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Westfalen-Blatt , 09.03.2020 :

"Brandgefährlich"

Vor einem Monat wurde die "Gruppe S." festgenommen - Wie weit reichen ihre Verbindungen?

Von Gregor Mayntz

Berlin / Minden (WB). Intelligent sollten sie sein, dazu "hart", "brutal" und "schnell". Jene Männer, die der 53-jährige Werner S. nach dieser, in abgehörten Gesprächen geäußerten Qualifikation um sich scharte, um nicht länger nur Hass und Hetze schriftlich und mündlich zu verbreiten. Sie sollten töten: In kleinen Teams Moscheen an kleineren Orten in zehn Bundesländern stürmen und mit Pistolen und Granaten überall Blutbäder anrichten. Wie weit war es von dieser Theorie zur Tat?

Armin Schuster (CDU), als Chef des geheim tagenden Parlamentarischen Kontrollgremiums einer der bestinformierten Politiker Deutschlands auf dem Gebiet drohender Gefahren, kommt zu einer doppelten Einschätzung. Einerseits seien der mutmaßliche Anführer und seine "Gruppe S." sehr früh unter Behörden-Kontrolle gewesen. Deshalb habe auch nicht die Gefahr eines kurz bevorstehenden Anschlages bestanden. Auf der anderen Seite gelte inzwischen aber auch eines als gesichert: "Prinzipiell muss man die Gruppe als brandgefährlich einschätzen", so Schuster.

Offenbar kamen die Behörden dem immer größer werdenden Terror-Risiko von zwei Seiten mehr oder weniger gleichzeitig auf die Spur. Als ein erstes Treffen im September vergangenen Jahres an der Hummelgautsche, einem Freizeittreffpunkt neben einer alten Mühle rund 50 Kilometer von Stuttgart, begann, standen die Männer bereits unter Beobachtung. Denn einer von ihnen soll von den Behörden bereits als "Gefährder" geführt worden sein, also als ein besonders gefährlicher Extremist, dem jederzeit eine Anschlagsplanung zugetraut wurde.

Bis zu diesem Herbsttag sollen die Männer sich vor allem aus dem Internet und nicht persönlich gekannt haben. Sie seien sich, so die Ermittler, aber schnell einig gewesen, gegen die Demokratie aktiv zu werden und sich dafür - jeder für sich - in Schießübungen fit zu machen.

Wenig später meldete sich einer der Internet-Chat-Partner bei den Behörden, weil ihm die Radikalisierung doch zu heftig ausfiel. Das mag die Erklärung dafür sein, dass der Generalbundesanwalt gegen 13 Personen wegen Bildung und Unterstützung einer terroristischen Vereinigung ermittelte, aber nur für zwölf von ihnen Haftbefehle beantragte. Mit dem 13. soll schon früh über ein Zeugenschutzprogramm gesprochen worden sein.

Der Anwalt von Werner S. bestreitet dessen Rädelsführerschaft. Und er verstärkt auch Zweifel, wie konkret Tatort-Planungen bereits waren und wie weit die Gruppe mit ihrer Bewaffnung gekommen war. Genau das hatte der Generalbundesanwalt aufklären wollen, als er Mitte Februar die zwölf Männer festnehmen und ihre Wohnungen durchsuchen ließ. Es war von selbst gebauten Handgranaten, einer scharfen Pistole vom Kaliber 9 Millimeter, von Messern, Dolchen und einer Armbrust die Rede. Bundesinnenminister Horst Seehofer sprach mit Bezug auf Durchsuchungen von Handgranaten, Sprengstoff und Kalaschnikows.

