Mindener Tageblatt ,
09.03.2020 :
Reichsbürger machen Stimmung gegen die Impfpflicht
Der Staatsschutz ermittelt wegen dubioser Schreiben an Kitas und Schulen in Hille, Herford und Lübbecke
Ulf Hanke
Hille / Herford. Hauswurfsendungen landen oft ungelesen im Papiermüll. Bei Einschreiben ist das anders. Da schaut man näher hin, sie könnten wichtig sein. Der Absender hat auch deutlich mehr fürs Porto bezahlt.
Die Kindergärten, Grundschulen und weiterführenden Schulen in der Gemeinde Hille sowie teilweise in den Kreisen Herford und im Altkreis Lübbecke haben in den vergangenen Tagen solche Post von einem "Amt Harlinghausen" bekommen und gelesen (das MT berichtete). Es geht um die Masern-Impfpflicht. Der Brief verbreitet jedoch Falschinformationen und versucht, Angst zu säen. Absender ist ein polizeibekannter Mann aus Preußisch Oldendorf.
Dahinter stecken offensichtlich Reichsbürger. Zahlreiche Erzieher und Erzieherinnen innen fanden in den Briefumschlägen ein 16-seitiges Flugblatt mit dem Titel "Impffrei". Aus dem Inhalt lassen sich Verbindungen in die Szene nachweisen. Der Staatsschutz der Polizei Bielefeld ermittelt.
Nach Recherchen der Neuen Westfälischen steht hinter dem Absender, der die 3,30 Euro pro Brief bezahlt hat, offenbar die Gruppe "Geeinte deutsche Völker und Stämme". Ein Stempel mit der Abkürzung dieser Gruppe ziert in grüner Tinte den Briefumschlag und den Briefkopf.
Die Gruppierung wird von der Generalstaatsanwaltschaft Berlin als "kriminelle Vereinigung" bezeichnet. Im September durchsuchten Ermittler vier Wohnungen in drei Bundesländern von vermeintlichen Anhängern der Gruppe. Der Briefeschreiber aus Preußisch Oldendorf bekam nach Stand der Dinge wohl keinen unangemeldeten Besuch. Der Absender ist der Polizei in Minden-Lübbecke ein Begriff. Sprecher Ralf Steinmeyer sagt: "Der Mann ist uns als Reichsbürger bekannt."
Polizei-Sprecher Ralf Steinmeyer: "Der Mann ist uns als Reichsbürger bekannt."
Warum der Mann aus Preußisch Oldendorf gegen die Impfpflicht agitiert, wird aus dem Inhalt seiner Schreiben nicht klar. Darin ist eine Mischung aus Falschinformation und Angstmacherei zu lesen. Das Ziel ist offenbar Verunsicherung. Wie viele Einschreiben verschickt wurden, ist ebenfalls unklar - in der Gemeinde Hille waren es zwölf. Fast alle haben die krude Post an die Polizei weitergeleitet.
Der Staatsschutz der Polizei Bielefeld prüft das Schreiben derzeit auf strafrechtlich relevante Inhalte. Nach Auskunft von Polizei-Sprecher Michael Kötter landen in Kitas "immer mal wieder Mails von Impf-Gegnern". Bisher habe der Staatsschutz jedoch keine strafrechtlich relevanten Inhalte festgestellt. Eine Statistik werde darüber nicht geführt. Zu Querverbindungen zwischen dem Absender des Einschreibens und der Autorin des Anti-Impf-Flyers konnte der Sprecher bislang noch nichts sagen.
Den Recherchen zufolge ist dem Absender des Flyers bereits vor einiger Zeit der Waffenschein entzogen worden. Der Mann soll tief in der Reichsbürger-Szene verwurzelt sein. Wie alle Reichsbürger glaubt er zum Beispiel, dass die Bundesrepublik Deutschland eine Firma sei. Die seit Anfang März geltende Pflicht zur Masern-Impfung ist für ihn offenbar eine Haftungsfrage.
