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05.03.2020 :
Pressespiegel überregional
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Übersicht:
Blick nach Rechts, 05.03.2020:
Mittendrin in der AfD
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Blick nach Rechts, 05.03.2020:
Mittendrin in der AfD
Von Rainer Roeser
In der AfD ist es nicht ratsam, sich allzu lautstark mit dem "Flügel" anzulegen. Während die Partei lagerübergreifend Björn Höcke feiert, macht sich der Berliner Fraktionsvorsitzende Georg Pazderski an dessen Dekonstruktion und fordert ein "dezidiert bürgerliches Profil".
Ein Freund Björn Höckes wird Georg Pazderski, AfD-Fraktionschef im Berliner Abgeordnetenhaus, gewiss nicht mehr. Ende vergangenen Jahres musste er beim Parteitag in Braunschweig seinen Platz im Bundesvorstand räumen. Eine informelle Koalition von "Flügel"-Anhängern und angeblich "gemäßigteren" AfDlern, die sich jedoch mit dem "Flügel" gutstellen wollen, sorgte für ein zumindest vorläufiges Ende seiner bundespolitischen Ambitionen. Bis weit ins Lager der "Moderateren" hat es sich herumgesprochen, dass es nicht ratsam ist, sich allzu lautstark mit den Höcke-Anhängern anzulegen. Alice Weidel zum Beispiel profitierte von dieser Einsicht. Andere, wie Pazderski, wurden abgestraft, weil sie die nötige Flexibilität nicht zeigten.
"Björn Höckes Fehler"
Verstummt ist Pazderski freilich nicht. Und auch seiner Neigung, umfängliche Analysen und Strategiepapiere zu schreiben, ist der Oberst a. D. treu geblieben. Die einen belächeln ihn ob der steten Papier-Produktion, anderen dienen die Texte als Handlungsanleitung. "Erfurt, Hamburg und die Folgen für die AfD" ist der Titel seiner neuesten Analyse. Während die AfD lagerübergreifend den Thüringer Partei- und Fraktionschef Höcke dafür feierte, dass er Anfang Februar die Wahl eines "bürgerlichen" Ministerpräsidenten zustande brachte, machte sich Pazderski an dessen Dekonstruktion. "Björn Höckes Fehler" steht dick und fett über einigen Kernaussagen seines Textes. Der Eindruck sei falsch, "dass jedwede innerparteiliche Kritik an dem Thüringer Fraktionsvorsitzenden und dem von ihm repräsentierten "Flügel" erloschen ist und er in der AfD nun schalten und walten kann wie er will", notiert Pazderski gleich einleitend.
Er räumt zwar ein, Höcke sei von seiner "kompromisslosen Alles-oder-Nichts-Haltung" abgerückt, was Regierungsbeteiligungen anbelangt. Insofern habe sich die AfD in Thüringen als lern- und politikfähig erwiesen. Pazderski hält aber dem Vormann des völkisch-nationalistischen Lagers vor: "Es war und ist seine zum Teil radikale Rhetorik, sein verbaler Rigorismus, der es den Vertretern von CDU und FDP in Thüringen und anderswo schwer macht, gegenüber den Bundesparteien zu begründen, warum es legitim sein soll, für eine bürgerliche Wende auf die Unterstützung der AfD zu setzen." Und weiter: "Man kann eben nicht aus machttaktischen Gründen über Nacht sein Image vom radikalen Oppositionellen und "Enfant terrible" der deutschen Politik zum staatspolitisch Verantwortlichen hin ändern, ohne Fragen nach der eigenen Glaubwürdigkeit und den eigenen Absichten aufzuwerfen."
Kollateralschaden für die AfD wegen Thüringen
Der wegen Thüringen angerichtete strategische Kollateralschaden für die AfD sei nicht unerheblich, klagt Pazderski. "Die Grünen können sich als Vertreter des Bürgertums aufspielen, die Linkspartei wird hoffähig, CDU, CSU und FDP glauben von der AfD Abstand nehmen zu müssen und marginalisieren sich weiter." Es sei kaum vorstellbar, dass es in den nächsten Jahren irgendwo einen neuen Versuch geben werde, eine "bürgerliche Wende" herbeizuführen. "Leidtragende" seien zunächst die AfD-Landesverbände Mecklenburg-Vorpommern und vor allem Sachsen-Anhalt, "wo Mehrheitsverhältnisse nach den Landtagswahlen 2021 entstehen könnten, die eine bürgerliche Wende erlauben würden". Die Chancen auf eine solche "Wende" seien jedenfalls durch Thüringen eher schlechter als besser geworden.