Die Ermittler fahnden nun vor allem im Umfeld der Festgenommenen, in der Prepper- und Reichsbürger-Szene, aber auch in den Behörden selbst. Einer der Inhaftierten arbeitete als Verwaltungsmitarbeiter der Polizei in Hamm. Derzeit prüfen die Behörden, ob es unter seinem Einfluss Unregelmäßigkeiten bei der Vergabe von Waffenerlaubnissen gab. Die größte "Unregelmäßigkeit" besteht offenkundig schon darin, dass er mehrfach mit rechtsextremistischen Signalen auffiel, ohne dass dies zu schwereren Konsequenzen als Ermahnungen führte. Bei Recherchen fanden sich nun sogar einschlägige Aufforderungen, die der Polizei-Mitarbeiter geteilt haben soll - darunter die Aussage, man müsse von Zeit zu Zeit Terror-Anschläge verüben.

Aus den abgehörten Gesprächen ergibt sich das Bild einer von Gewaltphantasien getragenen Stimmung innerhalb der Gruppe. Die Mitglieder sollen sich gegenseitig versichert haben, Hunderte, wenn nicht gar Tausende bewaffneter Gesinnungsgenossen mobilisieren zu können. Das hing mit ihrem Plan zusammen, mit den Massenmorden in Moscheen gewaltsame Reaktionen von Muslimen loszutreten, diese wieder zu rechtsterroristischen Antworten zu nutzen, um so einen Bürgerkrieg in Deutschland auszulösen. In einzelnen Gesprächen sollen Gruppenmitglieder, die selbst Väter waren, keine Skrupel beim Töten von muslimischen Kindern geäußert und auch das Szenario von Selbstmord-Feldzügen entwickelt haben.

Auch Schuster spricht von "ex­trem rassistischer Kommunikation" sowie von "bürgerkriegsähnlichen Gewaltphantasien bis hin zur märtyrerhaften Opferbereitschaft", die die besondere Gefahr der Gruppe ausgemacht hätten. Insofern könne man bei der Gefährlichkeit dieser Personen kaum einen Unterschied zu islamistischen Gefährdern erkennen. Als wichtige Aufgabe sieht es Schuster nun an, die Verbindungen in weitere Netzwerke zu ermitteln. S. - im Netz auch als "Teutonico" bekannt - soll über eine Chat-Gruppe namens "Freikorps Heimat" viele Kontakte gesammelt haben.

In Freikorps hatten sich nach dem Ende des Ersten Weltkrieges ehemalige Frontsoldaten gesammelt. Sie schlugen revolutionäre Aufstände blutig nieder und machten aus ihrer völkischen Gesinnung keinen Hehl. Sie beteiligten sich am Kapp-Lüttwitz-Putsch, gingen zu einem Teil auch in eine geheime Organisation, die demokratische Politiker der Weimarer Republik ermordete. Somit kommt auch durch diese Namensgebung zum Ausdruck, was der Gruppe S. vorschwebte und wie gefährlich sie war.

Beschuldigte kommen aus sechs Bundesländern

Die Beschuldigten kommen aus 13 Orten in Baden-Württemberg, Bayern, Niedersachsen, Nordrhein-Westfalen, Rheinland-Pfalz und Sachsen-Anhalt. Sie sind alle deutsche Staatsangehörige. Treffen gab es außer auf dem Grillplatz in Alfdorf (Baden-Württemberg) auch in Minden. Hinter bürgerlicher Fassade und bei Kartoffelsalat mit Würstchen sollen die Mitglieder ihre Terror-Fantasien entwickelt haben. Sie gingen dabei offenbar auch schon konspirativ vor, indem sie sich darauf verständigten, ihre Handys außerhalb des Raumes zu deponieren, um nicht abgehört werden zu können.

Geldsammlungen für die Waffenbeschaffung waren offenbar im Gange. Etliche Mitglieder sollen Beiträge von 5.000 Euro zugesagt haben, um die ersten Attentate vorbereiten zu können.

Die potenziellen Tatorte waren möglicherweise noch nicht ausgekundschaftet. Mehrere Mitglieder sollen sich auch in Berlin zusammen umgesehen haben. Es war davon die Rede, sich in kleineren Orten Moscheen zu suchen, um Anschläge wie in Christchurch zu begehen. In der neuseeländischen Stadt hatte im März 2019 ein Rechtsterrorist in zwei Moscheen 51 Menschen getötet.