Der 16-seitige Flyer ist von der bekannten Reichsbürger-Ideologin Heike W. verfasst und verbreitet worden, die wohl aus dem Osnabrücker Land stammt und derzeit in Berlin lebt. Szene-Kenner beschreiben die Frau als Milieu-Managerin, die offenbar die Verbreitung kruder Verschwörungstheorien zum Geschäftsmodell gemacht hat. Sie ist nach wie vor auf zahlreichen Kanälen im Internet präsent.
Der Anti-Impf-Flyer ist bereits am 1. Dezember 2019 auf ihrem Facebook-Kanal angekündigt worden. Das 16-seitige Pamphlet wurde auf Anfrage gedruckt und verkauft. 50 Flyer sollten 15 Euro kosten. Wer mehr kaufte, bekam Rabatt. Mit der Flyer-Aktion verband die Frau auch einen Spendenaufruf. Womöglich hatte das Team um sie herum eine Finanzspritze bitter nötig, nachdem Ermittler der Generalstaatsanwaltschaft Berlin wenige Monate zuvor Wohnungen der Gruppe durchsucht hatten.
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Neue Westfälische - Löhner Nachrichten, 07.03.2020:
Reichsbürger-Post an Kitas: Sorge vor Stimmungsmache
Reaktionen der Träger: Pfarrer Rolf Bürgers lobt aufmerksame Kita-Leiterinnen und die AWO-OWL rechtfertigt die Impfpflicht
Ulf Hanke
Löhne. Die ungewollte Post der dubiosen Reichsbürger-Gruppe "Geeinte deutsche Völker und Stämme" an zahlreiche Kitas in den Kreisen Herford und Minden-Lübbecke hat entschiedene Reaktionen der Kita-Träger ausgelöst. Der Löhner Pfarrer Rolf Bürgers ist besorgt über die Stimmungsmache, die sich über die Kitas offensichtlich direkt an die Eltern richte. Für die Arbeiterwohlfahrt in Ostwestfalen-Lippe lobte Pressesprecher Erwin Tälkers das Verhalten der Kita-Leitungen, die die Briefe unverzüglich der Polizei weitergeleitet haben.
Nach Angaben von Pfarrer Rolf Bürgers könnten allein beim evangelischen Kirchenkreis Herford 56 Kitas betroffen sein. Auch Bürgers lobte die Kita-Leitungen für ihre Aufmerksamkeit. Wie viele Kitas Post bekommen haben, ist noch unklar. Bürgers: "Wir haben noch keinen Überblick."
Der Obernbecker Pfarrer ist zugleich Vorsitzender des kreiskirchlichen Kita-Leitungsausschusses und damit für alle Kitas im Kirchenkreis zuständig. Bürgers sieht in dem Serienbrief den Versuch, über das Thema Impf-Kritik rechte Positionen in die kirchlichen Kitas und damit direkt bei den Eltern anzubringen. "Wir erleben momentan eine Alarmstimmung auch wegen des Coronavirus. Ich habe Sorge, dass das auf fruchtbaren Boden fällt." Mit Blick auf das Reichsbürger-Gedankengut betonte der Pfarrer, dass der evangelische Kirchenkreis dagegen halten werde. Es gehe um ein demokratisches Miteinander und Respekt, so Bürgers: "Wir werden solchen Ideen den Boden entziehen."
Die Arbeiterwohlfahrt betonte die Notwendigkeit der Masern-Impfung. Der Vorstand der AWO OWL, Thorsten Klute, stellte sich hinter die Impfpflicht und sagte: "Die persönliche Freiheit Einzelner stößt dort an Grenzen, wo die Gesundheit vieler anderer gefährdet werden kann." Pressesprecher Erwin Tälkers verwies darauf, dass Eltern frühzeitig informiert worden seien und lobte mit Blick auf das Reichsbürger-Netzwerk hinter der vorgeschobenen Impf-Kritik: "Die Kita-Leitungen haben richtig gehandelt und unverzüglich die Polizei eingeschaltet."
