www.hiergeblieben.de

Lippische Landes-Zeitung , 07.03.2020 :

"Auschwitz der westfälischen Juden"

Die Deportationen nach Lettland und Morde im Bikernieki-Wald von Riga gelten als Auftakt zur Massenvernichtung der Nazis / Von 40 Menschen aus dem Altkreis Lemgo überlebten nur zwei / Manfred Behrend will, dass die Stadt dem Riga-Komitee beitritt

Till Brand

Lemgo. Wer das Stichwort Deportation hört, denkt wohl meist an die unmenschliche Verschleppung von Juden in das Vernichtungslager Auschwitz. Doch das unfassbare Verbrechen der Nazis und ihrer Handlanger im Dritten Reich war mehr als die Todesmaschinerie in Auschwitz-Birkenau. Auf ein weiteres dunkles Kapitel der deutschen Geschichte ist der frühere SPD-Ratsherr und AWO-Chef Manfred Behrend nun bei einer Reise nach Litauen gestoßen. Ab 1941 wurden aus dem Altkreis Lemgo 40 Menschen in das Lager Kowno im Baltikum geschickt. 38 fanden den Tod. Ihrer soll Lemgo künftig gedenken, so der Wunsch von Behrend.

Gilt doch der Transport nach Lettland als erste Juden-Abschiebung aus Ostwestfalen-Lippe während der Nazi-Diktatur, er war quasi Auftakt zur Massenvernichtung. Das Ghetto von Riga wird auch als "Auschwitz der westfälischen Juden" bezeichnet.

Am kommenden Montag soll der Kulturausschuss dem Vorschlag Behrends zustimmen. Er lautet: Die Alte Hansestadt tritt dem Deutschen Riga-Komitee bei. Lemgo verpflichtet sich, für Erhalt und Pflege einer Gedenkstätte im östlich der lettischen Hauptstadt gelegenen Bikernieki-Wald einzustehen. Einmalig sind das 2.000 Euro, wie Annette Paschke-Lehmann als städtische Kultur-Geschäftsbereichsleiterin ausführt.

Eine vergleichsweise geringe Summe, doch als Symbol unbezahlbar, meint Manfred Behrend. Hat sich das Deutsche Riga-Komitee, von 13 Städten vor 20 Jahren unter der Schirmherrschaft von Ex-Bundespräsident Johannes Rau gegründet, doch zur Aufgabe gemacht, an die mehr als 25.000 in und um Riga ermordeten deutschen Juden zu erinnern.

Unterstützer sind der Zentralrat der Juden in Deutschland, die Stadtverwaltung von Riga, der Volksbund Deutsche Kriegsgräberfürsorge und die 1993 in Wien gegründete "Initiative Riga". So wurde bereits kurz nach der Jahrtausendwende an Stelle der einstigen Massengräber eine Gedenk- und Gräberstätte eröffnet.

Als Grundlage dient das Kriegsgräberabkommen zwischen Deutschland und Lettland von 1996. Bei der Pflege der Anlage im Bikernieki-Wald engagieren sich lettische und deutsche Jugendliche gemeinsam. Als Komitee-Mitglied erhält Lemgo in Riga einen Gedenkstein, der namentlich auf die Alte Hansestadt verweist.

"Wir unterstützten den Impuls von Manfred Behrend", bekräftigt Kultur-Chefin Annette Paschke-Lehmann. "Die Brücke nach Riga kann ein weiterer Baustein in unserer Erinnerungskultur sein." Bereits existierende seien beispielsweise das Frenkel-Haus, der Synagogen-Platz, die Stolpersteine und Stadtführungen, die an die Verbrechen der Nazis auch in Lemgo erinnern.

Angesichts der Gräuel, die sich in Riga und auf dem Weg dorthin ereigneten, sei der Beitritt zum Komitee das Mindeste, was Lemgo tun könne, sagt Behrend. So setzte sich der erste Bahntransport mit 812 jüdischen Frauen, Männern und Kindern am 17. November 1941 von Bielefeld aus in Bewegung. Es folgten knapp 30 weitere, hat Manfred Behrend in Erfahrung gebracht.

Während der 60-stündigen Fahrt ins Baltikum, durften die Gefangenen - die Waggons waren von außen verplombt worden - lediglich zwei Mal Trinkwasser nachholen. In Riga angekommen, wurden die Juden von der SS mit Hunden und Peitschen in Empfang genommen, wie es in biografischen Erinnerungen von damals heißt. "Wer nicht schnell genug laufen konnte, wurde sofort erschossen, alte Menschen niedergeschlagen und sofort abtransportiert ... " Auf dem Weg zu den Erschießungsgruben im Wald fanden bereits weitere Hinrichtungen statt.

Aus dem Altkreis Lemgo waren im ersten Zug 22 Menschen, aus der Stadt selbst Rosalie Gumpel und Hedwig Löwenthal (beide 58 Jahre alt). Handlanger der Nazis, Schutzpolizei, Staatspolizei und die Lemgoer Ortspolizei trugen Sorge dafür, dass beide Frauen nach Bielefeld, ins Auffanglager am Kesselbrink, überstellt wurden. Sie überlebten die Qualen und Erschießungen nicht - von den etwa 40 deportierten Lippern, die für ihre Deportation noch 50 Reichsmark für das Ticket bezahlen mussten, kamen lediglich Sidonie Hertz aus Bösingfeld und Günter Wallhausen aus Schötmar mit dem Leben davon.