Bildunterschrift: In Minden wurde im Februar ein Mitglied (mit Handtuch über dem Kopf) der als extrem gefährlich eingestuften "Gruppe S." festgenommen.

Bildunterschrift: Einer der Festgenommenen wird in Karlsruhe zu einem Haftrichter des Bundesgerichtshofs (BGH) gebracht.

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Süddeutsche Zeitung Online, 06.03.2020:

Rechtsextremismus / Der Traum vom Krieg

06.03.2020 - 11.28 Uhr

Bei Kartoffelsalat und Bockwurst besprachen die Mitglieder der Terror-Gruppe S. offenbar, wie man Deutschland in den Abgrund stürzen könnte. Von Wutbürgern, die zu Terroristen werden.

Von Florian Flade, Lena Kampf, Georg Mascolo und Nicolas Richter

Die Planungen für den Untergang begannen an einem Tag im Februar. Drei Männer trafen sich im ostwestfälischen Minden und gingen erst mal zur Imbissbude. Einer nahm wohl Currywurst, der nächste Currywurst mit Pommes, der dritte Bratwurst. Besonders die Currywurst soll gut gewesen sein, sagte einer der Beteiligten später der Polizei.

Den Erzählungen des Zeugen zufolge soll einer der drei Männer dann zu sich nach Hause eingeladen haben. Sie wurden von der Frau des Gastgebers herzlich begrüßt. Drinnen setzten sie sich an einen Tisch und tranken eine beachtliche Auswahl an Met, einem Honigwein, den manche mit germanischen Göttern in Verbindung bringen, sagte der Zeuge. Der Gastgeber soll dann noch eine Sammlung alter Äxte vorgeführt haben, Äxte, wie die Germanen sie angeblich benutzten, mit kurzen und langen Stielen, höllisch scharf. Dann gab es selbstgemachten Kartoffelsalat und Bockwürstchen, von der Ehefrau serviert.

Das konspirative Treffen, das offenbar eine Welle der Gewalt und den Zusammenbruch der gesellschaftlichen Ordnung Deutschlands einläuten sollte, fand dann am späten Vormittag des nächsten Tages statt. Der Gastgeber, Inhaber einer Fliesenlegerfirma, führte zwei liebevoll restaurierte Oldtimer vor. Und seine Frau holte Brötchen.

Zu dem Treffen waren ein Dutzend Männer aus ganz Deutschland angereist. Einer soll sich als Sergeant-at-arms vorgestellt haben, ein anderer gehörte offenbar der Bürgerwehr "Wodans Erben" an. Auch der mutmaßliche Rädelsführer war dabei, ein Mann, der sich "Teutonico" nannte. Die Verschwörer sollen sich zunächst darauf geeinigt haben, ihre Handys in einem anderen Zimmer abzulegen, damit niemand sie abhören konnte. Dann schmiedeten sie offenbar den Plan, eine Anschlagsserie auf Moscheen zu verüben, um einen Bürgerkrieg auszulösen.

In Chat-Gruppen sehnen sie sich nach dem "Tag X" und einem Bürgerkrieg

Die Beteiligten flogen auf, die Bundesanwaltschaft ließ am frühen Morgen des 14. Februar zwölf Männer im Alter zwischen 31 und 60 Jahren festnehmen, kurz darauf hat der Bundesgerichtshof Haftbefehle erlassen wegen Verdachts der Gründung einer terroristischen Vereinigung.

Seitdem sitzen die Männer um "Teutonico" in Untersuchungshaft. Im Haftbefehl heißt es, sie hätten die Bevölkerung und deren demokratisch gewählte Vertreter erheblich einschüchtern und die Bundesrepublik schwer schädigen wollen.