Bildunterschrift: Dieser Anti-Impf-Flyer vom "Amt Harlinghausen" ist per Einschreiben an zahlreiche Kitas verschickt worden. Dahinter stecken Reichsbürger.
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Neue Westfälische - Löhner Nachrichten, 07./08.03.2020:
Löhne: Reaktionen auf Reichsbürger-Post
Löhne. Zwei Träger von Kindertagesstätten reagieren auf die ungewollte Post einer dubiosen Reichsbürger-Gruppe. Zahlreiche Kitas hatten Einschreiben mit krudem Inhalt bekommen.
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Neue Westfälische, 06.03.2020:
Reichsbürger agitieren gegen Impfpflicht
Der Staatsschutz ermittelt wegen dubioser Einschreiben an Kitas in Herford und Minden-Lübbecke / Es gibt Verbindungen zu einer Gruppe, die Holocaust-Leugner Horst Mahler freipressen wollte
Ulf Hanke
Löhne. Hauswurfsendungen landen oft ungelesen im Papiermüll. Bei Einschreiben ist das anders. Da schaut man näher hin, sie könnten wichtig sein. Der Absender hat auch deutlich mehr fürs Porto bezahlt. Zahlreiche Kitas in den Kreisen Herford und Minden-Lübbecke haben in den vergangenen Tagen solche Post von einem "Amt Harlinghausen" bekommen und gelesen. Es geht um die Masern-Impfpflicht. Der Brief verbreitet jedoch Falschinformationen und versucht, Angst zu säen. Absender ist ein polizeibekannter Mann aus Preußisch Oldendorf.
Dahinter stecken offensichtlich Reichsbürger. Zahlreiche Erzieherinnen fanden in den Briefumschlägen ein 16-seitiges Flugblatt mit dem Titel "Impffrei". Aus dem Inhalt lassen sich Verbindungen in die Szene nachweisen. Der Staatsschutz der Polizei Bielefeld ermittelt.
Nach Recherchen unserer Zeitung steht hinter dem Absender, der die 3,30 Euro pro Brief bezahlt hat, offenbar die Gruppe "Geeinte deutsche Völker und Stämme". Ein Stempel mit der Abkürzung dieser Gruppe ziert in grüner Tinte den Briefumschlag und den Briefkopf.
Die Gruppierung wird von der Generalstaatsanwaltschaft Berlin als "kriminelle Vereinigung" bezeichnet. Im September durchsuchten Ermittler vier Wohnungen in drei Bundesländern von vermeintlichen Anhängern der Gruppe. Der Briefeschreiber aus Preußisch Oldendorf bekam nach Stand der Dinge wohl keinen unangemeldeten Besuch. Der Absender ist der Polizei in Minden-Lübbecke ein Begriff. Sprecher Ralf Steinmeyer sagt: "Der Mann ist uns als Reichsbürger bekannt."
Warum der Mann aus Preußisch Oldendorf gegen die Impfpflicht agitiert, wird aus dem Inhalt seiner Schreiben nicht klar. Darin ist eine Mischung aus Falschinformation und Angstmacherei zu lesen. Das Ziel ist offenbar Verunsicherung. Wie viele Einschreiben verschickt wurden, ist ebenfalls unklar. Nicht alle Kitas haben die krude Post an die Polizei weitergeleitet.
Der Staatsschutz der Polizei Bielefeld prüft das Schreiben derzeit auf strafrechtlich relevante Inhalte. Nach Auskunft von Polizeisprecher Michael Kötter landen in Kitas "immer mal wieder Mails von Impf-Gegnern". Bisher habe der Staatsschutz jedoch keine strafrechtlich relevanten Inhalte festgestellt. Eine Statistik werde darüber nicht geführt. Zu Querverbindungen zwischen dem Absender des Einschreibens und der Autorin des Anti-Impf-Flyers konnte der Sprecher bislang noch nichts sagen.
