Neue Westfälische ,
06.03.2020 :
NRW korrigiert Einschätzung zu rechtem Terrorismus
Während der schwarz-gelben Landesregierung noch vor kurzem keine Erkenntnisse zu rechtsterroristischen Strukturen vorlagen, wird die tödliche Gefahr heute ernster genommen - eine Lehre der vergangenen Monate
Florian Pfitzner
Düsseldorf. Es kommt nicht allzu häufig vor, dass sich der Innenausschuss des nordrhein-westfälischen Landtags in einer Sitzung durchgehend mit rechtem Extremismus befasst. Vor dem Hintergrund des Anschlags in Hanau und der Enttarnung der Terror-Zelle um den Neonazi Werner S. hat die Opposition drängende Fragen an die Landesregierung. Die untergeordneten Sicherheitsbehörden nutzen die Gelegenheit, um eine frühere Einschätzung zu korrigieren.
Halle, Hanau, der Mordfall Walter Lübcke - die dichte Chronologie der Gewalttaten wühlt NRW-Innenminister Herbert Reul glaubhaft auf. Er habe eine "rechtsextremistische Grundstimmung" ausgemacht, eine blindwütige Ideologie, die Freiheit und Demokratie gefährde, sagt der CDU-Politiker in der Sondersitzung. Es sei "verdammt was aus den Fugen geraten".
In der Tat hat sich ein neues Phänomen im rechten Terrorismus gebildet: heterogene Verbindungen aus Bürgerwehren, so genannten Reichsbürgern, Verschwörungstheoretikern und AfD-Anhängern. Als Beleg dafür sehen Fachleute die enttarnte Zelle "Gruppe S.", eine mutmaßliche Terror-Organisation mit Mitgliedern aus ganz Deutschland; vier Tatverdächtige stammen aus NRW. Ihr Ziel laut dem Generalbundesanwalt: Anschläge auf Moscheen, Politiker und Migranten, um so "bürgerkriegsähnliche Zustände" herbeizuführen.
Ein Beschuldigter, Thorsten W., ein Verwaltungsbeamter im Verkehrskommissariat des Polizeipräsidiums Hamm, war früher unter anderem für die Vergabe von Waffenscheinen zuständig. Er trug Klamotten der bei Neonazis beliebten Marke Thor Steinar, auf seinem Balkon wehten Reichskriegsflaggen. Diese "Warnsignale" seien "lange Zeit nicht ernsthaft gewürdigt" worden, kritisiert Reul. Das habe das Polizeipräsidium Hamm ja schon selbstkritisch festgestellt.
Noch vorigen Sommer erklärte Reuls Haus in einem Bericht zu möglichen Verbindungen des Tatverdächtigen im Mordfall Walter Lübcke nach NRW, dass ihm "keine Erkenntnisse zu bestehenden rechtsterroristischen Strukturen" vorlägen. Davon rückt der Leiter des Landesverfassungsschutzes, Burkhard Freier, in der Sondersitzung ab. Derzeit würden Gefahrenzusammenhänge rechtsterroristischer Netzwerke geprüft.
Im Landtag kritisieren SPD und Grüne, dass die schwarz-gelbe Landesregierung die Lehren aus dem NSU-Untersuchungsausschuss vernachlässige. Reul tritt dem entgegen, lediglich die Erhöhung der regelmäßigen Fortbildungsangebote für Opferschützer bei der Polizei stehe noch aus. In der Forschung gibt es indes Zweifel. Zu den wichtigsten Erkenntnissen der NSU-Aufklärung gehöre die Tatsache, "dass die Ermittlungen von einem institutionellen Rassismus geprägt waren", sagt der Rechtsextremismus-Forscher Hendrik Puls im Gespräch mit dieser Zeitung. Die Polizei verweigere jedoch die Aufarbeitung.
Als Beleg führt Puls die unrechtmäßige Inhaftierung des Syrers Amad A. und dessen Tod in Kleve an. Die Landesregierung trage nicht zu einer konstruktiven Fehlerkultur bei. "Im Gegenteil", sagt der Soziologe. Schon durch die Ausweitung verdachtsunabhängiger Kontrollen werde die Polizei ermutigt, Menschen ob ihrer Hautfarbe zu verdächtigen.
Bildunterschrift: Ein Terror-Verdächtiger auf dem Weg zum Haftrichter.
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