Ob die "Gruppe S.", wie dieser Terror-Zirkel in Anlehnung an den mutmaßlichen Rädelsführer Werner S. genannt wird, jemals einen Anschlag verübt hätte, ist unklar. Bei den Durchsuchungen wurden, neben zahlreichen Schwertern, Äxten und Wurfsternen, eine scharfe 9-mm-Pistole und eine selbstgebaute Waffe gefunden. Aber allein die Vorgespräche, überliefert durch eine Zeugenaussage, durch abgehörte Telefonate sowie Internet-Chats, klangen so beunruhigend, dass sich die Sicherheitsbehörden für einen schnellen Zugriff entschieden. Wie entschlossen die potenziellen Terroristen waren, zeigt sich daran, dass die Gruppe offenbar genug Kapital für eine Anschlagsserie in Höhe von 50.000 Euro zusammenbekommen hätte: Etliche Mitglieder der mutmaßlichen Terror-Zelle sollen dem Zeugen zufolge ohne Zögern je einen Beitrag von 5.000 Euro für die Kriegskasse versprochen haben. Damit wollten sie demnach Waffen kaufen. Pistolen vom Typ "Tokarev" etwa in Tschechien. In überwachten Telefonaten sollen die mutmaßlichen Rechtsterroristen dafür Codewörter benutzt haben. Sie sprachen von "Elektroroller" oder "Akku".

Kartoffelsalat, Oldtimer, 5.000-Euro-Zuschüsse: Die Gruppe S. war jedenfalls nicht das Projekt eines rassistischen und womöglich psychisch gestörten, allein handelnden Täters wie das von jenem, der jüngst in Hanau elf Menschen ermordet hat, und es war auch nicht das Projekt von mittellosen Randfiguren. Vielmehr wirkt die Gruppe S. wie die sehr gefährliche Gewaltfantasie deutscher Kleinbürger. Es ist ein Terror, der nicht vom Rand der Gesellschaft ausgeht, sondern aus ihrer Mitte kommt.

Wer mit Menschen redet, die das Land vor rechtem Terror schützen sollen, hört die Sorge heraus. Und die Ratlosigkeit. Die rechte Szene sei gewaltbereit wie selten zuvor, heißt es, und sie sei inzwischen aufgewühlt und unübersichtlich. Man habe es, grob gesagt, mit drei unterschiedlichen Tätertypen zu tun.

Da sind die Mörder von Christchurch, Halle oder Hanau. Sie handeln allein, ihr krudes Weltbild entspringt oft den Untiefen des Internets. Sie basteln sich eine eigene Ideologie zusammen, aus Rassismus, Antisemitismus, häufig auch aus Hass auf Frauen. Und fast immer glauben sie an die Verschwörungstheorie vom großen Bevölkerungsaustausch, wie sie auch die AfD verbreitet.

Dann gebe es, warnen Staatsschützer, auch noch organisierte Gruppen, die rechten Terror propagieren. Etwa die jüngst durch das Bundesinnenministerium verbotene Vereinigung Combat 18, oder neue Terror-Zellen wie die "Atomwaffen Division" und "Feuerkrieg Division".

Und dann sind da Typen wie in der Gruppe S., ein schwer zu greifendes Milieu aus "Reichsbürgern", Rockern, selbsternannten Germanen, Preppern und Angehörigen von Bürgerwehren. Aus Wutbürgern werden Terroristen. Sie tauschen sich vor allem über das Internet aus, bilden Chat-Gruppen, sehnen sich den "Tag X" und einen Bürgerkrieg herbei. Und bestärken sich gegenseitig in der Überzeugung, endlich handeln zu müssen. Eine mörderische Agenda, wie sie einst der NSU proklamierte: Taten statt Worte.