Tatsächlich steht die AfD vor einem Dilemma. Es war zwar ein Tabubruch, als am 5. Februar AfD, CDU und FDP in Erfurt gemeinsam einen Ministerpräsidenten wählten. Der von der AfD ersehnte Dammbruch entstand daraus jedoch nicht. Kurzzeit-Regierungschef Thomas Kemmerich musste nach öffentlichen Protesten, einem verheerenden Medienecho und massiver Kritik vieler Politiker - auch aus CDU und FDP - den Rückzug antreten. Bei Union und Liberalen bleibt es Parteilinie, auf Abstand zur AfD zu achten. Ob diese Abgrenzung hält, wenn Sachsen-Anhalt im kommenden Jahr gewählt haben wird, bleibt offen. Doch zumindest vorerst steht die AfD isolierter da denn je.
Empörung über Union und FDP
So überrascht es wenig, dass Union und Liberale momentan zum Lieblingsfeindbild der AfD geworden sind. "Durch ihre Enthaltungen und Nichtteilnahme haben die Thüringer Landtagsabgeordneten von CDU und FDP den Linksparteipolitiker Bodo Ramelow ins Ministerpräsidentenamt gehoben", empörte sich AfD-Bundessprecher Jörg Meuthen am Mittwoch. Sie hätten auf eine "bürgerliche Mehrheit" verzichtet und zu verantworten, dass ein Politiker einer "linksextremen Partei" nun Regierungschef sei. Höcke kommentierte die Entscheidung für Ramelow mit den Worten: "Die CDU hat ihm die Schlüssel für den Zutritt zur Staatskanzlei in die Hand gedrückt."
Doch nicht nur mit ihrem Liebeswerben um Konservative kommt die AfD kaum voran. Auch bei den Wählern verfängt die Simulation von Bürgerlichkeit und Zivilität bisher nicht. Theoretisch hätte die Strategie der Selbstverharmlosung in Hamburg Erfolge zeigen können. Tatsächlich aber blieben die erhofften Zuwächse nicht nur aus - die AfD näherte sich sogar bedrohlich der Fünf-Prozent-Marke. Und auch im aufgewühlten Thüringen würde die Partei wohl kaum oder gar nicht profitieren, könnten die Bürger nun rasch neu wählen. In Umfragen wird die AfD seit Anfang Februar bei 23 bis 25 Prozent gehandelt. 23,4 Prozent hatte sie bei der Landtagswahl Ende Oktober geholt.
"Klare Abgrenzung vom rechten Rand vornehmen"
Pazderski hält trotz der Hamburger Schlappe an seinem Ziel fest: Die AfD müsse mehr Zuspruch aus der "bürgerlich-konservativen Mittelschicht" bekommen. "Nur mit einem dezidiert bürgerlichen Profil, klar in der Sache, mutig im Auftreten, aber ohne verbale Entgleisungen und falsche Freunde wird die AfD Menschen für sich gewinnen können, die über das Wissen, die Erfahrung und die Netzwerke verfügen, ohne die auf Dauer eine Partei nicht erfolgreich sein kann." Die AfD müsse sich "noch klarer als bisher vom rechten Rand distanzieren", verlangt Pazderski. In Deutschland gebe es "keinen Spielraum für Sympathien mit Rechtsextremen, Antisemiten, Israel-Hassern, Rassisten, Verschwörungstheoretikern, Hitler-Verehrern, Leuten, die völkisch denken, und Verwirrten, die zu Gewalt und Terror bereit sind".
Insbesondere der "Flügel" und seine Protagonisten seien aufgerufen, "eine klare Abgrenzung vom rechten Rand vorzunehmen", fordert er. Am Tag der Wahl im Thüringer Landtag beschrieb Pazderski die Rolle, die er Höcke zugedenkt: "Wenn der "Flügel" die Partei nach rechts abdichtet, hat er eine ganz wichtige Funktion." Dass sich der Wortführer der Partei-Rechtsaußen freilich mit der Rolle als Wächter an einer Brandschutzmauer bescheiden wird, steht nicht zu erwarten. Es wäre für ihn ja auch ein Rückzug. Höcke stehe in der Mitte der AfD, sagte der damalige Bundessprecher Alexander Gauland Ende Oktober nach der Landtagswahl in Thüringen. Wie sehr Höcke mittendrin statt nur dabei ist, bekam Pazderski fünf Wochen später zu spüren, als er seinen Job als Parteivize verlor.
Bildunterschrift: An dem Partei-Rechtsaußen Höcke führt in der AfD kein Weg vorbei (Foto: Archiv).
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