Den Beitritt zum Komitee würde Lemgo nach positivem Beschluss des Kulturausschusses voraussichtlich für Juni planen, sagt Bürgermeister Dr. Reiner Austermann, der das Vorhaben ebenfalls unterstützt. Als Gast für den offiziellen Akt hat Behrend den Ex-Bundestagsabgeordneten der Grünen, Winfried Nachtwei - früheres Mitglied der Friedensbewegung, Sprecher für Sicherheits- und Abrüstungspolitik und Vorsitzender der Vereinigung "Gegen Vergessen - Für Demokratie" - eingeladen. Bereits in Bottrop habe Nachtweih, im Beisein von Manfred Behrend und dessen Frau bei ähnlicher Gelegenheit, eine bewegende Rede gehalten.

In der Region sind bereits Bielefeld, Paderborn, Gütersloh, Herford und Bünde Mitglied des Riga-Komitees. Auch weitere lippische Mitglieder würde Manfred Behrend begrüßen. Aus dem Altkreis Lemgo waren vor allem Schötmaraner Opfer der Deportationen nach Riga. Auch viele Detmolder starben.

Menschen, die mit Hilfe vieler Institutionen, vom Finanzamt über die Bürgermeister, Einwohnermeldeämter bis hin zur Polizei und zum Landrat, aus ihren Wohnungen vertrieben wurden. Nicht, ohne zuvor die beschlagnahmten Vermögensgegenstände quittieren zu müssen. Über Bielefeld und das Lokal "Kyffhäuser" am Kesselbrink wurde die Abschiebung für Lippe, Schaumburg-Lippe und Minden zentral organisiert, weil dort die Gestapo-Außenstelle war.

Der Kulturausschuss tagt am Montag, 9. März, zunächst ab 18 Uhr in der Kirche St. Nicolai (Vorstellung Kantor Frank Schreiber). Für die weitere Aussprache, darunter auch der Punkt "Riga-Komitee", geht es anschließend ins Rathaus.

Bildunterschrift: Der frühere Lemgoer Ratsherr Manfred Behrend an der Gedenkstätte im Bikernieki-Wald der lettischen Hauptstadt Riga. Auch Lemgo soll hier künftig einen Stein als Mahnmal erhalten.

Bildunterschrift: Mit dem Zug wurden Juden aus Westfalen und Lippe nach Riga deportiert. Schon die Fahrt war eine Qual - nur zwei Mal gab es während der 60 Stunden Trinkwasser.

_______________________________________________


Lippische Landes-Zeitung, 01.10.2010:

Personalien / Trauer um Kurt Gumpel

Lemgo. Mit großer Betroffenheit haben Bürgerinnen und Bürger der Alten Hansestadt sowie Rat und Verwaltung die Nachricht vom Tod des ehemaligen Mitbürgers Kurt Gumpel aufgenommen. Kurt Gumpel wurde am 28. März 1922 in der Alten Hansestadt geboren. Er verstarb am Mittwoch in seiner belgischen Wahlheimat.

Die jüdische Familie Gumpel, die in Lemgo ein Manufakturwaren- und Bettengeschäft besaß, wurde von den Nazis verfolgt. Der Vater Gustav Gumpel starb 1937 in Lemgo, die Mutter Rosalie wurde 1941 in Riga ermordet. Allen drei Söhnen der Familie gelang die Flucht. Der 1937 nach Dänemark übergesiedelte Kurt Gumpel entkam der drohenden Deportation ins KZ durch die Flucht in einem Fischerboot über die Ostsee nach Schweden.

Nach Kriegsende lebte Gumpel lange Jahre mit seiner 1985 verstorbenen Frau Greta in Dänemark. Später siedelte er nach Spanien und Belgien über, wo er zuletzt mit seiner zweiten Frau Janneke zu Hause war.

Seine alte Heimatstadt besuchte er mehrmals. Dazu hielt er engen Kontakt zur Lemgoer Ehrenbürgerin Karla Raveh. Vielen jungen Lemgoern ist die Lebensgeschichte von Kurt Gumpel durch ein Projekt der Nico-Teens der Gemeinde St. Nicolai bekannt. Die Arbeit wurde von dem Verstorbenen aktiv unterstützt. Sein Engagement würdigte Bürgermeister Dr. Austermann mit dem Siegel der Alten Hansestadt Lemgo.

Alle, die Kurt Gumpel verbunden waren, sind zu einer Andacht in der St.-Nicolai-Kirche am Samstag, 9. Oktober um 13 Uhr eingeladen.

_______________________________________________


www.jüdische-gemeinden.de/index.php/gemeinden/k-l/1181-lemgo-nordrhein-westfalen

www.gfcjz-lippe.de

07./08.03.2020

zurück