Das erste Treffen der Gruppe S. soll Ende September vergangenen Jahres im Naturpark Schwäbisch-Fränkischer Wald stattgefunden haben, an der Hummelgautsche, einer alten Sägemühle. Was einer der Anwesenden später der Polizei erzählte, klang so, als hätte sich ein heterogener Zirkel aus harten Jungs und martialisch veranlagten Kleinbürgern zu einem Abenteuer-Wochenende verabredet. Einer kam demnach in einem schwarzen Pick-up und brachte einen Jagdhund mit, andere sollen bewaffnet gewesen sein. Ein früherer Fallschirmjäger hatte eine schusssichere Weste dabei, ein anderer soll seine Kinder dabeigehabt haben, sie sollen etwas abseits am Grillfeuer gestanden haben.

S. soll einen weißen Pitbull haben, der auf alles losgeht, sobald er "Schwarz" sagt

Dem Zeugen zufolge schossen die Männer mit Pfeilen auf eine Holzhütte und schleuderten Äxte auf Baumstämme. Der mutmaßliche Anführer, der 53-jährige Werner S., der aus einem Dorf bei Augsburg kommt und den alle "Teutonico" nannten, erklärte offenbar, dass jeder in der Gruppe künftig selbständig den Umgang mit verschiedensten Waffen üben müsse. Man merke S. seine militärische Ausbildung an, sagte der Zeuge über ihn. S. soll einen weißen Pitbull abgerichtet haben, der auf alles losgehe, sobald S. das Wort "Schwarz" sage.

Die Bundesanwaltschaft hält Werner S. für den Kopf der mutmaßlichen Terror-Zelle. Er soll in allen Fragen das letzte Wort gehabt haben und fiel vor allem durch seine vielen Kontakte im rechtsextremistischen Milieu auf. Sein Anwalt hingegen, der Strafverteidiger Felix Dimpfl, sieht keine Rädelsführerschaft. Im Umfeld von S. heißt es, er sei nicht rechtsextrem, es habe keine ernsthafte Bewaffnung der Gruppe oder konkrete Anschlagsziele gegeben. Nach Erkenntnissen der Ermittler konnte S. jedoch mit Hilfe unterschiedlicher Chat-Gruppen im Netz schnell Kontakt zu Gleichgesinnten in ganz Deutschland herstellen. Eine Chat-Gruppe, die er Ende 2019 gründete, hieß "Freikorps Heimat", andere "Der harte Kern" oder "Besprechungszimmer". Die Ermittler vermuten, S. hätte durch seine Vernetzung eine große Zahl von Personen mobilisieren können. Beim ersten Treffen an der Hummelgautsche soll ein Vertrauter von S. gesagt haben, über einen Aufruf per E-Mail ließen sich 2.500 teils bewaffnete Personen erreichen.

In dem Chat "Freikorps Heimat", der später in "I.-ZUG-HEIMAT" umbenannt wurde, ließ S. erkennen, dass er nicht nur extremistisch dachte, sondern auch zu Taten übergehen wollte. Er suchte offensichtlich Männer, die körperlich fit und militärisch erfahren waren, und er wollte mit ihnen ausdrücklich nicht nur an Demos teilnehmen, sondern, wie er düster formulierte, bevorstehende Anforderungen bewältigen. In diesem Jahr, schrieb er Anfang Februar, gebe es keine Ausreden mehr, es werde nun gehandelt.

Seine Rekruten, die er in den Chats oft "Kameraden" nannte, stammten aus einem einschlägigen Milieu. Beim Treffen an der Hummelgautsche erschienen, sagte der Zeuge später, mehrere Männer aus "Freikorps" in Niedersachsen, Bayern, Sachsen oder etwa aus der Gruppe "Wodans Erben", einer Bürgerwehr, die vom Verfassungsschutz beobachtet wird. Ein Anwesender soll gesagt haben, er sei zu allem bereit, um das "Deutsche Reich" zu schützen. Die "Bundesrepublik" gebe es für ihn nicht.

Niemand weiß, ob die Gruppe jemals einen Anschlag verübt hätte. Aber bei den Durchsuchungen fanden die Beamten eine 9mm-Pistole, Schwerter, Äxte.