Nach Informationen unserer Zeitung ist dem Absender des Flyers bereits vor einiger Zeit der Waffenschein entzogen worden. Der Mann soll tief in der Reichsbürger-Szene verwurzelt sein. Wie alle Reichsbürger glaubt er zum Beispiel, dass die Bundesrepublik Deutschland eine Firma sei. Die seit Anfang März geltende Pflicht zur Masernimpfung ist für ihn offenbar eine Haftungsfrage.
Der 16-seitige Flyer ist von der bekannten Reichsbürgerideologin Heike W. verfasst und verbreitet worden, die wohl aus dem Osnabrücker Land stammt und derzeit in Berlin lebt. Szene-Kenner beschreiben die Frau als Milieu-Managerin, die offenbar die Verbreitung kruder Verschwörungstheorien zum Geschäftsmodell gemacht hat. Sie ist nach wie vor auf zahlreichen Kanälen im Internet präsent.
Der Anti-Impf-Flyer ist bereits am 1. Dezember 2019 auf ihrem Facebook-Kanal angekündigt worden. Das 16-seitige Pamphlet wurde auf Anfrage gedruckt und verkauft. 50 Flyer sollten 15 Euro kosten. Wer mehr kaufte, bekam Rabatt. Mit der Flyer-Aktion verband die Frau auch einen Spendenaufruf. Womöglich hatte das Team um sie herum eine Finanzspritze bitter nötig, nachdem Ermittler der Generalstaatsanwaltschaft Berlin wenige Monate zuvor Wohnungen der Gruppe durchsucht hatten.
Ermittelt wurde bei der Razzia am 5. September gegen mehr als zehn Beschuldigte, der Hauptvorwurf lautete: Bildung einer kriminellen Vereinigung und versuchte Nötigung von Verfassungsorganen, heißt es in einer Pressemitteilung. Anhänger der Gruppe "Geeinte deutsche Völker und Stämme" hatten dem Justizminister des Landes Brandenburg Gewalt angedroht. Es ging offenbar darum, den bekannten Holocaust-Leugner Horst Mahler aus dem Gefängnis freizupressen.
Seit 1. März gilt neue Regelung
Zum stärkeren Schutz vor hoch ansteckenden Masern gilt seit vergangenem Sonntag Impfpflicht für Kinder in Kitas und Schulen. Eltern müssen nun vor der Aufnahme nachweisen, dass ihre Kinder geimpft sind. Für Kinder, die schon zur Kita oder zur Schule gehen, muss der Nachweis bis zum 31. Juli 2021 erfolgen.
Bei Verstößen drohen bis zu 2.500 Euro Bußgeld.
Greifen soll die Impfpflicht auch für Lehrkräfte und Erzieher sowie für Personal in medizinischen Einrichtungen.
Bildunterschrift: Dieser Anti-Impf-Flyer vom "Amt Harlinghausen" ist per Einschreiben an zahlreiche Kitas verschickt worden. Dahinter stecken Reichsbürger.
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Mindener Tageblatt, 06.03.2020:
Post vom Reichsbürger
Ein polizeibekannter Pr. Oldendorfer schreibt alle Kindergärten und Schulen in der Gemeinde Hille an / Sein Brief steckt voller Desinformation / Nun ermittelt der Staatsschutz
Karsten Schulz und Stefanie Dullweber
Hille / Lübbecke. Große Verunsicherung herrscht aktuell in vielen Kindergärten, Grundschulen und weiterführenden Schulen in der Gemeinde Hille. Sie alle erhielten kürzlich ungewöhnliche Post. Ein der Polizei und dem Staatsschutz bestens bekannter Reichsbürger aus Pr. Oldendorf hatte sich mit dem neuen Masernschutzgesetz befasst. In dem Brief, der dem Mindener Tageblatt vorliegt, schreibt der Verfasser, dass der Staat nicht das Recht habe, ein solches Gesetz zu erlassen. Die Adressaten des Schreibens - also die Leiterinnen und Leiter der Kitas und Schulen - müssten für die Folgen der Impfungen geradestehen, behauptet der Verfasser.
