es geht der Initiatorin unter anderem darum, Gesicht zu zeigen gegen die AfD, die bei der Kommunalwahl in die Rathäuser im Lübbecker Land und darüber hinaus einziehen will.

Gerade hat die AfD Minden-Lübbecke als "politische Alternative" einen Stadtverband in Bad Oeynhausen gegründet. Begründung: Menschen aus allen Schichten, Gruppen und Altersklassen hätten erkannt, "dass die AfD die letzte Chance zur Rettung unseres Landes ist".

Bildunterschrift: Skinheads, hier bei einem Neonazi Aufmarsch, sind leicht an ihren Glatzen zu erkennen. Das gilt aber nicht für alle Typen von Rechtsextremen, wenn sie beispielsweise auf bestimmte Kleidung und Nazi-Symbole verzichten.

Kommentar / Rechtsextremismus im Lübbecker Land

Null Toleranz

Frank Hartmann

Nicht erst seit den jüngsten Morden in Hanau frage ich mich entsetzt: Was ist los in diesem Land? Und damit schließe ich die rechtsextremistischen Vorfälle im Lübbecker Land und im Mühlenkreis ausdrücklich ein. Davon gab es in den vergangenen Jahren leider eine ganze Reihe.

Die staatlichen Behörden nehmen Hinweise wie die Hakenkreuz-Schmierereien und die Brandanschläge auf Asylbewerberheime in unserer Region ernst, der Staatsschutz ermittelt jedes Mal. Aber was ist mit uns Bürgern? Sind wir nach jeder neuen Tat wieder nur empört, betroffen, traurig - oder tun wir auch etwas, zeigen wir Zivilcourage?

Das Mindener Bündnis gegen Rechts, die Antifa und andere Gruppen mögen ihre Schwächen haben. Aber sie zeigen Gesicht, machen aufmerksam, organisieren Mahnwachen, demonstrieren.

Das verhindert keinen Anschlag. Aber es ermutigt hoffentlich andere Bürger, sich dem rechten Terror ebenfalls entgegenzustellen. Zumindest Augen und Ohren offen zu halten und verdächtige Personen oder Vorfälle der Polizei zu melden.

Am wenigsten Verständnis habe ich für Interpretationen wie "Dumme-Jungen-Streich", "Einzelfall" oder "überbewertet". Oder für Relativierungen und Vergleiche. Nein, jeder Vorfall ist einer zu viel und gehört angezeigt, verfolgt und bestraft. Wie für die Kriminalitätsbekämpfung muss auch in diesem Punkt gelten: Null Toleranz gegenüber Rassisten, Rechtsextremen, Antisemiten, wo immer wir sie antreffen. Allzu oft wohnen sie gleich nebenan.

frank.hartmann@nw.de

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Neue Westfälische - Zeitung für das Lübbecker Land, 22./23.02.2020:

Lübbecker Land: Rechtsextreme führen ihre Feinde in Listen

Rund 24.500 Kontaktdaten von politischen Gegnern umfasst eine bei Razzien 2017 und 2018 von Sicherheitsbehörden sichergestellte Namensliste des rechtsextremen Netzwerks "Nordkreuz". Überwiegend handelt es sich um Daten von Personen aus dem linken politischen Spektrum - darunter 23 aus dem Lübbecker Land.

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