Den Ermittlern bot sich ein diffuses Bild: Die Clique, die sich offenbar für einen Bürgerkrieg rüstete, den sie selbst auslösen wollte, bestand aus Rechtsextremen, die immer wieder mal in den Fokus der Behörden geraten waren. Bei rechten Aufmärschen, durch Gewaltdelikte oder durch ihre Verbindungen zu Neonazi-Gruppierungen. Manche aber waren unbekannt, unbescholtene Bürger. Sogar ein Mitarbeiter der Polizei in Hamm war mit dabei.

Seinen Kollegen war der Beamte immer wieder aufgefallen. Er posierte gerne in Germanenkluft, mit Fellmütze und Schwert. Aber das alles war wohl nicht nur harmlose Spielerei. Im Internet soll der Verwaltungsbeamte, der zeitweise auch in einer Abteilung für die Vergabe von Waffenscheinen tätig war, Polizisten dazu aufgerufen haben, endlich ihre Dienstwaffen zu benutzen oder weiterzugeben, damit man diese gegen "Gesindel" einsetzen könne.

Eine der wichtigsten Figuren im Fall der Gruppe S. ist ein weiterer Mann, der wohl keine Führungsfigur war, sondern eher braver Fußsoldat. Und gleichzeitig ein Informant der Polizei. Da er bei allen Treffen der Gruppe S. dabei war, sind es vor allem seine Berichte, die ein Bild der Verschwörer und ihrer Pläne zeichnen. Die Gruppe traf sich demnach nicht noch mal an der Hummelgautsche, weil sie sich dort gestört fühlte durch Spaziergänger, Pfadfinder, Senioren. Stattdessen kam es Anfang Februar zu einem Treffen von 13 bis 15 Männern im ostwestfälischen Minden, wo einer der Beschuldigten sein Haus zur Verfügung stellte.

Der Zeuge hat der Polizei später ausführlich geschildert, welcher Plan dort beredet wurde. Demnach hatten die mutmaßlichen Terroristen vor, verschiedene Moscheen in kleineren Orten anzugreifen. Sie hätten mit Schusswaffen und Granaten in die Gebetshäuser eindringen und richtige Massaker anrichten wollen, ohne Rücksicht auf Frauen und Kinder. Sie hätten Dutzende, vielleicht Hunderte Tote und Verstümmelte zurückgelassen. Die Gräueltaten, soll Rädelsführer S. gesagt haben, sollten etwas auslösen, nämlich offenbar organisierte Gegengewalt durch Muslime in Deutschland. Dies wiederum hätte eine Gegenreaktion der Nicht-Muslime entfesseln und letztlich zu einem Bürgerkrieg führen sollen. Von "fanalartigen Straftaten" sprechen die Ermittler.

Es sind Fantasien von suizidalem Terrorismus. Das kannte man bislang nur von Islamisten

Dem Zeugen zufolge sollte sich die Rolle der Gruppe S. darauf beschränken, die Kettenreaktion auszulösen. Die Vorgabe von S. sei es gewesen, etwas anzustoßen, den Boden zu bereiten für einen Notstand, in dem irgendwann das Militär eingreifen müsse. Was genau passieren sollte, konnte auch der Zeuge nicht erklären. Werner S. habe gesagt, man solle sich nicht zu viele Gedanken über die Zukunft machen.

Der Zeuge wirkte bei seinen Vernehmungen, die teilweise auf Video aufgenommen wurden, gesundheitlich labil und in seinen Schilderungen zeitweise konfus. Nicht alles, was er sagt, muss stimmen, es könnte sein, dass er sich wichtig macht. Er ist vorbestraft, verbrachte Jahre in Gefängnissen und psychiatrischen Kliniken - wegen räuberischer Erpressung und weil er einen Polizisten als Geisel genommen hatte. Als Kind lebte der Mann in Heimen, soll sexuell missbraucht worden sein, landete zeitweise auf dem Straßenstrich.