Seit 1. März müssen laut Gesetz alle Kinder ab dem vollendeten ersten Lebensjahr beim Eintritt in die Schule oder den Kindergarten Masern-Impfungen vorweisen. Die meisten Einrichtungen hatten sich nach Erhalt des Briefes zunächst an ihre jeweiligen Träger gewandt und auch mit den übrigen Leitungen Kontakt aufgenommen. Ein mit dem Siegel "Amt Harlinghausen" versehenes Schreiben verbunden mit einem "Impffrei-Flyer" landete in den Briefkästen der betroffenen Einrichtungen, den meisten wurde es als Einschreiben zugestellt. Nicht nur in der Gemeinde Hille, sondern auch im Altkreis Lübbecke sind mittlerweile etliche Fälle bekannt - aus dem Mindener Raum hingegen noch nicht. Die Einrichtungsleitungen kamen überein, das Schreiben samt Flyer an die Kreispolizeibehörde Minden-Lübbecke zu schicken.
Als "völligen Blödsinn" bezeichnete Ulrich Schlomann, Verwaltungsleiter im Kirchenkreis Minden, im MT-Gespräch dieses Schreiben. Schlomann sammelt derzeit die Briefe der kirchlichen Einrichtungen wie beispielsweise der Kindergärten Hille, Südhemmern, Hartum, Oberlübbe und Rothenuffeln. Etwas Vergleichbares sei ihm bisher nicht untergekommen. Allerdings sorgten die Formulierungen für Verunsicherung. Dass die Impfpflicht grundsätzlich über den Gesetzgeber geregelt sei, darüber habe man alle Einrichtungen aus gegebenem Anlass noch einmal informiert.
"Ich war entsetzt über die Form des Schreibens und auch darüber, dass mein Name darauf stand", sagt Elke Borcherding, Leiterin des AWO-Familienzentrums "Abenteuerland" in Espelkamp, auf Nachfrage. Die Sprache sei "sehr seltsam", dennoch habe es auf den ersten Blick "stark amtlichen Charakter", sodass man zunächst "darauf hereinfallen könnte". Sie habe das Schreiben gleich wieder eingesteckt und zur Polizei geschickt. Sie und ihre Kolleginnen der anderen Kitas hielten sich an Recht und Gesetz. "Alle Kinder müssen jetzt eine Impfung nachweisen. Wir machen da einfach unsere Arbeit", so Borcherding weiter.
Malin Adler vom Kindergarten Hartum waren insbesondere die vielen Rechtschreibfehler und das ungewöhnliche Vokabular aufgefallen. In einem ersten Impuls wäre das Schreiben beinahe im Papierkorb gelandet. Allerdings finde sie es wichtig, dass der Sache nachgegangen werde - deshalb habe sie den Brief an den Träger weitergegeben. Dirk Schubert, Leiter der Verbundschule Hille, erklärte, dass er dieses Schreiben als Belästigung und Anmaßung empfinde. Er hoffe, dass der Sache rechtlich nachgegangen werde.
Polizei-Pressesprecher Ralf Steinmeyer bestätigte den Eingang mehrerer Scheiben mit "Impffrei-Flyer" an Kindertageseinrichtungen. "Das war der einzige richtige Weg, den die Kindergärten und Familienzentren hier gegangen sind", sagt Steinmeyer. Sie hätten alles richtig gemacht, darauf aufmerksam zu machen und sich untereinander auszutauschen. Als sie das Schreiben in die Hände bekamen, sei ihnen sofort klar gewesen, dass dies "klare Züge der Reichsbürger trägt". "Es werden zielgenau bestimmte Menschen angesprochen oder angeschrieben, um diese in einer bestimmten Situation zu verunsichern", so Steinmeyer.
