Neue Westfälische - Bad Oeynhausener Kurier ,
05.03.2020 :
Post vom Reichsbürger zu Masern-Impfungen kommt nicht gut an
Ein der Polizei und dem Staatsschutz bekannter Pr. Oldendorfer schreibt Kindertageseinrichtungen an / Der Staatsschutz ermittelt
Karsten Schulz
Lübbecker Land. Große Verunsicherung herrscht in vielen Kindergärten, Familienzentren und Kindertagesstätten im Kreis. Sie erhielten am Rosenmontag und Faschingsdienstag ungewöhnliche Post, die bis heute wirklich nicht für Karnevalsstimmung, sondern für Katerlaune gesorgt hat. Ein der Polizei und dem Staatsschutz bestens bekannter "Reichsbürger" aus Pr. Oldendorf hatte sich mit dem neuen Masernschutzgesetz befasst und seine eigenen Schlüsse daraus gezogen.
Seit 1. März müssen alle Kinder ab dem vollendeten ersten Lebensjahr beim Eintritt in die Schule oder die Kita Masern-Impfungen vorweisen. Nach NW-Informationen hatten sich die betroffenen Kindergärten sofort an ihre jeweiligen Träger gewandt und auch mit den übrigen Kindergärten Kontakt aufgenommen. Ein mit dem amtlichem Siegel "Amt Harlinghausen" versehenes Schreiben verbunden mit einem "Impffrei-Flyer" landete in den Briefkästen der betroffenen Kindertageseinrichtungen im Kreisgebiet, manchen wurde es sogar als Einschreiben zugestellt. Die Einrichtungsleitungen handelten sofort und kamen überein, das Schreiben mit Flyer gleich an die Kreispolizeibehörde Minden-Lübbecke, zu schicken.
"Ich war entsetzt über die Form des Schreibens und auch darüber, dass mein Name darauf stand", sagt Elke Borcherding, Leiterin des AWO-Familienzentrums "Abenteuerland" in Espelkamp. Natürlich habe sie sich sofort an ihren Träger gewandt und mit anderen Einrichtungen telefoniert. "Einige hatten es schon früher bekommen, so dass ich vorbereitet war", macht sie im Gespräch mit der NW deutlich. Es sei auch sehr schwierig gewesen, es überhaupt zu lesen und zu verstehen. "Da waren mindestens 1.000 Fehler in dem Schreiben."
Die Sprache sei "sehr seltsam", dennoch habe es auf den ersten Blick "stark amtlichen Charakter", so dass man zunächst "darauf hereinfallen könnte". Dennoch wollte sie sich nicht länger damit auseinandersetzen und habe es gleich wieder eingesteckt und zur Polizei geschickt. Sie selbst halte sich an die rechtlichen Bestimmungen. Ebenso wie bereits ihre Kolleginnen mitgeteilt hätten, halte man sich an Recht und Gesetz. "Alle Kinder müssen jetzt eine Impfung nachweisen. Wir machen da einfach unsere Arbeit."
Polizei-Pressesprecher Ralf Steinmeyer bestätigte den Eingang mehrerer Scheiben mit "Impffrei-Flyer" an Kindertageseinrichtungen vor allem aus dem Altkreis Lübbecke. Wie die NW erfahren konnte, sind auch Einrichtungen der Großgemeinde Hille im Altkreis Minden betroffen.
"Das war der einzige richtige Weg, den die Kindergärten und Familienzentren hier gegangen sind", lobt Ralf Steinmeyer. Sie hätten alles richtig gemacht, darauf aufmerksam zu machen und sich untereinander ausgetauscht. Als sie das Schreiben in die Hände bekamen, sei ihnen sofort klar gewesen, dass dies "klare Züge der Reichsbürger trägt". "Es werden zielgenau bestimmte Menschen angesprochen oder angeschrieben, um diese in einer bestimmten Situation zu verunsichern", so Steinmeyer.
Alles, was man bekommen habe, sei nunmehr unterwegs nach Bielefeld. Staatsschutz und anschließend Staatsanwaltschaft werden die Schreiben einschließlich des Flyers daraufhin untersuchen, ob hier eine strafrechtlich zu verfolgende Handlung begangen worden sei. Erst wenn dies positiv beantwortet worden sei, könne man Strafanzeige erstatten. Steinmeyer bestätigte, dass sich im Inhalt des Anschreibens und des beigelegten Flyers Formulierungen finden, die "in der Reichsbürger-Szene üblich sind". So wird das "Amt Harlinghausen" als "Hoheitsgebiet" entsprechend der UN-Charta Kapitel 73-792 bezeichnet. Außerdem sei von der "Firma Bundesrepublik Deutschland" und der "Firma Bundesgesundheitsministerium" die Rede. Üblich sei auch, den Betroffenen Rechtsunsicherheit zu vermitteln oder ein schlechtes Gewissen einzureden. Steinmeyer verwies in diesem Zusammenhang auf den Satz: "Sie haben hiermit für die Folgen der Impfungen gerade zu stehen".
Bildunterschrift: Die Masern-Impfung ist verpflichtend.
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Neue Westfälische - Bad Oeynhausener Kurier, 05.03.2020:
Reichsbürger verunsichert Kindergärten
Pr. Oldendorf. Ein Reichsbürger aus Pr. Oldendorf hat Kindergärten im Kreis wegen der Masern-Impf-Pflicht angeschrieben. Das Schreiben ist jetzt ein Fall für die Polizei.
