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Deister- und Weserzeitung , 28.04.2005 :

Die Hamelner waren damals nicht begeistert / Aufnahme der Flüchtlinge und Vertriebenen stellte die Stadt vor einen Berg von Problemen

Von Bernhard Gelderblom

Hameln. Ende 1949 hatte Hameln mit 50.622 Einwohnern die Größe einer Mittelstadt erreicht. Dazu zählten 12.806 Flüchtlinge und Vertriebene und 2.504 Evakuierte. Die Hamelner Bevölkerung war in kürzester Zeit enorm gewachsen und die Integration von mehr als 15.000 neuen Bürgern stellte die Stadt vor einen Berg von Problemen.

Als 1945 der Zustrom aus dem Osten anwuchs, ordnete die Militärregierung die Einrichtung von Flüchtlingserfassungsstellen und Durchgangslagern an. In der Maggi-Fabrik am Ortsrand von Afferde wurde ein Auffanglager für etwa 1.000 Personen eingerichtet. Dort erhielten die Flüchtlinge ihre erste Betreuung. Bis Mitte 1946 wurden pro Monat etwa 600 Flüchtlinge aufgenommen. Privater Wohnraum fand sich zunächst noch relativ leicht.

1946 erreichten die Ausweisungen aus den ehemaligen deutschen Ostgebieten ihren Höhepunkt. Seit dem 7. Februar 1946 organisierte die Militärregierung unter der Bezeichnung "Operation Schwalbe" die Verteilung der Flüchtlinge. In drei großen Sammeltransporten kamen 4.500 Schlesier nach Hameln. Im Mai 1946 traf der erste mit 1.600 Breslauern in Hameln ein. Im Juni kamen 1.800 Neumarkter. Der dritte Transport traf kurz vor Weihnachten mit 1.000 Breslauern bei elf Grad Kälte ein. Bei 15 Grad Minus waren die Menschen in ungeheizten Güterwagen acht Tage lang gefahren. Auf diesem "Kältetransport" starben 24 Menschen an Erschöpfung und Erfrierungen, elf weitere in Hameln an den Folgen.

Der Transport erregte das Mitgefühl der Hamelner Bürger. Die Hannoversche Presse berichtet, dass während der Feiertage Hamelner Bürger Flüchtlingsfamilien eingeladen hatten und zahlreiche Spenden in den Sammelunterkünften eingingen. Die Menschen hatten nur das Notwendigste aus der Heimat mitnehmen dürfen.

Die größten Probleme bereitete die Unterbringung der Menschen. Im November 1946 wurden Wohnraumkommissionen ins Leben gerufen, in denen Ratsherren, Flüchtlinge und Alteinwohner saßen. Diese Kommissionen gingen auf der Suche nach Wohnraum von Haus zu Haus. Wohnungseinweisungen stießen dabei häufig auf den erbitterten Widerstand der Eigentümer. In vielen Fällen musste die Polizei eingreifen, um die Einquartierungen durchzusetzen.

Anfang April lebten rund 150 Angehörige des "Kältetransports" noch immer in der Massenunterkunft Hermannschule. Dabei waren die Lager in keiner Weise für einen längeren Aufenthalt geeignet. In der Domag stand eine zementierte Fabrikhalle zur Verfügung, die durch einen einzelnen Ofen notdürftig beheizt wurde. Die Hannoversche Presse berichtete nach einem Besuch von Flüchtlingen, die sich fröstelnd in Decken und Mäntel gehüllt hatten. "Viele lagen auf dünnen Strohsäcken. Kinder hockten bleich, mit unkindlichem Ernst in den Gesichtern, auf den harten Lagerstätten umher."

Während sich die Hamelner den Flüchtlingen gegenüber zunächst hilfsbereit gezeigt hatten, kippte die Stimmung ab Sommer 1946. Der Wandel zeigte sich an der Spendenbereitschaft. Im Juni 1946 wurde eine Hausratssammlung für Flüchtlinge durchgeführt. Die Bürger trugen massenhaft Teller, Gläser, Kannen, Tassen, Stühle und Betten zusammen. Eine zweite Sammlung vom März 1947 brachte dann klägliche sechs Stühle, drei Tische und zwei Bettstellen.

Die folgenden Berichte stammen aus dem von Grzegorz Borowski und Stefan Meyer herausgegebenen Band "Vertreibungen", Rinteln 2004. Walter Nimsch aus dem Kreis Neumarkt, Schlesien, wird darin zitiert: "Die Hamelner waren damals nicht so begeistert. Doch im Großen und Ganzen haben sie uns Flüchtlinge akzeptiert. Bösartigkeiten hat es nicht gegeben. Wir haben uns angefreundet mit der Familie, bei der wir unterkamen. Ein paar Wochen nach unserer Ankunft hat die Tochter geheiratet, da waren wir auch eingeladen. Und sie haben uns was zu Essen abgegeben, wenn wir nichts hatten."

Gertrud Maaß, ebenfalls aus dem Kreis Neumarkt, berichtet: "Wir wurden in ein Dorf gebracht. Die Frau, bei der wir dann unterkommen sollten, wollte das aber nicht und hat nur geschrieen: `Die Polen kommen, wir sollen ein Zimmer abgeben!` Sie hat Platt gesprochen, wir haben kaum etwas verstanden. Wir haben dann kein Zimmer bekommen, sondern sie hat in der Waschküche Stroh ausgelegt und dort mussten wir schlafen. Wir waren froh, als wir da rauskamen, der Bürgermeister hat uns woanders ein Zimmer besorgt."

Als nach dem Ende der "Operation Schwalbe" der Zustrom, wenn auch vermindert, anhielt, entschloss sich die Stadt, die Flüchtlinge längerfristig in Schulen und der Domag unterzubringen. Im Lager Domag II mussten sich die Flüchtlinge notdürftig durch Schränke und Decken einen intimen Bereich schaffen. Trotzdem gab es Flüchtlinge, welche das Leben im Sammellager dem in einem häufig ungeheizten Privatzimmer vorzogen. Oft fehlte das Notwendigste für die Einrichtung. Die Stadtverwaltung richtete deshalb zwei "Flüchtlingsvolksküchen", eine Flüchtlingswäscherei und eine Flüchtlingsnähstube ein. Aus dem überfüllten Schleswig-Holstein wurden 1948 neuerlich zwei Umsiedlertransporte in das nicht minder überfüllte Hameln gelenkt. Der Rat protestierte in Hannover gegen weitere Neuzuweisungen.

Damals legte die Stadtverwaltung eine Liste der "Wohnungsnotstände" an. Danach musste eine vierköpfige Familie auf 9 oder 10 qm leben, während die Einheimischen deutlich besser gestellt waren. Fast zwangsläufig kam es zu Reibereien. Zögernd setzte 1949 mit dem sozialen Wohnungsbau eine Entspannung ein. Das Massenquartier in der Domag wurde erst 1952 endgültig geräumt.

Lesen Sie morgen: Selbstmord am Hohenstein.


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