Alles, was man bekommen habe, sei nunmehr unterwegs nach Bielefeld. Staatsschutz und anschließend Staatsanwaltschaft werden die Schreiben einschließlich des Flyers daraufhin untersuchen, ob hier eine strafrechtlich zu verfolgende Handlung begangen worden sei. Erst wenn dies positiv beantwortet worden sei, könne man Strafanzeige erstatten. Steinmeyer bestätigte, dass sich im Inhalt des Anschreibens und des beigelegten Flyers Formulierungen finden, die "in der Reichsbürger-Szene üblich sind". So wird das "Amt Harlinghausen" als "Hoheitsgebiet" entsprechend der UN-Charta Kapitel 73-792 bezeichnet.
Außerdem sei von der "Firma Bundesrepublik Deutschland" und der "Firma Bundesgesundheitsministerium" die Rede. Üblich sei auch, den Betroffenen Rechtsunsicherheit zu vermitteln oder ein schlechtes Gewissen einzureden. Steinmeyer verwies in diesem Zusammenhang auf den Satz: "Sie haben hiermit für die Folgen der Impfungen geradezustehen".
Reichsbürger
Reichsbürger sind Einzelpersonen oder Gruppierungen, die aus unterschiedlichen Motiven - unter anderem unter Berufung auf das historische Deutsche Reich, Verschwörungstheorien oder ein selbst definiertes Naturrecht - die Existenz der Bundesrepublik Deutschland und deren Rechtssystem ablehnen. Sie sprechen den demokratisch gewählten Repräsentanten die Legitimation ab oder definieren sich in Gänze als außerhalb der Rechtsordnung stehend.
Bildunterschrift: Zum Masernschutzgesetz hat ein Reichsbürger Kitas und Schulen angeschrieben.
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Neue Westfälische - Herforder Kreisanzeiger, 05.03.2020:
So viele Reichsbürger zählen Ermittler im Kreis Herford
In einer Antwort auf eine Anfrage gibt das Innenministerium Einblicke in die Szene - und zeigt, in welcher Kommune die meisten Mitglieder ansässig sind
Lukas Brekenkamp
Kreis Herford. Sie bestreiten die Existenz der Bundesrepublik, lehnen deren Rechtsordnung ab oder können gar zu einer Gefahr werden. Besonders im Kreis Herford sollen in Ostwestfalen-Lippe viele Reichsbürger und Selbstverwalter ansässig sein, wie es von Seiten des Staatsschutzes heißt. Nun hat das NRW-Innenministerium in einer Antwort auf eine Anfrage der SPD konkrete Zahlen veröffentlicht.
Demnach zählen das Landeskriminalamt (LKA) sowie der NRW-Verfassungsschutz kreisweit 105 Reichsbürger und Selbstverwalter - die meisten in Herford selbst (34). Auch in Löhne (30) und Bünde (20) scheinen viele Reichsbürger und Selbstverwalter ansässig zu sein. In Hiddenhausen wurden derweil fünf Personen dieser Szene gezählt, jeweils vier weitere in Vlotho, Kirchlengern und Rödinghausen. In Enger soll es drei Reichsbürger und Selbstverwalter geben, in Spenge einen.
Eine dieser Personen aus Bünde verfüge außerdem über eine waffenrechtliche Erlaubnis in Form eines Kleinen Waffenscheins. In der Antwort heißt es: "Ein Verfahren zum Entzug der waffenrechtlichen Erlaubnis konnte bisher nicht eingeleitet werden, da in diesem Fall die Erkenntnisse nicht ausreichen, um einen gerichtsfesten Widerrufsbescheid zu erlassen. Die Zuverlässigkeit der betroffenen Person wird jedoch mindestens einmal jährlich geprüft."
Im gesamten Kreis Herford gebe es außerdem insgesamt 4.637 waffenrechtliche Erlaubnisse (Waffenbesitzkarte sowie Kleiner Waffenschein).
Wie der Staatsschutz Bielefeld vor wenigen Wochen auf Anfrage vonnw.de mitteilte, sind aktuell insgesamt 264 Reichsbürger und Selbstverwalter in OWL ansässig. Zum Vergleich: 2018 waren es nach Angaben der Polizei noch 241 Menschen in OWL, die zum Kern dieser Szene gezählt wurden.