"Es muss untersucht werden, ob er als Agent Provocateur aufgetreten ist", sagt der Anwalt von Werner S. über den Polizeispitzel. Aber viele seiner Aussagen konnten die Ermittler überprüfen, und zum Teil decken sich seine Schilderungen auch mit dem Inhalt von abgehörten Telefonaten oder überwachten Internet-Chats. In einem Chat schwärmt einer der Verschwörer, dessen Weltbild um "Reichsbürgertum" und germanische Mythologie kreist, wie sehr er sich mit dem mutmaßlichen Rädelsführer S. verbunden fühle. Und er deutet an, dass er durchaus bereit sei, für die gemeinsamen Ziele zu sterben. Er sei ein Heide, der nach Walhall wolle. Walhall ist in der nordischen Mythologie die Ruhestätte für gefallene Helden. Im Chat antwortet Werner S., er werde sein Ziel vermutlich schneller erreichen, als es ihm lieb sei.

Es sind Fantasien von suizidalem Terrorismus, wie man ihn sonst vor allem von Islamisten kannte. Rassen-Krieg statt Dschihad, Walhall statt Paradies, Odin statt Allah. Auch diese augenscheinliche Opferbereitschaft der Rechten war es, die die Ermittler aufhorchen ließ. Die Sorge war groß, dass es sehr schnell gehen könnte mit dem Terror: Vielleicht gelingt der Gruppe keine Anschlagsserie, was aber, wenn einer trotzdem allein zuschlagen will? Einer, der so weit radikalisiert ist, dass er sich den eigenen Tod bei einer solchen Tat geradezu herbeisehnt? Es soll auch das Wort "Sprengstoffweste" gefallen sein in einem abgehörten Telefonat.

In der Gruppe S. soll es eine kontroverse Debatte gegeben haben über das, was nach den Anschlägen auf die Moscheen passieren würde. Der Zeuge sagte später der Polizei, man habe sich über Fluchtwege unterhalten, um sich nach den Gewalttaten selbst in Sicherheit zu bringen. Manche hätten sich weniger Sorgen um die eigene Sicherheit gemacht als um die ihrer Frauen und Kinder. Werner S. soll deswegen "grantig" geworden sein und habe darauf gedrungen, dass es jetzt passieren müsse. Was danach komme, sei weniger wichtig, Hauptsache, der Stein komme ins Rollen. Wenn sich die Gruppe nicht einigen könne, mache er es eben alleine.

Ihre eigenen Kinder wollten sie schützen, die Kinder der anderen wollten sie töten, sagt der Zeuge

In den Vernehmungen durch die Polizei sprach der Zeuge auch darüber, warum er sich als Informant zur Verfügung gestellt hatte. Er litt offenbar darunter, ein Verräter zu sein, die Mitglieder der Gruppe seien ja auch nur Menschen mit Frauen und Kindern, zu denen er eine Beziehung aufgebaut habe. Menschen, die ihn herzlich aufgenommen und bewirtet hätten, und denen er nun in den Rücken falle.

Doch offenbar war der Abscheu vor den geplanten Gräueltaten der Gruppe S. größer als das Unbehagen über den Verrat.

Dem Zeugen zufolge war die Widersprüchlichkeit der Figuren in der Gruppe S. augenfällig. Er sagte, sie seien ja keine Psychopathen gewesen, sondern Menschen mit Familien, die auch Gefühle hätten. Aber sie hätten eben andererseits auch diese Meinung über Fremde oder Andersgläubige, und da seien sie in ihrer Ablehnung eben knallhart. Der Zeuge wirkte verwundert, fast verstört darüber, wie die Männer in der Gruppe umschalten konnten zwischen Menschenfreund und Menschenfeind. Wie sie einerseits Kleinkinder zu Hause hatten und diese beschützen wollen, und wie sie andererseits darüber fantasiert hätten, in eine Moschee zu stürmen und die Kinder anderer umzubringen.

