Deister- und Weserzeitung ,
27.04.2005 :
Steuern wurden auch nach Kriegsende kassiert / Entlassungen und Wiedereinstellungen / Gesperrte Konten / Britischer Finanzoffizier war gefürchtet
Von Wolfhard F. Truchseß
Hameln. Mit der Übernahme der Macht durch die Alliierten kam es teilweise zu heftigen Umbrüchen auch in den Ämtern. In einer 1961 geschriebenen "Chronik des Finanzamtes Hameln", die mit dem Jahr 1919 beginnt, heißt es: "Nach der Einnahme Hamelns durch die Amerikaner Anfang April 1945 diente das Amtsgebäude (am Kastanienwall, die Red.) zunächst dem amerikanischen Lazarettpersonal als Unterkunft. Als am 21. April 1945 der Dienstbetrieb wieder aufgenommen wurde, bestand die Belegschaft noch aus 68 Mann. Auf sie warteten recht unangenehme Überraschungen: Insgesamt 48 wurden im Laufe der Zeit wegen ihrer Zugehörigkeit zur früheren NSDAP bzw. zu deren Gliederungen entlassen. Unter ihnen befanden sich mehrere Kriegsteilnehmer, die teilweise noch gar nicht oder aber erst wenige Stunden vorher in die Heimat zurückgekehrt waren."
Schon drei Tage später, am 24. April, wurde die Frist für die Abgabe der Einkommen-, Gewerbe- und Umsatzsteuererklärungen für das Jahr 1944, die auf den 20. April festgesetzt worden war, in einer "amtlichen Bekanntmachung" des Finanzamtes bis auf Weiteres ausgesetzt. Gleichzeitig wurde aber darauf aufmerksam gemacht, "dass die Vorauszahlungen an Einkommensteuer, Körperschaftsteuer, Gewerbe-, Umsatz- und Vermögensteuer zu den jeweiligen Fälligkeitszeitpunkten an die Finanzkasse zu entrichten bzw. zu überweisen sind". Die eingeübte Bürokratie überlebte auch das Kriegsende.
Die aus den verschiedenenÄmtern Entlassenen gerieten nicht nur in die Arbeitslosigkeit, ihnen wurden wegen ihrer politischen Vergangenheit auch die Konten gesperrt. So ging es auch dem Obersteuerinspektor Friedrich Riechert, der Mitglied der NSDAP gewesen und 1944 zum kommissarischen Blockleiter ernannt worden war. Erst im September 1946, nach erfolgter Wiedereinstellung beim Finanzamt, teilte ihm die Sparkasse der Stadt Hameln mit: "Laut Mitteilung der Reichsbank ist die s.Zt. verfügte Sperre Ihres Vermögens aufzuheben, falls außer der rückgängig gemachten Entlassung kein anderer Grund vorliegt." Es lag keiner vor. Aber erst am 27. April 1949 teilte das niedersächsische Ministerium für die Entnazifizierung in Gestalt des "Öffentlichen Klägers beim Entnazifizierungs-Hauptausschuß der Stadt Hameln" Riechert mit, dass er im Entnazifizierungsverfahren in die Gruppe V der Entlasteten eingereiht worden war. Die Kosten des Verfahrens wurden auf 20 Mark festgesetzt.
Ähnlich wie bei den Finanzbeamten wurde auch bei den Lehrern und Lehrerinnen sehr schnell geprüft, wer noch zum Unterricht zugelassen und wer gefeuert werden sollte. Die Empfehlungen darüber wurden teilweise von den Bürgermeistern ausgesprochen, die von den Alliierten eingesetzt worden waren. Wer die Ideologie der Nazis zu intensiv in den Schulen verbreitet hatte, wurde sofort entlassen, andere durften keine leitenden Funktionen mehr übernehmen. Manche wurden in ihre Heimatstädte, aus denen sie während des Krieges in das "ländliche" Hameln oder die umgebenden Orte wie Bad Pyrmont oderLügde evakuiert worden waren, zurück geschickt, um sich dort in einem Neuanfang zu bewähren. Die besten Chancen hatten an den Schulen jene, die es geschafft hatten, Distanz zu den Braunen zu wahren, so weit das während der Nazizeit möglich war, ohne aus dem Beruf gejagt zu werden.
Unterdessen hatte die Besatzungsmacht die Gemeinden ermächtigt, Steuern auf Grund der letzten Bescheide an- und einzunehmen. In der Finanzamts-Chronik heißt es dazu: "Die Gelder wurden an bestimmten Tagen von den Vollziehungsbeamten des Amtes abgeholt. Da es einen geregelten Eisenbahn- und Postverkehr nicht gab, wurde zu diesem Zweck ein Notverkehr mit `Jeeps` eingerichtet."
Im Winter 1945/46 habe sich den Steuerpflichtigen im Finanzamt ein "recht groteskes Bild" geboten, berichtet der Chronist weiter: "Die Amtsangehörigen saßen mit Mantel, Hut und Handschuhen bekleidet an ihrem Arbeitsplatz, weil ausreichende Kohlen nicht vorhanden waren ... In dem ersten Nachkriegsjahr war zeitweise nur der Raum geheizt, in dem der britische Finanzoffizier `residierte`." Trotzdem seien die Amtsangehörigen stets pünktlich zum Dienst erschienen: "Keiner wagte es, bei dem sehr gefürchteten Finanzoffizier unangenehm aufzufallen."
Lesen Sie morgen: Aufnahme der Flüchtlinge.
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