Insgesamt seien in der Region bei 456 Personen Hinweise bekannt, die auf die Zugehörigkeit der Reichsbürger- sowie Selbstverwalter-Szene schließen ließen.
Der Staatsschutz betont, dass man jeden Hinweis prüfe. Derweil zählen LKA und NRW-Verfassungsschutz in Nordrhein-Westfalen insgesamt etwa 3.200 Reichsbürger. Im Vergleich zum Vorjahr stagniere die Zahl aber, heißt es in der Antwort. Zuvor waren die Zahlen zwischen 2016 und 2018 deutlich gestiegen: Vor vier Jahren wurden demnach NRW-weit 2.000 Reichsbürger gezählt. "Dass die Zahlen nun stagnieren, lässt darauf schließen, dass die repressiven Maßnahmen der Polizeibehörden bei Straftaten, die Aufklärung über Personen und Aktionen der Szene durch den Verfassungsschutz sowie konsequentes Vorgehen der kommunalen Behörden im Umgang mit Reichsbürgern und Selbstverwaltern Wirkung zeigen", heißt es in der Antwort des Ministeriums.
Bildunterschrift: Das Landesinnenministerium zählt aktuell 105 Reichsbürger im Kreis Herford. Im Jahr 2014 gab’s noch in Löhne die "Botschaft Germanitien". Dieses Fantasiegebilde ist aber längst Geschichte.
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Mindener Tageblatt, 14.01.2020:
Keine Entwarnung
Die Polizei schreitet gegen Reichsbürger ein / Doch immer noch gibt es ein besonderes Problem
Frank Hartmann und Stefan Koch
Minden / Lübbecke. Mit einer Kleinen Anfrage hatte sich die Mindener SPD-Landtagsabgeordnete Christina Weng über die Zahl der den Ermittlungsbehörden bekannten Reichsbürger und Selbstverwalter im Kreis Minden-Lübbecke im vergangenen Jahr informiert. Demnach waren von den NRW-weit etwa 3.200 Anhängern dieser Bewegungen 81 im Mühlenkreis ansässig - mit 20 die meisten in Porta Westfalica sowie in Minden (18) und Bad Oeynhausen (9), wie aus der schriftlichen Antwort der Landesregierung hervorging. "Ich werde das Problem weiter im Auge behalten, weil es mir nicht einleuchtet, dass es immer noch bekannte Personen aus der rechtsextremen Szene gibt, die Waffen besitzen", erklärte Weng gestern auf MT-Anfrage.
Im Kreisgebiet wohnt mehr als nur der eine, wegen zahlreicher bis heute verschwundener Waffen polizeibekannte Reichsbürger aus Stemwede, der keiner sein will, obwohl er diverse der für diese Personengruppe typischen Thesen vertritt. Unter anderem, dass Deutschland noch besetzt sei und das Recht der Alliierten gelte. Auch verweigert er Richtern die Anerkennung, es sei denn, sie können ihm beweisen, dass sie tatsächlich für ein Gericht tätig sind und nicht für eine Firma.
Die Zahlen, die Weng erhalten hatte, stammten vom August vergangenen Jahres und bezogen sich auf Personen, die die Existenz der Bundesrepublik Deutschland und deren Rechtssystem ablehnen und demokratisch gewählten Repräsentanten die Legitimation absprechen. Im Lübbecker Land leben die meisten von ihnen in Espelkamp (6), gefolgt von Hüllhorst, Pr. Oldendorf und Stemwede (jeweils 4), sowie Rahden (3) und Lübbecke (2).
Auch zu Wengs Nachfragen nach Waffenbesitz von Reichsbürgern enthielt die Antwort des NRW-Innenministeriums Informationen. Demzufolge ist der Kreispolizeibehörde ein Reichsbürger bekannt, der über eine waffenrechtliche Erlaubnis in Form eines Kleinen Waffenscheins verfügt. Seit 2016 wurden drei Verfahren zum Widerruf der waffenrechtlichen Erlaubnis im Mühlenkreis eingeleitet und fünf davon bestandskräftig widerrufen.