Und vielleicht liegt genau hier auch das Problem mit dem neuen Extremismus, dass er aus einem scheinbar heilen Milieu stammt, aus dem Milieu gewöhnlicher Bürger mit Familien, aus dem Milieu von Männern, die sich von der Ehefrau Kartoffelsalat mit Bockwürstchen servieren lassen und wenig später über Massenmord, Umsturz und Bürgerkrieg schwadronieren.

Sie trafen sich und tranken Met und irgendwann soll der Gastgeber seine Äxte vorgeführt haben, mit kurzen Stielen, mit langen Stielen. So sagt es der Zeuge.

Die rechte Szene, warnte vor Kurzem BKA-Präsident Holger Münch, finde heute Anknüpfungspunkte und sogar Akzeptanz in der Mitte der Gesellschaft, "wo früher Springerstiefel und Glatze eher abschreckend gewirkt haben". Es gebe im Internet einen "gewaltigen Resonanzraum" für Hass, Hetze und krudeste Verschwörungstheorien. Gleichzeitig würden Rechtsextremisten heute neue Kommunikationsformen nutzen und sich wesentlich schneller radikalisieren. Es gebe oft nur "lose Kennverhältnisse" und "lockere, teilweise auch virtuelle Netzwerke". So entstehe ein "blinder Fleck" für die Sicherheitsbehörden.

Sowohl das BKA als auch der Verfassungsschutz haben Konzepte vorgelegt, wie der Rechtsextremismus effektiver bekämpft werden soll. Dazu gehört auch eine umfangreichere Internet-Auswertung, um Radikalisierungsfaktoren und Netzwerke besser zu erkennen. Dabei sollen verstärkt "virtuelle verdeckte Ermittler" eingesetzt werden, Verfassungsschützer und Polizisten, die sich unter falscher Identität in den rechten Foren und Chat-Gruppen aufhalten, um dort mögliche Attentäter ausfindig zu machen. Auch die so genannten Mischszenen sollen stärker in den Blick genommen werden, also Szenen, in denen sich auch Rechtsextremisten sammeln, etwa bei Rocker-Klubs oder beim Kampfsport. Wichtig sei auch, das Umfeld solcher Personen zu sensibilisieren, sagt BKA-Chef Münch. Nur so könne eine Radikalisierung frühzeitig erkannt werden.

Innenminister Seehofer sprach am Donnerstag von einer "sehr hohen" Bedrohungslage durch Rechtsextremismus im Land, die durch nichts relativiert werden könne.

Der Zeuge aus der Gruppe S. sagte der Polizei, warum sich seiner Meinung nach so viele Deutsche radikalisieren. Es seien ja eigentlich normale Menschen aus der Mittelschicht, die arbeiten gingen und sich um ihre Familien kümmerten, und die seit der Flüchtlingskrise eben besorgt seien, sich alleingelassen fühlten von der Regierung, und die wegen ihrer Kritik an der Einwanderungspolitik oder wegen ihrer Sympathie für die AfD als Nazis oder Bürger zweiter Klasse abgestempelt würden.

Der Zeuge, der selbst aus Überzeugung zur rechten Szene gestoßen ist, hat der Polizei auch erzählt, warum der Extremismus ihn überzeugt habe. Er sei damals enttäuscht gewesen und zornig, und dann tue sich da eine Gruppe auf mit Gleichgesinnten, in der sich alles Mögliche hochschaukle. Und dann baue man sich eine Welt auf, mit Bruderschaften und dem mythologischen Gott Odin, die es zu verteidigen gelte gegen Feinde. Diese Welt, so schräg sie auf Außenstehende wirken mag, diese Welt, sagt der Zeuge, sie werde in diesem Augenblick Wirklichkeit.

Bildunterschrift: Die abgehörten Telefonate, die Chats, das alles klang so beunruhigend, dass sich die Sicherheitsbehörden für einen schnellen Zugriff entschieden.

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