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Der Patriot - Lippstädter Zeitung , 27.04.2005 :

Auf Versöhnung zwischen Menschen und Völkern gehofft / Professor Wilhelm Gössmann wurde kurz vorm Kriegsende an der Front verwundet / Nach der Besetzung Olpes durch die Amerikaner kam er in Gefangenschaft

Langenstraße-Heddinghausen. Ich schaufelte an einem Abhang, relativ licht von Bäumen, mein Schützenloch. Dann passierte es. Ich lag im Zielfeuer eines feindlichen MGs, wurde getroffen. Ich blieb länger bewegungslos liegen, mein Gewehrkolben zersplittert, eine Kugel im linken Bein, die rechte Hand blutete. Gottseidank hatte ich den Helm aufbehalten. Eine Kugel hatte ihn nicht durchschlagen. Ich bewegte meine Glieder, spürte, dass ich laufen konnte, und sprang davon, ging in Deckung. Meine Kameraden schütteten mir einen kräftigen Schnaps ein, boten mir auch Zigaretten an, die ich als Nichtraucher liegen ließ. Ein Sanitäter versorgte mich, hängte mir um den Hals den Verwundetenausweis. So ging und fuhr ich bis weit hinter die Front. Ein Verwundetentransport konnte mich noch aufnehmen, weil einer der Verwundeten starb. Er hat mir Platz gemacht.

Ich kam nach Olpe ins Lazarett. Mein jüngerer Bruder Anton hat mich hier besucht. Ein Arzt sorgte dafür, dass ich nach meiner Genesung nicht noch einmal an die Front musste. Er setzte mich zu Sanitätsdiensten ein, zumal es bei einem Luftangriff auf Olpe unter der Zivilbevölkerung viele Verwundete gab. Kurz vor dem Bombardement hatte ich eine politische Auseinandersetzung mit einem Fallschirmjäger, der sein rechtes Bein verloren hatte. Eine Göbbels-Rede war über uns herabgegangen. Die Amerikaner waren nicht mehr weit. Da platzte es aus mir heraus: Der Krieg ist verloren. Er schrie mich an: Sie werden standrechtlich erschossen! In diesem Augenblick fielen die Bomben. Ich schleppte den armen Fallschirmjäger die Treppe hinunter in den Luftschutzkeller. Die Sache war zwischen uns erledigt.

Nach der Besetzung Olpes wurde das Lazarett nach transportfähigen Soldaten durchsucht. So kam ich in Gefangenschaft. Ein Zurückbleibender schenkte mir einen Mantel: In den offenen Gefangenenlagern ist es unbarmherzig kalt. Ich kam nach Rheinberg, kaum etwas zu essen, meist nur schwarzer Tee mit Milch. Wir hungerten in Erdlöchern auf freiem Feld. Von hier ging es nach Attichi in der Nähe von Paris. Dort lagen wir in Zelten. Mein Englisch half mir, dass ich zur ersten Gruppe der Entlassenen gehörte, zu den Bergleuten und Bauernsöhnen. Vom Zug stiegen wir in Soest auf Lastwagen. Vom Hellweg ging ich dann zu Fuß nach Hause, durch die Grund, froh - den Kirchturm von Langenstraße wiederzusehen, Ende Juli 45.

1949 schrieb ich auf Bitten von Spiritual Carl Michels für die Errichtung einer Gedenkstätte das Mysterienspiel "Das Todesspiel". Die Statue des trauernden Christus unter dem Turm der Dorfkirche erinnert heute daran: Der Todesengel des Krieges wandelte sich im Spiel zum Opferengel. Versöhnung zwischen den heimgesuchten Menschen und Völkern - das war am Kriegsende unsere Hoffnung.

Aus Tagebuch spricht endzeitliches Denken

Der Krieg bracht mich geistig in große Bedrängnisse. Ich dachte nie daran zu desertieren, wohl Gefangenschaft, wenn notwendig. Ich stand auf der Seite Deutschlands, nicht eines Hitler-Deutschlands, wie schwer auch eine Abgrenzung möglich ist. Aus meinem Kriegstagebuch spricht verhalten, aber deutlich ein endzeitliches Denken: Über alle Vernichtung mögen die Engel Gottes richten. Mögen sie siegen zwischen den Fronten.

Dass die Zeit nach dem Weltkrieg in Europa zu einer demokratischen Friedenszeit werden konnte, übertraf, nachträglich beurteilt, meine damaligen Erwartungen.


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