Etliche Personen aus der rechtsextremen Szene besitzen registrierte Waffen
Aufgefallen waren Reichsbürger beispielsweise in der Pr. Oldendorfer Nachbarkommune Bad Essen, wo sie im Januar 2017 mit Flugblättern für sich warben, die sie anonym verteilt hatten. Auf dem Flugblatt riefen die Verfasser unter anderem dazu auf, einen "Staatsangehörigkeitsausweis" zu beantragen. Diesen für 25 Euro auszustellen boten die Reichsbürger an. "Der Bundespersonalausweis oder der deutsche Reisepass sind kein Nachweis über den Besitz der deutschen Staatsangehörigkeit. Sie begründen lediglich die Vermutung, dass der Ausweisinhaber die deutsche Staatsangehörigkeit besitzt", so die Argumentation.
Zu einem gravierenden Vorfall war es in Bad Essen ein Jahr zuvor gekommen. Im Februar 2016 war ein Gerichtsvollzieher von einem Reichsbürger mit einem Baseballschläger angegriffen worden. Bei der folgenden Gerichtsverhandlung wurde der Mann zu einer Bewährungsstrafe verurteilt. Auch dessen Ehefrau ist seitdem wegen Widerstandes gegen Vollstreckungsbeamte vorbestraft.
Wie ein langjähriger Beobachter der extremen rechten Szene auf MT-Anfrage erklärte, sei im Raum Ostwestfalen-Lippe von einer Zahl von 470 bis 490 Reichsbürgern auszugehen - das prominenteste Mitglied sei die zur Zeit inhaftierte Holocaust-Leugnerin Ursula Haverbeck.
Keineswegs handele es sich bei Reichsbürgern und so genannten Selbstverwaltern um harmlose Spinner. "Bei vielen ist eine Affinität zu Waffen festzustellen."
Auch zwei in Minden lebende Reichsbürger waren bereits zum Problem geworden, wie ein Bericht eines Polizeibeamten im Ausschuss für Bürgerdienste, Sicherheit und Feuerschutz im vergangenen Jahr ergab. Weitere Details wurden bislang von der Mindener Polizei nicht bekannt gegeben. Ende April 2016 hatten 60 Beamte ein von Reichsbürgern illegal besetztes Haus in Porta Westfalica-Hausberge ausgehoben und den rund 30 Personen einen Platzverweis erteilt. Wie der Rechtsextremismus-Experte festgestellt hat, ließ sich ein Teil der Mitglieder im benachbarten Landkreis Schaumburg nieder. Andere waren in die fünf neuen Bundesländer abgewandert.
Bildunterschrift: Im April 2016 räumte die Polizei mit einem Großaufgebot ein verkauftes Haus in Hausberge, aus dem Reichsbürger nicht ausziehen wollten.
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Am 27. Februar 2020 bezifferte das Ministerium des Innern des Landes Nordrhein-Westfalen die "Zahl der Reichsbürger und Selbstverwalter" im Kreis Herford mit 105, 34 in der Stadt Herford, Drucksache 17/8725.
Am 2. Dezember 2019 bezifferte die Landesregierung von Nordrhein-Westfalen (17/8039), die Anzahl von "Reichsbürgern" und "Selbstverwaltern" im Kreis Minden-Lübbecke mit 81 - hiervon 20 in Porta Westfalica.
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www.landtag.nrw.de/Dokumentenservice/portal/WWW/dokumentenarchiv/Dokument/MMD17-8725.pdf
www.landtag.nrw.de/Dokumentenservice/portal/WWW/dokumentenarchiv/Dokument/MMD17-8039.pdf
www.minden-luebbecke.de/Service/Integration/NRWeltoffen
www.gegenrechts.info
www.mobile-beratung-owl.de
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