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Mindener Tageblatt, 14.01.2020:
Keine Entwarnung
Die Polizei schreitet gegen Reichsbürger ein / Doch immer noch gibt es ein besonderes Problem
Frank Hartmann und Stefan Koch
Minden / Lübbecke. Mit einer Kleinen Anfrage hatte sich die Mindener SPD-Landtagsabgeordnete Christina Weng über die Zahl der den Ermittlungsbehörden bekannten Reichsbürger und Selbstverwalter im Kreis Minden-Lübbecke im vergangenen Jahr informiert. Demnach waren von den NRW-weit etwa 3.200 Anhängern dieser Bewegungen 81 im Mühlenkreis ansässig - mit 20 die meisten in Porta Westfalica sowie in Minden (18) und Bad Oeynhausen (9), wie aus der schriftlichen Antwort der Landesregierung hervorging. "Ich werde das Problem weiter im Auge behalten, weil es mir nicht einleuchtet, dass es immer noch bekannte Personen aus der rechtsextremen Szene gibt, die Waffen besitzen", erklärte Weng gestern auf MT-Anfrage.
Im Kreisgebiet wohnt mehr als nur der eine, wegen zahlreicher bis heute verschwundener Waffen polizeibekannte Reichsbürger aus Stemwede, der keiner sein will, obwohl er diverse der für diese Personengruppe typischen Thesen vertritt. Unter anderem, dass Deutschland noch besetzt sei und das Recht der Alliierten gelte. Auch verweigert er Richtern die Anerkennung, es sei denn, sie können ihm beweisen, dass sie tatsächlich für ein Gericht tätig sind und nicht für eine Firma.
Die Zahlen, die Weng erhalten hatte, stammten vom August vergangenen Jahres und bezogen sich auf Personen, die die Existenz der Bundesrepublik Deutschland und deren Rechtssystem ablehnen und demokratisch gewählten Repräsentanten die Legitimation absprechen. Im Lübbecker Land leben die meisten von ihnen in Espelkamp (6), gefolgt von Hüllhorst, Pr. Oldendorf und Stemwede (jeweils 4), sowie Rahden (3) und Lübbecke (2).
Auch zu Wengs Nachfragen nach Waffenbesitz von Reichsbürgern enthielt die Antwort des NRW-Innenministeriums Informationen. Demzufolge ist der Kreispolizeibehörde ein Reichsbürger bekannt, der über eine waffenrechtliche Erlaubnis in Form eines Kleinen Waffenscheins verfügt. Seit 2016 wurden drei Verfahren zum Widerruf der waffenrechtlichen Erlaubnis im Mühlenkreis eingeleitet und fünf davon bestandskräftig widerrufen.
Etliche Personen aus der rechtsextremen Szene besitzen registrierte Waffen
Aufgefallen waren Reichsbürger beispielsweise in der Pr. Oldendorfer Nachbarkommune Bad Essen, wo sie im Januar 2017 mit Flugblättern für sich warben, die sie anonym verteilt hatten. Auf dem Flugblatt riefen die Verfasser unter anderem dazu auf, einen "Staatsangehörigkeitsausweis" zu beantragen. Diesen für 25 Euro auszustellen boten die Reichsbürger an. "Der Bundespersonalausweis oder der deutsche Reisepass sind kein Nachweis über den Besitz der deutschen Staatsangehörigkeit. Sie begründen lediglich die Vermutung, dass der Ausweisinhaber die deutsche Staatsangehörigkeit besitzt", so die Argumentation.
Zu einem gravierenden Vorfall war es in Bad Essen ein Jahr zuvor gekommen. Im Februar 2016 war ein Gerichtsvollzieher von einem Reichsbürger mit einem Baseballschläger angegriffen worden. Bei der folgenden Gerichtsverhandlung wurde der Mann zu einer Bewährungsstrafe verurteilt. Auch dessen Ehefrau ist seitdem wegen Widerstandes gegen Vollstreckungsbeamte vorbestraft.
Wie ein langjähriger Beobachter der extremen rechten Szene auf MT-Anfrage erklärte, sei im Raum Ostwestfalen-Lippe von einer Zahl von 470 bis 490 Reichsbürgern auszugehen - das prominenteste Mitglied sei die zur Zeit inhaftierte Holocaust-Leugnerin Ursula Haverbeck.
Keineswegs handele es sich bei Reichsbürgern und so genannten Selbstverwaltern um harmlose Spinner. "Bei vielen ist eine Affinität zu Waffen festzustellen."
Auch zwei in Minden lebende Reichsbürger waren bereits zum Problem geworden, wie ein Bericht eines Polizeibeamten im Ausschuss für Bürgerdienste, Sicherheit und Feuerschutz im vergangenen Jahr ergab. Weitere Details wurden bislang von der Mindener Polizei nicht bekannt gegeben. Ende April 2016 hatten 60 Beamte ein von Reichsbürgern illegal besetztes Haus in Porta Westfalica-Hausberge ausgehoben und den rund 30 Personen einen Platzverweis erteilt. Wie der Rechtsextremismus-Experte festgestellt hat, ließ sich ein Teil der Mitglieder im benachbarten Landkreis Schaumburg nieder. Andere waren in die fünf neuen Bundesländer abgewandert.
Bildunterschrift: Im April 2016 räumte die Polizei mit einem Großaufgebot ein verkauftes Haus in Hausberge, aus dem Reichsbürger nicht ausziehen wollten.
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Am 2. Dezember 2019 bezifferte die Landesregierung von Nordrhein-Westfalen (17/8039), die Anzahl von "Reichsbürgern" und "Selbstverwaltern" im Kreis Minden-Lübbecke mit 81 - hiervon 20 in Porta Westfalica.
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www.landtag.nrw.de/Dokumentenservice/portal/WWW/dokumentenarchiv/Dokument/MMD17-8039.pdf
www.minden-luebbecke.de/Service/Integration/NRWeltoffen
www.mobile-beratung-owl.de
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